«Wie oft?«
Holth antwortete leicht irritiert:»Was spielt das für ’ne Rolle? Zweimal, glaube ich. Ja, zweimal. Nicht beim letzten Mal, sondern die beiden Male davor.«
«Wie oft ist er insgesamt herübergekommen?«
«Vielleicht sechsmal. Oder sieben. oder achtmal.«
«Den ganzen Sommer über?«
«Im vergangenen Jahr war er nicht hier, wenn es das ist, was Sie meinen.«»Aber er kam gern?«
«Natürlich kam er gern. Alle britischen Jockeys, die eingeladen werden, kommen gern her. Gute Bezahlung, verstehen Sie?«
«Wie gut?«
«Na ja, sie bekommen die Reise bezahlt und einen Teil der Aufenthaltskosten. Dann die Teilnahmegebühren. Und die zusätzlichen Rennpreise.«
«Die zusätzlichen Rennpreise zahlt der Rennverein?«
«Nicht ganz. Also. der Rennverein zahlt den Jockeys das Geld, holt es sich aber von den Besitzern wieder, für die die einzelnen Jockeys geritten sind.«
«Demnach zahlt der Besitzer im Endeffekt so gut wie alles, die Gebühren, den Gewinnanteil, einen Teil der Reise- und Aufenthaltskosten und einen Teil der zusätzlichen Rennpreise?«
«So ist es.«
«Was geschieht, wenn nach alledem ein Jockey ein miserables Rennen reitet?«
Holth antwortete mit tödlichem Ernst:»Der Besitzer bittet den Jockey nicht noch einmal, für ihn zu reiten.«
Wir traten aus dem Stall hinaus wieder in den Schlamm. Es hatte zwar an diesem Tag nicht geregnet, aber die Drohung hing noch in der kalten, nebligen Luft.
«Kommen Sie mit rüber zu mir«, schlug Holth vor.»Trinken Sie noch einen Kaffee, bevor Sie zur Straßenbahn gehen.«
«Großartig!«sagte ich.
Er bewohnte einen kleinen Holzbungalow mit Spitzengardinen an den Fenstern und Geranientöpfen auf jedem Fensterbrett. Der Ofen im Wohnzimmer brannte schon, und darauf war in einer orangefarbenen Kanne Kaffee warmgestellt. Gunnar holte aus einem Schrank zwei Becher und eine Tüte mit Zucker.
«Hätten die Besitzer Bob Sherman gebeten, wieder für sie zu reiten?«Er schenkte den Kaffee ein, tat Zucker hinein und rührte mit einem weißen Plastiklöffel um.
«Per Bj0rn Sandvik schon. Und Sven Wangen. Das ist der Besitzer des Apfelschimmels ganz hinten im Stall. «Er dachte nach.
«Rolf Torp… na ja. Bob verlor am Tag seiner Abreise ein Rennen, und Rolf Torp war der Ansicht, daß er es mit Leichtigkeit hätte gewinnen können.«
«Und, hätte er?«
Holth zuckte die Achseln.»Pferde sind keine Maschinen«, sagte er.»Aber ich trainiere die Pferde von Rolf Torp auch nicht und kann mir deshalb kein Urteil erlauben.«
«Wer trainiert sie?«
«Paul Sundby.«
«Kommt Rolf Torp morgen zum Rennen?«
«Selbstverständlich«, erwiderte Holth.»Ihm gehört doch der Favorit des Grand National.«
«Und Sie?«fragte ich weiter.»Würden Sie ihn gebeten haben, wieder für Sie zu reiten?«
«Aber sicher«, antwortete er ohne Zögern.»Bob ist ein guter Jockey. Er beachtet, was man ihm über ein Pferd sagt. Er reitet mit dem Kopf. Man hätte ihn nicht so oft eingeladen, wenn er nicht gut wäre.«
Die Tür, die auf den Hof hinausführte, öffnete sich ganz plötzlich, und einer der Stallburschen streckte den Kopf herein. Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, fröhlich und trug eine Wollmütze mit Troddel.
«Würden Sie mal ’nen Blick auf diese verdammte Mähre werfen, Gunny?«fragte er.»Das ist vielleicht ’ne blöde Kuh.«
Der Trainer sagte, er werde gleich kommen, und der Kopf verschwand.
«Der ist ja Ire«, sagte ich überrascht.
«Sicher. Ich habe drei irische Stallburschen und einen aus Yorkshire. Und drei sind von hier. Im norwegischen Rennsport gibt’s viele Jungs aus Großbritannien.«
«Warum das?«
«Sie haben hier die Chance, an Rennen teilzunehmen. Eher als zu Hause.«
Wir tranken unseren Kaffee, der gut und stark war.
Ich fragte:»Wie ist Bob eigentlich zu den Rennen hingekommen? Hat er sich je einen Wagen geliehen?«
«Nein, ich glaube nicht. Wenn er hier bei mir war, ist er immer mit mir zur Rennbahn rübergefahren.«
«Hat er sich Ihr Auto mal ausgeliehen? Oder das eines anderen?«
«Meins nie. Ich glaube nicht, daß er jemals selbst gefahren ist, wenn er hier war.«
«Haben Sie ihn am Tag seines Verschwindens außer zum Rennen sonst noch irgendwohin gefahren?«
«Nein.«
Ich wußte aus den Unterlagen, die bei meiner Ankunft im Hotel auf mich gewartet hatten, daß man hier davon ausgegangen war, daß Bob mit dem Taxi zum Flugplatz fahren würde, um den letzten Flug nach Heathrow noch zu kriegen. Das hatte er aber nicht getan. Der bestellte Taxifahrer hatte, als Bob nicht erschien, nur die Achseln gezuckt und statt seiner ein paar andere Rennplatzbesucher in die Stadt zurückgebracht.
Damit blieben nur noch die öffentlichen Verkehrsmittel, die Taxifahrer, die Bob nicht vom Sehen kannten, sowie die Autos anderer Leute. Und außerdem noch, wie ich annahm, seine eigenen Füße. Es wäre ein Kinderspiel gewesen, die Rennbahn zu verlassen, ohne von jemandem, der ihn kannte, gesehen zu werden, vor allem, wenn das letzte Rennen, wie ich aus den
Unterlagen schließen konnte, erst nach Einbruch der Dunkelheit stattgefunden hatte.
Ich setzte meinen leeren Kaffeebecher ab, und Gunnar Holth sagte unvermittelt:»Könnten Sie sich nicht mal um Bobs Frau kümmern?«
«Seine Frau? Ich könnte mich mit ihr in Verbindung setzen, wenn ich wieder in England bin und irgend etwas Brauchbares herausgefunden habe.«
«Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf,»sie ist hier.«
«Hier?«
Er nickte.»In Oslo. Sie will partout nicht nach Hause fahren.«
«Davon hat Arne gar nichts gesagt.«
Holth lachte.»Sie folgt ihm überallhin wie ein Hund. Stellt Fragen wie Sie. Wer hat Bob gehen sehen? Mit wem ist er fortgegangen? Warum findet ihn keiner? Sie erscheint bei jedem Rennen und fragt den Leuten Löcher in den Bauch. Das wird inzwischen allen etwas viel.«
«Wissen Sie, wo sie wohnt?«
Er nickte eifrig und holte ein Stück Papier aus dem Regal.
«Im Norsland Hotel. Zweitklassig, nicht im Stadtzentrum. Hier ist ihre Telefonnummer. Sie hat sie mir gegeben, falls mir irgend etwas zu der Geschichte einfallen sollte, was weiterhelfen könnte. «Er zuckte die Achseln.»Sie tut uns allen leid, aber ich wünschte, sie würde endlich abreisen.«
«Seien Sie doch so gut und rufen Sie sie an«, sagte ich.»Sagen Sie ihr, ich würde ihr gern ein paar Fragen zu Bob stellen. Schlagen Sie ihr heute nachmittag vor.«
«Ich habe Ihren Namen vergessen«, sagte er, ohne sich zu entschuldigen.
Ich lächelte und gab ihm meine Karte. Er warf einen ungläubigen Blick erst auf sie, dann auf mich, rief aber im Norsland Hotel an. Mrs. Emma Sherman wurde an den Apparat geholt.
Holth sagte in die Sprechmuscheclass="underline" »Ein Mr. David
Cleveland. ist aus England herübergekommen, um nach Ihrem Mann zu suchen. «Er las von der Karte ab:»Chefermittler, Ermittlungsabteilung des Jockey Club, Portman Square, London. Er würde Sie gern heute nachmittag aufsuchen.«
Holth hörte sich ihre Antwort an, sah dann zu mir herüber und fragte:»Wo?«
«In ihrem Hotel. Drei Uhr.«
Er gab die Auskunft weiter.
«Sie erwartet Sie«, sagte er und legte auf.
«Gut.«
«Sagen Sie ihr, sie soll nach Hause fahren«, meinte er.
Kapitel 3
Sie erwartete mich in der kleinen Halle des Norsland Hotels. Sie saß auf der Kante eines Sessels und blickte ängstlich forschend in die Gesichter der Männer, die an ihr vorbeigingen. Ich betrat das Hotel nicht sofort, sondern beobachtete sie eine Weile durch die gläserne Eingangstür. Sie sah klein, blaß und sehr, sehr nervös aus. Zweimal stand sie halb auf und sank dann wieder zurück, als der Mann, den sie ins Visier genommen hatte, ihr keine Beachtung schenkte und vorbeieilte.