«Ja«, antwortete ich mit größerer Aufrichtigkeit als bei vielen anderen Anlässen dieser Art — und Arne grinste erfreut.
«Noch etwas Wein?«, fragte er, stand unruhig auf und schenkte uns beiden nach.
«Eure Wohnung ist ebenfalls sehr hübsch«, bemerkte ich.
Er warf mir über die Schulter einen überraschten Blick zu.
«Das ist auch Kari. Sie. es ist ihr Job. Für Leute Räume auszustatten. Büros, Hotels, in der Richtung.«
Ihr eigenes Wohnzimmer war ein Raum, in dem Naturholz und weiße Farbe den Charakter bestimmten, in dem Tischlampen mit pergamentartigen Schirmen ein warmes, gelbliches Licht auf jutefarbene Polstermöbel und überall verstreute Kissen in leuchtenden Farben warfen. Eine Mischung aus sorgfältigem Arrangement und Zufälligkeit, überzogen vom anheimelnden Müll eines erfüllten Lebens. Überordentliche Zimmer bedrückten mich immer — das der Kristiansens war gerade richtig.
Arne brachte mir mein Glas und setzte sich mir gegenüber nahe ans Feuer. Sein Haar, nun nicht mehr verborgen, war eher grau als blond, länger als früher und wirkte auf alle Fälle distinguierter.
«Morgen«, sagte ich,»würde ich gern mal mit dem Vorsitzenden der Rennbahn von 0vrevoll sprechen.«
Er sah überrascht aus, als hätte er den eigentlichen Grund meines Besuches vergessen.
«Ja. «Er blinzelte ein wenig.»Morgen ist Samstag. Am Sonntag ist das Grand National. Er wird am Sonntag auf der Rennbahn sein.«
Ein diebischer Jockey soll dem guten Mann nicht seinen freien Tag verderben, wollte Arne damit zum Ausdruck bringen, und deshalb zuckte ich die Achseln und sagte, der Sonntag wäre mir auch recht.
«Vielleicht besuche ich morgen dann mal Gunnar Holth.«
Aus irgendeinem Grund erfüllte Arne auch dieser Gedanke nicht mit Freude. Nach einem längeren Schweigen seinerseits fand ich heraus, daß er vorhatte, den ganzen Tag angeln zu gehen, und fürchtete, ich würde ihn bei meinem Besuch dabeihaben wollen.
«Spricht Gunnar Holth Englisch?«fragte ich ihn.
«O ja.«
«Dann gehe ich allein zu ihm.«
Er bedachte mich mit einem herzlichen Lächeln und sprang auf, um Kari zu helfen, die mit einem vollen Tablett aus der Küche zurückkehrte. Sie hatte Kaffee gemacht und mit Krabben, Käse und Ananas belegte Brote, die wir restlos aufaßen.
«Du mußt mal einen Abend herkommen«, sagte Kari.»Dann koche ich dir was Ordentliches.«
Arne pflichtete ihr wärmstens bei und machte noch eine Flasche Wein auf.
«Sie ist eine großartige kleine Köchin«, sagte er voll Besitzerstolz.
Die großartige kleine Köchin warf ihr dichtes blondes Haar zurück und streckte ihren schönen Hals. Ihr Profil hatte die gleiche Klasse, und auf einem Wangenknochen waren drei kleine braune Male, die wie sandfarbene Sommersprossen aussahen.
«Du bist uns jederzeit willkommen«, sagte sie.
Gegen ein Uhr brachte mich ein Taxi zurück ins Grand Hotel. Ich schlief schlecht, wachte um sieben auf und fühlte mich wie Henry Coopers Punchingball.
Eine Befragung des Badezimmerspiegels ergab, daß ich auf meinem linken Schulterblatt einen tellergroßen, unregelmäßig roten Fleck hatte — eine Erinnerung an zusammengestoßene
Boote. Hinzu kam, daß jede Muskelfaser unter den Qualen litt, die einem allzu große Anstrengungen am folgenden Morgen bescheren. David Cleveland war allem Anschein nach doch kein Matthew Webb.
Die Sache wurde durch Bad, Anziehen und Frühstück nicht wesentlich besser, auch nicht durch ein Telefongespräch mit Gunnar Holth.
«Wenn Sie unbedingt wollen, dann kommen Sie halt«, meinte er.»Aber ich kann Ihnen nichts sagen. Sie vergeuden nur Ihre Zeit.«
Da alle Ermittler eine Menge Zeit damit vergeuden, daß sie Leuten zuhören, die nichts zu sagen haben, fuhr ich natürlich hin. Er besaß einen an die Rennbahn angrenzenden Stallhof und hatte eine aggressive Art.
«Fragen, nichts als Fragen«, sagte er.»Da gibt’s nichts zu erzählen.«
Ich bezahlte den Taxifahrer.
«Sie hätten ihn nicht wegschicken sollen«, sagte Gunnar Holth.»Sie werden schon bald wieder gehen.«
Ich lächelte.»Ich kann auch mit der Straßenbahn zurückfahren.«
Er würdigte mich voller Widerwillen eines kurzen Blicks.
«Sie sehen nicht wie ein Funktionär des Jockey Club aus.«
«Ich würde es sehr zu schätzen wissen«, entgegnete ich,»wenn Sie mir Ihre Pferde zeigten. Arne Kristiansen meint, daß Sie sehr gute in Ihrem Stall stehen haben. die in diesem Jahr schon wichtige Preise gewonnen haben.«
Da taute er natürlich etwas auf. Er deutete auf ein großes Stallgebäude jenseits eines weiten, matschigen Platzes. Auf dem Weg dorthin zeigte er mir in seinen Stiefeln, daß ich nicht in gewienerten Halbschuhen hätte kommen sollen. Er war klein, drahtig, von mittlerem Alter und ein typischer Stallmensch, den
Pferden, so nahm ich an, näher als deren Besitzern. Und sein Englisch hatte einen irischen Akzent.
Im Stall gab es zwei lange Boxenreihen mit einem breiten Gang dazwischen. Über den meisten der Halbtüren waren Pferdeköpfe zu sehen, und drei oder vier junge Burschen schleppten Eimer mit Wasser oder Heubündel zu den Boxen.
«Sie sind gerade erst vom Training zurück«, sagte Holth.»Wir trainieren auf der Sandbahn des Platzes. «Er wandte sich nach links und öffnete die Tür der ersten Box.»Dieser Knabe läuft morgen beim Grand National. Sehen Sie sich nur mal seine Schultern an. Ist das nicht ein prachtvolles Pferd?«
«Bob Sherman hat mit ihm ein Rennen gewonnen, und zwar an dem Tag, an dem er dann verschwunden ist«, sagte ich.
Holth warf mir wortlos einen scharfen Blick zu und ging in die Box, um ein kräftig aussehendes Pferd zu tätscheln, das mehr Masse als Rasse hatte. Er betastete die Beine des Pferdes, schien zufrieden und kam zu mir zurück.
«Woher wissen Sie das?«fragte er.
Ich konnte es ihm ruhig erzählen.»Arne Kristiansen hat mir eine Liste der Rennen gegeben, bei denen Bob Sherman hier in Norwegen zuletzt geritten ist. Er meinte, daß Ihr Pferd hier wahrscheinlich das Grand National gewinnen wird. Und wenn Bob Sherman nur ein bißchen Grips hätte, dann wäre er zu diesem Rennen hergekommen und hätte danach die Tageseinnahmen geklaut, was alles in allem ein sehr viel besserer Fang gewesen wäre.«
Holth gestattete sich einen Anflug von Belustigung.»Da hat er recht.«
Wir setzten unseren Rundgang fort und bewunderten jeden einzelnen Stallbewohner. Es waren insgesamt etwa zwanzig Pferde, von denen drei Viertel bei Flachrennen liefen. Obwohl es brauchbare Tiere zu sein schienen, sah keines so aus, als könnte es Epsom im Sturm erobern. Aber nach ihrem Fell und allgemeinen Zustand zu urteilen, verstand Holth sein Handwerk.
Ein Teil des Stalles war abgetrennt worden und diente den Stallburschen als Unterkunft. Holth zeigte mir auch diese Räumlichkeiten. Schlafraum, Waschraum und Küche.
«Bob wohnte meistens hier«, sagte er.
Ich sah mich in aller Ruhe in dem großen Hauptraum mit seinem halben Dutzend Doppelstockbetten, dem nackten Bretterfußboden, dem Holztisch und den Holzstühlen um. Ein großer brauner Kachelofen und Doppelfenster mit Vorhängen, so dick wie Decken, verhießen behaglichen Schutz vor künftigem Schnee, und ein paar Kalender mit spärlich bekleideten Mädchen schmückten die Wände — aber das alles war doch himmelweit vom Grand Hotel entfernt.
«Immer?«fragte ich.
Holth zuckte die Achseln.»Er meinte, das hier sei gut genug, und er sparte die Ausgabe für das Hotel. Da ist doch wohl nichts Verkehrtes dran, oder?«
«Ganz und gar nicht«, erwiderte ich.
Er schwieg eine Weile und sagte dann:»Ein paarmal hat er auch bei einem Besitzer gewohnt.«
«Bei welchem?«
«Oh. bei dem, dem Whitefire gehört. Per Bj0rn Sandvik.«