Unter der Decke zitterte sein Körper an dem meinen.
«Er hat dabei gelacht, wirklich. Er sagte, sie hätten ihm zu verstehen gegeben, daß Pornographie in dem Päckchen sei, aber das stimme gar nicht. Er wisse aber nicht, was es sei, obwohl er es gesehen habe. Dann holte er das Päckchen aus seiner Reisetasche und sagte, ich solle es mir mal ansehen.«
Mikkel hielt inne.
«Und als du«, sagte ich,»den Inhalt des Päckchens gesehen hast, da hast du gewußt, was es war?«
«Ich hatte solche Unterlagen schon gesehen. ich meine. ich wußte, daß es eine Ölanalyse war. Ja.«
«Hast du Bob gesagt, worum es sich handelte?«
«Ja, das habe ich. Wir haben uns dann ein bißchen darüber unterhalten.«
«Und weiter?«
«Es war spät geworden. Zu spät für die Straßenbahn. Bob fuhr deshalb mit dem Taxi zu Gunnar Holths Stall raus, und ich ging ins Bett.«
«Was ist am nächsten Tag passiert?«
«Ich habe versprochen. ich habe versprochen, daß ich es niemandem sage. Ich habe es der Polizei nicht gesagt. Ich darf es Ihnen auch nicht sagen. Vor allem Ihnen nicht. Das weiß ich.«
«Na gut«, sagte ich.
Die Zeit verging. Es war fast zu kalt, um noch denken zu können.
«Ich erzählte meinem Vater auf der Fahrt zu den Rennen von dem Päckchen«, fuhr er plötzlich fort.»Er nahm mich im Auto mit. Ich erzählte es nur, um irgend etwas zu sagen. Weil ich dachte, es könnte ihn interessieren. Aber er sagte nicht viel. Er redet nie viel. Ich weiß nie, was er denkt.«
«Ich auch nicht«, sagte ich.
«Ich habe Leute sagen hören, er sehe am nettesten aus, wenn er am grausamsten sei. Das habe ich zum ersten Mal gehört, als ich noch klein war.«
«Ist er dir gegenüber grausam?«
«Nein. Nur. kalt. Aber er ist mein Vater.«
«Ja.«
«Ich glaube, ich möchte es Ihnen sagen. aber ich kann nicht.«
«Ist schon in Ordnung.«
Wieder verging viel Zeit. Sein Atem und seine Bewegungen verrieten, daß er wach war und daß die Gedanken nur so in seinem Kopf herumschwirrten.
«Mr. Cleveland? Sind Sie noch wach?«
«David«, sagte ich.
«David. glauben Sie, er wollte, daß diese Männer mich umbringen?«
«Nein, das glaube ich nicht.«
«Er hat ihnen gesagt, wohin sie mußten. Er hat mir gesagt, daß ich nach Finse fahren soll. Er hat Arne Kristiansen gesagt, daß er nach Finse fahren soll. Und diesen Männern.«»Das hat er«, sagte ich.»Aber ich glaube, sie haben die Wahrheit gesagt. Ich glaube, er wollte, daß sie dich aus dem Land bringen, sobald sie mit Arne fertig waren. Ich denke, es war sehr ungeschickt von ihnen, dich mit ansehen zu lassen, wie sie Arne angriffen, aber sie haben halt mehr Kraft als Verstand, diese beiden. Arne ist der einzige, der vor Gericht schlüssige Beweise gegen deinen Vater vorlegen könnte, und dein Vater ist skrupellos genug, ihn umbringen zu lassen, um das zu verhindern.«
«Warum. warum glauben Sie das?«
«Weil er diese beiden Männer auch auf mich angesetzt hat.«
Ich erzählte ihm von dem Boot auf dem Fjord, von dem Messer in Chelsea, von der Bombe in Eriks Auto.
«Es sind schreckliche Männer«, sagte er.»Als ich sie zum ersten Mal sah, haben sie mir gleich angst gemacht.«
Er verfiel wieder in Schweigen. Ich konnte fast spüren, wie er dachte, litt, wie es in ihm gärte.
«David?«
«Ja?«
«Es ist meine Schuld, daß Bob sterben mußte.«
«Bestimmt nicht.«
«Aber wenn ich meinem Vater nicht erzählt hätte, daß Bob eine Bohrkernanalyse mitgebracht hatte.«
«Dann hätte Arne es ihm erzählt«, erklärte ich kategorisch.
«Mit diesem >Wenn< kannst du endlos weitermachen: Wenn Bob das Päckchen nicht geöffnet hätte. Wenn dein Vater nicht so skrupellos gewesen wäre, sich seiner zu entledigen. Aber alle diese Dinge sind nun mal geschehen. Und sie sind alle nur deshalb geschehen, weil dein Vater ebenso habgierig wie stolz ist, was immer eine fatale Kombination abgibt. Aber er hat als junger Mann außerdem noch gelernt, wie man ein Leben im Verborgenen führt. Damals, unter den Nazis, da war das gut.
Alle bewunderten ihn. Ich glaube, er hat noch heute das Gefühl, daß alles, was gegen die Staatsgewalt unternommen wird, mutig und deshalb richtig ist. Ich glaube, er hat an die Stelle der Nazis die Polizei gesetzt. als Feind, den es zu überlisten gilt. Er denkt blitzschnell, bei Verhören verrät er nichts, er nimmt ganz kühl ungeheure Risiken auf sich, er arrangiert gnadenlos den Tod anderer Menschen. Er handelt noch immer so wie damals, als er zwanzig war. Und er wird es auch weiterhin tun.«
Die Zeit ging dahin.
«David.«
«Ja?«
«Ich muß es Ihnen erzählen«, sagte er.
Ich holte tief Luft. Sie füllte meine Lungen mit Eiseskälte.
«Na los«, sagte ich.
Er schwieg wieder. Dann sagte er:»Ich sprach während der Rennen mit Bob. Er lachte und meinte, es sei alles geregelt, Arne würde ihn nach den Rennen zum Flughafen fahren und ihm für das Päckchen noch eine Extrasumme zahlen.«
Er verstummte.
Ich wartete ab.
Dann war seine Stimme wieder zu hören, zunächst zögernd, aber dann entschlossen.
«Als die letzten Rennen geritten wurden, war es schon dunkel. Ich ging danach zum Auto, um dort auf meinen Vater zu warten. Er verspätet sich oft, weil er Mitglied des Rennausschusses ist. Ich saß im Auto und wartete auf ihn. Während der Rennen hatte ich kein Wort mit ihm gewechselt. Meistens sehe ich dort nicht viel von ihm. Er ist immer so beschäftigt.«
Er schwieg erneut. Sein Atem ging jetzt schwerer, ungleichmäßiger.
«Die meisten Autos fuhren davon. Dann kamen zwei Leute vorbei, im Scheinwerferlicht eines wegfahrenden Autos konnte ich sehen, daß es Bob und Arne waren. Ich wollte sie rufen. ich wünschte, ich hätte es getan. aber ich konnte das Fenster nicht so schnell runterkurbeln. und dann waren sie schon bei Arnes Wagen. Sie standen sich gegenüber und sprachen miteinander. Ich konnte sie nur ab und zu sehen, nämlich dann, wenn die Scheinwerfer eines heimfahrenden Autos in ihre Richtung strahlten. Ich sah, wie sich ein anderer Mann Bob von hinten näherte und den Arm hob. Er hatte etwas Glänzendes in der Hand. Dann ließ er es herabsausen.«
Er hielt inne. Schluckte ein bißchen. Fuhr fort:»Als ich das nächste Mal wieder etwas sehen konnte, waren nur noch zwei Männer da. Ich dachte. ich konnte es einfach nicht glauben… Und dann drehte sich einer der beiden um und kam auf unser Auto zu. Ich hatte eine Wahnsinnsangst.«
Er zitterte heftig.
«Aber er öffnete nur den Kofferraum und warf etwas hinein, was klirrte. Danach setzte er sich hinter das Steuer und. lächelte.«
Es entstand eine lange Pause.
«Danach«, fuhr der Junge schließlich fort,»bemerkte er, daß ich neben ihm saß, und war ganz erstaunt. Und er sagte. er sagte. >Mikkel! Ich habe völlig vergessen, daß du bei den Rennen warst.««