Выбрать главу

Ich schob mich schließlich durch die Tür in eine Luft, die kaum wärmer war als die draußen, was in einer komplett zentralgeheizten Stadt nicht gerade für das Management des Hotels sprach. Emma Sherman warf mir einen kurzen Blick zu und schaute dann wieder zur Tür. Ich war nicht das, was sie erwartete — erst der hinter mir eintretende Herr, etwa sechzigjährig und von militärischer Erscheinung, ließ sie wieder halb hochfahren.

Er ging an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und holte sich an der Rezeption seinen Schlüssel. Da setzte sie sich wieder und sah jetzt noch nervöser aus.

Ich trat zu ihr.

«Mrs. Sherman?«

«Oh. «Sie stand langsam auf.»Haben Sie eine Nachricht von Mr. Cleveland?«

«Ich bin David Cleveland«, sagte ich.

«Aber.«, fing sie an und verstummte dann wieder. In ihrem angespannten, müden Gesicht war jetzt auch noch Überraschung zu lesen, aber sie schien nicht mehr fähig zu sein, irgend etwas sehr deutlich zu empfinden. Aus der Nähe betrachtet, ging ihre Nervosität in einen Zustand über, der von einem totalen

Zusammenbruch nicht weit entfernt war.

Die Müdigkeit ließ ihre Haut fast durchsichtig wirken, und sie hatte dunkle Schatten unter den Augen, die die Stumpfheit ihres Blicks betonten. Sie war ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt und hätte hübsch sein sollen — ihre Gesichtsform und die Haare waren danach, aber sie hatten keine Chance. Außerdem war sie, wie mir scheinen wollte, in anderen Umständen.

«Wo können wir uns unterhalten?«fragte ich.

Sie blickte ziellos in der Lounge umher, in der es drei Sessel und einen Gummibaum, aber keine ruhige Nische gab.

«Vielleicht in Ihrem Zimmer?«schlug ich vor.

«O nein«, sagte sie sofort, und dann etwas langsamer, wie zur Erklärung:»Es ist sehr klein. nicht bequem. man kann nirgends sitzen.«

«Dann kommen Sie«, sagte ich.»Wir suchen uns ein Cafe.«

Sie folgte mir hinaus auf die Straße, und wir schlugen die allgemeine Richtung zum Grand Hotel ein.

«Werden Sie ihn finden?«fragte sie und fügte dann hinzu:

«Bitte finden Sie ihn!«

«Ich werde mein Bestes tun.«

«Er hat dieses Geld nicht gestohlen«, sagte sie.»Ganz bestimmt nicht.«

Ich sah sie an. Sie zitterte und war noch blasser geworden. Ich blieb stehen und schob meine Hand unter ihren Ellbogen. Ihr Blick wurde glasig, sie versuchte etwas zu sagen und sank mir ohnmächtig in die Arme. Selbst ein bewußtloses Mädchen, das kaum Gewicht auf die Waage bringt, ist auf die Dauer schwer zu halten. Auf das kalte Pflaster konnte ich sie jedoch auch nicht legen. Zwei vorübergehende Fremde hatten zwar freundliche Gesichter, verstanden aber kein Englisch, und ein dritter, der die Sprache verstand, murmelte etwas von Schande, schon um vier Uhr nachmittags derart betrunken zu sein, und hastete weiter.

Ich hielt Emma, meine Arme unter den ihren, gegen mich gelehnt und bat die Frau, die als nächste vorbeikam, uns ein Taxi zu rufen.

Auch sie betrachtete uns mißbilligend und trat den Rückzug an aber da kam uns, nachdem er ihr einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte, ein etwa sechzehnjähriger Junge zu Hilfe.

«Ist sie krank?«erkundigte er sich. Sein Englisch war von übertriebener Korrektheit, in der Schule gelernt.

«Ja, das ist sie. Kannst du uns ein Taxi rufen?«

«Klar. Ich komme wieder. Sie werden. «Er dachte nach, fand das gesuchte Wort:». warten?«

«Ich werde warten«, versprach ich ihm.

Er nickte ernst und schoß um die nächste Straßenecke davon, eine schmale Gestalt in der allgegenwärtigen Uniform der Jugend — Bluejeans und eine wattierte Jacke. Er hielt Wort, kam mit einem Taxi zu uns zurück und half mir, die junge Frau hineinzusetzen.

«Herzlichen Dank«, sagte ich.

Er strahlte.»Ich lerne Englisch«, sagte er.

«Du kannst es schon sehr gut.«

Als das Taxi davonfuhr, winkte er uns nach — es war eine für beide Seiten höchst zufriedenstellende Begegnung gewesen.

Emma Sherman kam während der kurzen Fahrt langsam wieder zu sich, was den Taxifahrer zu beruhigen schien. Er konnte kein Englisch — ausgenommen ein einziges Wort, das er mindestens zehnmal mit Nachdruck wiederholte, nämlich» Arzt«.

«Ja«, stimmte ich ihm zu,»ja, im Hotel.«

Er zuckte die Achseln und fuhr uns hin. Er half mir dabei, sie in die Empfangshalle zu bringen, und als sie endlich sicher in einem Sessel saß, nahm er das Fahrgeld entgegen.

«Arzt«, sagte er noch einmal, als er sich zum Gehen wandte, und ich sagte noch einmaclass="underline" »Ja.«

«Nein«, sagte Bob Shermans Frau kaum hörbar.»Was ist passiert?«

«Sie sind ohnmächtig geworden«, antwortete ich kurz.»Und ob nun Arzt oder nicht, Sie müssen sich unbedingt hinlegen. Also, kommen Sie mit rauf. «Es gelang mir, sie auf die Füße zu stellen. Ich führte sie zum Lift und fuhr mit ihr die eine Etage zu meinem Zimmer hinauf. Sie ließ sich ohne weitere Umstände aufs Bett fallen und blieb mit geschlossenen Augen liegen.

«Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mal Ihren Puls fühle?«fragte ich.

Sie antwortete weder auf die eine noch auf die andere Weise, weshalb ich mit den Fingern ihr Handgelenk abtastete, bis ich den langsamen Herzschlag spürte. Ihr Arm war schweißnaß, obwohl deutlich kalt, und sie sah alles in allem beunruhigend schwach aus.

«Haben Sie Hunger?«erkundigte ich mich.

Sie drehte den Kopf als zögernde Verneinung auf dem Kopfkissen hin und her, aber ich vermutete, daß an ihrem Zustand neben der Überanstrengung auch schlichter Nahrungsmangel schuld sein mußte. Sie war viel zu sehr in Sorge gewesen, um an sich selbst denken zu können, und außerdem war das Essen in Norwegen teuer.

Eine telefonische Beratung mit dem Hotelrestaurant führte dazu, daß mir eine Kraftbrühe, Brot und Käse zugesagt wurden.

«Und Brandy«, sagte ich.

«Kein Brandy, Sir. Nicht am Samstag und nicht am Sonntag. Das ist eine gesetzliche Bestimmung.«

Man hatte mich darauf aufmerksam gemacht, aber ich hatte es vergessen. Erstaunlich, ein Land gefunden zu haben, dessen Konzessionsbestimmungen noch verrückter waren als die

Großbritanniens. In meinem Zimmer gab es jedoch einen kleinen Kühlschrank, der neben Orangensaft und Mineralwasser auch ein Viertelfläschchen Champagner enthielt. Ich hatte immer gefunden, daß guter Schampus durch die Abfüllung in kleine Flaschen verdorben wird, aber es gibt eben für alles eine passende Gelegenheit. Emma meinte, sie könne, sie dürfe nicht, aber dann trank sie doch und sah schon nach fünf Minuten aus wie eine vor längerer Zeit gepflückte Blume, die gerade noch rechtzeitig in die Vase gekommen ist.

«Es tut mir leid«, sagte sie und nippte, auf einen Ellbogen gestützt, von der goldgelb perlenden Flüssigkeit in meinem Zahnputzbecher.

«Aber ich bitte Sie.«

«Sie müssen mich für ziemlich durchgedreht halten.«

«Nein.«

«Es ist nur. es scheint überhaupt keinen mehr zu interessieren, wo er geblieben ist. Sie sagen bloß, daß sie ihn nicht finden können, sie suchen nicht mal nach ihm.«

«Sie haben gesucht«, fing ich an, aber sie war noch nicht bereit, mir zuzuhören.

«Dann meinte Gunnar Holth. der Jockey Club hätte seinen Chefermittler hergeschickt. und da hab ich den ganzen Tag so sehr gehofft, daß ihn endlich einer finden würde, und dann. und dann. Sie.«

«Ich bin nicht die Vaterfigur, auf die Sie gehofft haben«, sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf.»Ich hatte nicht erwartet, daß Sie noch so jung sind.«

«Was ist Ihnen denn nun wichtiger«, fragte ich,»eine Vaterfigur oder jemand, der Bob findet?«Aber sie war noch nicht an den Punkt gelangt, wo sie erkennen konnte, daß beides nicht notwendig zusammenhing. Sie brauchte den Trost so sehr wie die Suche.

«Er hat dieses Geld nicht gestohlen«, sagte sie.