Er stand auf und hob die Hand.
»Mr. Falk, lassen Sie mich etwas sagen.«
»Nur zu, aber schnell, weil ich Sie in zwei Minuten hinauswerfe.«
»Ich brauche keine zwei Minuten«, sagte Warshow. »Ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß Sie festgenommen und hiermit angewiesen sind, unter meiner Obhut auf der Stelle zum Stützpunkt zurückzukehren. Wenn Sie sich weigern, wird es erforderlich sein — « Der Satz wurde nicht ganz ausgesprochen. Falks Augen blitzten zornig, und er war mit drei langen Schritten bei Warshow. Er packte den kleineren Commander an den Schultern und schüttelte ihn heftig.
»Hinaus!« kreischte er.
Warshow lächelte bedauernd, trat einen Schritt zurück und zog die Betäubungspistole aus dem Gürtel. Er feuerte einen starken, schnellen Strahl auf Falk ab, und als der große Mann zu Boden sank, fing Warshow ihn auf und ließ ihn auf einen Stuhl gleiten.
Thetona fing an zu weinen. Große Tropfen bernsteinfarbener Flüs sigkeit drangen aus ihren Augen und rollten über ihre Backen.
»Bedaure«, sagte Warshow. »Das mußte sein.«
Es mußte sein. Es mußte sein.
Es mußte sein.
Warshow ging in seiner Kabine hin und her, und sein Blick zuckte nervös von der Nietenreihe an der Decke zu den grauen Wänden, zu dem schlafenden Matt Falk, und schließlich zu dem wartenden, finsteren Gesicht von Cullinan.
»Wollen Sie ihn wecken?« fragte Cullinan.
»Nein. Noch nicht.« Warshow marschierte hin und her und versuchte seine Handlungen vor sich zu rechtfertigen. Es vergingen Minuten. Schließlich trat Cullinan hinter dem Feldbett hervor, wo Falk lag, und griff nach Warshows Arm.
»Leon, sagen Sie doch, was mit Ihnen los ist.«
»Fangen Sie nicht bei mir an!« fauchte Warshow. Dann schüttelte er bedauernd den Kopf. »Das war nicht mein Ernst.«
»Sie haben ihn vor zwei Stunden ins Schiff gebracht«, sagte Cullinan. »Meinen Sie nicht, daß wir etwas tun sollten?«
»Was können wir denn tun?« fuhr Warshow ihn an. »Sollen wir ihn wieder diesem Wesen zurückgeben? Ihn umbringen? Vielleicht ist das die beste Lösung — stopfen wir ihn in die Konverter und starten wir.«
Falk regte sich.
»Bestrahlen Sie ihn noch einmal«, sagte Warshow hohl. »Die Betäubung läßt nach.«
Cullinan gebrauchte seine Waffe, und Falk erschlaffte.
»Wir können ihn nicht ewig schlafen lassen«, meinte Cullinan.
»Nein, das können wir nicht.« Die Zeit wurde knapp. In drei Tagen sollte der Start stattfinden, und er wagte nicht, ihn noch einmal zu verschieben. Aber wenn sie Falk zurückließen und es sich herumsprach, daß ein verrückter Erdbewohner auf Kollidor herumlief, oder daß Erdbewohner überhaupt verrückt werden konnten —
Und darauf gab es keine Antwort.
»Therapie«, sagte Cullinan leise.
»Für eine Analyse bleibt keine Zeit«, erklärte Warshow sofort. »Drei Tage, das ist alles.«
»Ich meine nichts Vollständiges. Aber wenn wir ihm eine Hemmdroge geben, seine Feindseligkeit bei Gesprächen mit uns herausfiltern und ihn durch seine Erinnerungen führen, könnten wir auf etwas stoßen, das uns weiterbringt.«
Warshow fröstelte.
»Gehirnbaggern, wie?«
»Meinetwegen, nennen Sie es so. Aber holen wir heraus, was ihn umgeworfen hat, sonst ruiniert uns das alle. Sie, mich — und das Mädchen.«
»Sie glauben, daß wir es finden?«
»Wir können es versuchen. Kein Erdbewohner, der bei Verstand ist, würde eine sexuelle Beziehung dieser Art wollen — oder irgendeine Gefühlsbindung zu einem fremden Wesen. Wenn wir finden, was ihn dazu gebracht hat, können wir seine neurotische Fixierung vielleicht durch brechen und erreichen, daß er freiwillig mitfliegt. Es sei denn, Sie sind bereit, ihn zurückzulassen. Ich verbiete jedenfalls, daß er in diesem Zustand mitgenommen wird.«
»Versteht sich.« Warshow wischte sich den Schweiß ab und sah hinüber zu Falk, der unter der Wirkung des Betäubungsstrahls weiterträumte. »Ein Versuch lohnt sich. Wenn Sie glauben, daß Sie es schaffen, bitte. Ich übergebe ihn in Ihre Hände.«
Cullinan lächelte.
»Das ist der einzige Weg. Wir erforschen, was mit ihm geschehen ist, und zeigen es ihm. Das müßte die Schale knacken.«
»Hoffentlich«, sagte Warshow. »Es liegt an Ihnen. Wecken Sie ihn und bringen Sie ihn zum Reden. Sie wissen, was Sie zu tun haben.«
Eine schwere Wolke drogenhaltiger Luft hing in der Kabine, als Cullinan seine Vorbereitungen abschloß. Falk regte sich und begann sich ins Bewußtsein hochzutasten. Cullinan reichte Warshow einen Ultraschall-Injektor, der mit einer klaren, funkelnden Flüssigkeit gefüllt war.
Gerade, als Falk die Augen öffnen zu wollen schien, beugte Cullinan sich über ihn und begann leise, ruhig, beruhigend zu sprechen. Falks Stirnrunzeln verschwand, und er beruhigte sich.
»Geben Sie ihm die Droge«, flüsterte Cullinan. Warshow berührte zögernd Falks gebräunten Unterarm mit dem Injektor. Das Mittel verschwand unter der Haut. Warshow gab ihm drei Kubikzentimeter.
Falk stöhnte leise.
»Es wird ein paar Minuten dauern«, sagte Cullinan.
Der Uhrzeiger rotierte langsam. Nach einer Weile zuckten Falks schlafschwere Lider. Er öffnete die Augen und blickte hinauf, anscheinend, ohne etwas zu sehen.
»Hallo, Matt. Wir sind hier, um mit Ihnen zu reden«, sagte Cullinan. »Oder vielmehr, wir wollen, daß Sie mit uns reden.«
»Ja«, sagte Falk.
»Fangen wir mit Ihrer Mutter an, ja? Sagen Sie uns, was Sie von Ihrer Mutter in Erinnerung haben. Gehen Sie zurück.«
»Meine — Mutter?« Die Frage schien Falk zu verwirren, und er blieb fast eine Minute stumm. Dann befeuchtete er die Lippen. »Was wollen Sie über sie wissen?«
»Sagen Sie uns alles«, drängte Cullinan.
Es blieb still. Warshow ertappte sich dabei, daß er den Atem anhielt.
Schließlich begann Falk zu sprechen.
Warm. Geborgen. Halt mich. Mama.
Bin ganz allein. Es ist Nacht, und ich weine. Mein Bein ist eingeschlafen, und die Nachtluft riecht kalt. Ich bin drei Jahre alt und ganz allein.
Hältst du mich fest, Mama?
Ich höre Mama die Treppe heraufkommen. Wir haben ein altes Haus mit Treppen, in der Nähe des Raumflughafens, wo die großen Schiffe starten. Mama hält mich jetzt fest, und ich spüre ihren sanften Duft. Mama ist groß und rosig und weich. Papa ist auch rosig, aber er riecht nicht warm. Onkel ist genauso.
Ah, ah, Baby, sagt sie. Sie ist im Zimmer und hält mich fest. Das ist gut. Ich werde ganz schläfrig. In ein paar Minuten werde ich einschlafen. Ich mag meine Mama sehr.
»Ist das Ihre erste Erinnerung an Ihre Mutter?« fragte Cullinan. »Nein. Ich glaube, es gibt noch eine frühere.«
Dunkel hier. Dunkel und sehr warm und feucht und schön. Ich bewege mich nicht. Ich bin ganz allein hier, und ich weiß nicht, wo ich bin. Es ist, als schwimme man im Meer. In einem großen Meer. Die ganze Welt ist ein Meer. Es ist schön hier, wirklich schön. Ich weine nicht.
Jetzt tauchen blaue Nadeln in der Schwärze auf. Farben… aller Art. Rot und grün und zitronengelb, und ich bewege mich! Da ist Schmerz und Druck und — oh! — es wird kalt. Ich ersticke! Ich klammere mich fest, aber ich werde in der Luft hier draußen ertrinken! Ich —
»Das genügt«, sagte Cullinan hastig. »Geburtstrauma«, erklärte er Warshow. »Scheußlich. Braucht er nicht noch einmal alles durchzumachen.«
Warshow fröstelte ein wenig und wischte sich die Stirn.
»Soll ich weitererzählen?« fragte Falk. »Ja.«
Ich bin vier, und draußen regnet es. Die ganze Welt ist grau geworden. Mama und Papa sind fort, und ich bin wieder allein. Onkel ist unten. Ich kenne Onkel gar nicht richtig, aber er scheint die ganze Zeit hierzusein. Mama und Papa sind viel fort. Allein sein ist wie ein kalter Regensturm. Es regnet hier viel.