»Was führt Sie in die Stadt, Commander? Ich dachte, Sie wollten packen und starten.«
»Wir — verschieben um vier Tage.«
»So? Haben Sie etwas Brauchbares, das zu berichten sich lohnt? Nicht, daß ich — «
»Geben Sie’s auf, Kross. Wir sind mit dem Handel für diese Saison fertig. Sie haben freies Feld. Lassen Sie mich jetzt in Ruhe, ja?« Er ging schneller, aber der Rigelaner hielt mit schiefem Lächeln Schritt.
»Sie wirken verstört, Commander.«
Warshow sah den anderen ungeduldig an und wünschte sich, vor dem Rigelaner offen reden zu können.
»Ich bin streng geheim unterwegs, Kross. Bestehen Sie darauf, mich zu begleiten?«
Die schmalen Lippen grinsten kalt.
»Durchaus nicht, Commander Warshow. Ich wollte nur höflich sein und Sie ein Stück begleiten, um Neuigkeiten auszutauschen. Wenn Sie in vier Tagen fliegen, sind wir schließlich keine Konkurrenten mehr, und — «
»Genau.«
»Was hört man von einem Ihrer Besatzungsmitglieder? Er soll mit einer Eingeborenen zusammenleben?« fragte Kross plötzlich.
Warshow fuhr herum und funkelte den anderen an.
»Nichts!« fauchte er. »Hören Sie? Nichts daran ist wahr!«
Kross lachte leise in sich hinein, und Warshow begriff, daß er in der tödlich-kalten Rivalität zwischen Terraner und Rigelaner, zwischen Mensch und Sohn des Menschen, eindeutig einen Punkt verloren hatte. Die genetische Drift war für die Domnik Krosses verantwortlich — ein wenig Chromosomenlooping auf einem kolonisierten Planeten, eine Spur Inzucht über zehn Generationen hinweg, und es war eine neue Nebengattung entstanden: eine fremde Nebengattung, die wenig Zuneigung für ihre Vorfahren aufbrachte.
Sie erreichten eine Gabelung, und der Commander wandte sich impulsiv nach links. Erleichtert stellte er fest, daß Kross ihm nicht folgte.
»Bis zum nächsten Jahr!« sagte der Rigelaner.
Warshow brummte etwas und ging die schmutzige Straße entlang, froh darüber, Kross so schnell losgeworden zu sein. Die Rigelaner waren üble Kunden, dachte er. Sie waren immer eifersüchtig auf die Mutterwelt und ihre Menschen, stets bemüht, ihnen auf Welten wie Kollidor bei gewinnbringenden Unternehmungen zuvorzukommen.
Wegen Kross gehe ich jetzt dorthin, wo ich hinwill, überlegte Warshow. Der Druck durch die Rigelaner zwang die Menschen, in der ganzen Galaxis den Schein zu wahren. Die Bürde der Erdbewohner, nannten die Terraner das inoffiziell. Einen Deserteur auf Kollidor zurückzulassen, würde das Prestige der Erde in den Augen des ganzen Universums gefährden — und die schlauen Rigelaner würden dafür sorgen, daß man es überall erfuhr.
Warshow kam sich eingeengt vor. Als er sich der Wohnung näherte, wo Falk untergekommen war, spürte er, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterlief.
»Ja, bitte?«
Warshow stand an der Tür, ein wenig entsetzt von Anblick und Geruch. Eine Kollidorerin stand vor ihm. Guter Gott, dachte er. Eine Schönheit ist sie wirklich nicht.
»Ich bin — Commander Warshow«, sagte er, »Von der ›Magyar‹. Matts Schiff. Darf ich hereinkommen?«
Der schließmuskelartige Mund verzog sich zu dem, was Warshow wohl als freundliches Lächeln ansehen sollte.
»Gewiß. Ich hatte schon gehofft, daß Sie kommen. Matt spricht viel von Ihnen.« Sie trat von der Tür zurück, und Warshow trat ein. Der scharfe, durchdringende Geruch stieg ihm in die Nase. Es war eine ungestrichene Zweizimmerwohnung; hinter dem Zimmer, in dem sie standen, sah Warshow ein zweites, etwas größer und unordentlicher, mit Küchengeräten. Ungespültes Geschirr war im Spülbecken gestapelt. Zu seiner Überraschung sah er in dem zweiten Raum ein ungemachtes Bett… und ein zweites im Vorderzimmer. Einzelbetten. Er runzelte betroffen die Stirn und wandte sich dem Mädchen zu.
Sie war fast so groß wie er und viel breiter. Ihre braune Haut war dick und matt und glich eher einem Fell; ihr Gesicht war breit und schlicht, mit zwei flachen, glanzlosen Augen, einer grotesken Nasenknolle und einem viellippigen Netzmund. Das Mädchen trug ein formloses schwarzes Gewand, das bis auf die dicken Knöchel hinunterhing. Sie mochte ein Gipfel kollidorischer Schönheit sein, Warshow konnte das nicht beurteilen, aber ihre Reize schienen bei einem normalen Menschen kaum großes Begehren auslösen zu können.
»Sie sind Thetona, ist das richtig?«
»Ja, Commander Warshow.« Dumpfe, tonlose Stimme.
»Darf ich mich setzen?« fragte er. Er machte Umschweife und zögerte, setzte sich umständlich und schlug die Beine übereinander. Das Mädchen starrte ihn an wie eine Kuh, blieb aber stehen.
Nach einer peinlichen Pause sagte sie: »Sie wollen, daß Matt mitfliegt, nicht wahr?«
Warshow wurde rot und biß die Zähne zusammen.
»Ja. Unser Schiff startet in vier Tagen. Ich bin hergekommen, um ihn zu holen.«
»Er ist nicht da«, sagte sie.
»Ich weiß. Er ist im Stützpunkt. Er wird bald wiederkommen.«
»Sie haben ihm nichts getan?« fragte sie ängstlich.
Er schüttelte den Kopf.
»Ihm fehlt nichts.« Er sah sie scharf an. »Er liebt Sie, nicht wahr?«
»Ja.« Aber die Antwort wirkte zögernd.
»Und Sie lieben ihn?«
»O ja«, sagte Thetona herzlich. »Gewiß.«
»Verstehe.« Warshow befeuchtete die Lippen. Es würde schwierig werden. »Vielleicht erzählen Sie mir, wie Sie sich verliebt haben? Ich bin neugierig.«
Sie lächelte — jedenfalls nahm er an, daß es ein Lächeln war.
»Ich habe ihn zwei Tage nach Ihrer Ankunft kennengelernt. Ich ging durch die Straßen und sah ihn. Er saß am Straßenrand und weinte.«
»Was?«
Ihre flachen Augen schienen sich zu trüben.
»Saß da und schluchzte. Es war das erstemal, daß ich einen Menschen von der Erde gesehen habe — weinend, meine ich. Er tat mir furchtbar leid. Ich ging zu ihm. Er war wie ein kleiner Junge, der sich verirrt hat.«
Warshow hob erstaunt den Kopf und starrte ungläubig in das Gesicht des fremden Wesens. Verdammt! dachte er. Das Mädchen ist beinahe menschlich! Beinahe —
»War er krank?« fragte er heiser. »Warum hat er geweint?«
»Er war einsam«, sagte Thetona ruhig. »Er hatte Angst. Vor mir, vor Ihnen, vor allen. Ich sprach mit ihm, dort am Straßenrand, viele Minuten lang. Dann bat er mich, mitkommen zu dürfen. Ich wohne hier allein. Er kam mit. Und — seitdem ist er hiergewesen.«
»Und er will für immer hierbleiben?«
Der breite Kopf wackelte bestätigend.
»Wir mögen einander sehr. Er ist einsam, er braucht jemanden, mit dem — «
»Das genügt«, sagte Falks Stimme plötzlich.
Warshow fuhr herum. Falk stand mit finsterem Gesicht unter der Tür. Die Narbe an seinem Gesicht wirkte entzündet, obwohl Warshow sicher war, daß das nicht sein konnte.
»Was machen Sie hier?« fragte Falk.
»Ich besuche Thetona«, sagte Warshow gelassen. »Ich habe nicht erwartet, daß Sie so schnell zurückkommen.«
»Das weiß ich. Ich ging einfach, als Cullinan mich anhalten wollte. Vielleicht gehen Sie jetzt.«
»Sie sprechen mit einem Vorgesetzten«, sagte Warshow. »Wenn ich — «
»Ich bin vor zehn Minuten ausgetreten«, knurrte Falk. »Sie sind nicht mein Vorgesetzter! Verschwinden Sie!«
Warshow erstarrte. Er sah flehend zu dem Mädchen hinüber, das ihre sechsfingrige, dicke Hand auf Falks Schulter legte und seinen Arm streichelte. Falk machte sich los.
»Nicht«, sagte er. »Also — gehen Sie jetzt? Thetona und ich wollen allein sein.«
»Bitte, gehen Sie, Commander Warshow«, sagte das Mädchen leise. »Regen Sie ihn nicht auf.«
»Aufregen? Wer ist aufgeregt?« brüllte Falk. »Ich — «
Warshow saß ausdruckslos da, bewertete und analysierte, und beachtete im Augenblick nicht, was vorging.
Falk würde zur Behandlung ins Schiff zurückgebracht werden müssen. Es gab keine Alternative, das sah Warshow ein. Die sonderbare Beziehung zu dem fremden Wesen mußte zerrissen werden.