Während wir unseren Gedanken nachhingen und auf weitere Einfälle hofften, schaufelte Troll zwei Teelöffel Zucker und einen halben Teelöffel Salz in den grünen Tee. Die Dame am Nebentisch versuchte inzwischen gar nicht mehr, ihren starrenden Blick zu verbergen. Sie trug Flieder, was mich in Verbindung mit dem leichten Violett ihrer Haarpracht an die frühere First Lady Barbara Bush erinnerte. Troll grüßte freundlich.
Die Dame griff sich entrüstet an ihre Perlenkette und drehte sich demonstrativ weg.
»Putzteufel«, schlug Troll mit einem breiten Grinsen und einer Handbewegung zur Fliedertante vor.
»Perle«, murmelte ich, von der Kette der Nachbarin inspiriert. »Eine Putzfrau wird auch Perle genannt.«
»Super«, sagte Troll. »Dann nenn dein Unternehmen ›Perlen für die Säue‹. Damit beschreibst du zugleich die Dienstleistung und die Zielgruppe. Sehr effizient.«
Ich hatte alle Vorschläge mitgeschrieben und starrte auf das Blatt, das auf dem kleinen Tischchen vor mir lag. Eins dieser Worte würde, sobald ich mich dafür entschied, mein Leben beherrschen. Es würde auf meinen Visitenkarten stehen, auf meinem Briefpapier, auf dem Auto, das ich mir würde anschaffen müssen, und es würde immer mit meinem Namen in Verbindung gebracht werden. Mit welchem dieser Worte könnte ich mich wohlfühlen? Welches Wort brachte am besten die Idee, die dahintersteckte, zum Ausdruck? Welches Wort würde bei potenziellen Kunden für ein gutes Gefühl sorgen? Für Vertrauen.
»Bis jetzt zielen alle diese Namen nur auf die Hausreinigung ab«, analysierte Troll mit einem schrägen Blick auf den Zettel. »Vielleicht finden wir einen Begriff, der auch den Gärtnerservice, die Handwerksarbeiten und die Urlaubsbetreuung einschließt.«
Wir schwiegen einige Minuten.
»Das kann doch nicht so schwer sein«, sagte Troll genervt. »Sag ein paar Adjektive, die das Resultat deiner Dienstleistung beschreiben«, forderte sie mich auf.
Ich blickte sie verständnislos an.
»Wiewörter«, erklärte Troll. »Zum Beispiel sauber.«
»Aha«, sagte ich.
»Sauber beschreibt den Reinigungsteil. Sicher wäre ein Wort für die Urlaubsbetreuung. Jetzt bist du dran. Wir brauchen noch ein Adjektiv für Handwerksleistung oder Gartenarbeit.«
Ich murmelte: »Sauber… sicher… Schutzengel!«
Troll blickte mich verärgert an, doch dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck langsam aber sicher hin zu einem breiten Grinsen.
»Schmutzengel!«
»Hm.«
Sie stieß mich in die Seite. »Hey, das ist echt gut. Nicht nur, weil es von mir kommt.«
»Hört sich das nicht irgendwie – schmutzig an?«, fragte ich verunsichert.
»Findest du Putzteufel etwa besser?«, fragte Troll ungeduldig.
Ich schüttelte den Kopf, schrieb Schmutzengel auf den Zettel. Starrte das Wort an. Es wurde mir immer sympathischer. Ein Engel. Engelsgleiches Haar habe ich, das sagten mir die Leute, seit ich drei Jahre alt war. Engel sind in strahlend weiße Gewänder gekleidet, von hellem Licht umgeben und ganz sauber. Engel helfen den armen Erdenmenschen, wenn diese mit ihrem Hausputz nicht fertig werden.
Ein Schmutzengel.
Ja, das wollte ich sein. Ich blickte Troll an und nickte. Sie streckte mir mit strahlenden Augen die Hand über den Tisch entgegen. Ich ergriff sie und einen Moment schüttelten wir uns in feierlichem Ernst die Hände. Dann grinsten wir uns an wie zwei Kinder, die ein Abenteuer ausgeheckt haben.
Ich war wahnsinnig aufgeregt. »Hilfst du mir?«, fragte ich atemlos. »Ich brauche ein Logo, Briefpapier, Visitenkarten, einen Werbeflyer, einen Internetauftritt…«
Sie sah mich über den Löffel, den sie sich wieder in den Mund gesteckt hatte, hinweg an. »Du willst das wirklich durchziehen?«, fragte sie.
Ich war aufgeregt, etwas beunruhigt, von meinem Mut selbst überrascht, aber vor allem eins: fest entschlossen.
»Ja.« Ich straffte mich, so gut es ging nach einunddreißig Jahren leicht gebückter Haltung, um nicht ganz so groß zu wirken. »Ich werde Unternehmerin.«
Troll schüttelte den Kopf, nahm den Löffel aus dem Mund, klopfte damit der Dame am Nebentisch auf die Schulter und flüsterte ihr zu: »Die da«, wobei sie mit dem Löffel auf mich wies, »die ist verrückt.«
Es stand der Dame am Nebentisch zweifelsfrei ins Gesicht geschrieben, wen von uns beiden sie für verrückt hielt, aber sie sagte nichts, wischte nur mit ihrer fetten, vielfach beringten Hand über die Schulter, wo der Löffel sie berührt hatte, warf mir noch einen strafenden Blick zu und wandte sich von uns ab.
»Okay, ich übernehme deine Werbung. Erster Schritt ist eine Posterkampagne eines nackten Engelchens mit Wischmop, danach kommt eine Großaufnahme von dir mit beiden Armen in der Kloschüssel und zum Schluss deine Telefonnummer mit dem Hinweis, dass Männer mit einem schmutzigen Geheimnis sich bei dir melden sollen.«
Ich nickte und winkte der Kellnerin. »Zwei Gläser Sekt, bitte.«
4
Auf dem Weg zu meinem eigenen Unternehmen wurde ich langsam aber stetig immer schlanker. Meine Gewichtszunahme in den vergangenen Jahren hatte hauptsächlich zwei Ursachen gehabt. Erstens war sie auf die Übernahme der Werbeaktivitäten für einen großen Süßwarenhersteller durch AIQ zurückzuführen. Mit Beginn der Zusammenarbeit nahm der Schokospezialist seine monatlichen Lieferungen an die Agentur auf und bald standen auf jedem Schreibtisch große Schalen mit Energieriegeln, Trüffeltörtchen und Schokomandeln. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich mir für das Mittagessen immer noch ein Vollkornbrötchen und etwas Obst mit ins Büro genommen, aber diese Tradition wurde von den zart schmelzenden Verlockungen hinterrücks beendet. Der zweite Grund war die wenige Bewegung. Meine Fußmärsche nahm ich ab sofort wieder auf, und seit meiner Kündigung hatte ich Süßes kaum mehr angesehen, geschweige denn gegessen. Selbst die Nuss-Nougat-Creme hatte ich hauptsächlich gekauft, um Sue zu ärgern, die gegen Haselnüsse allergisch ist und davon Ausschlag bekommt. Außerdem hatte ich wenig Zeit zum Essen und immer noch häufig genug Frust wegen Greg im Bett nebenan oder Stress wegen endloser Formulare, was mir beides mit absoluter Verlässlichkeit den Appetit verdirbt. Meine Kleidergröße hatte sich um zwei Größen verringert.
An eine »Besserung« des Stresslevels war nicht zu denken, denn die Formulare, die zur Beantragung auf Gewährung eines Existenzgründungszuschusses zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit ausgefüllt werden mussten, waren nicht einmal die Spitze der Herausforderung. Nein, es musste auch noch ein Businessplan einschließlich Investitions- und Umsatzplanung, Positionierung des Unternehmens im bestehenden Marktgefüge, Kapitalbedarf und Finanzierungskonzept sowie eine Umsatz- und Rentabilitätsvorschau erstellt werden.
Davon abgesehen wusste ich, dass ich mindestens eine wirklich pfiffige Mitarbeiterin benötigte sowie einen guten Draht zu einigen Handwerkern und Catering-Unternehmen, aber ich hatte bisher weder eine Idee, wo ich das Personal noch wie ich die Kontakte herbeizaubern sollte. Und das Geld für die diversen Investitionen hatte ich auch nicht. Da war familiäre Hilfe gefragt.
Meine Familie ist in Ordnung. Ich habe einen älteren Bruder, der so viel älter ist, dass er mein Onkel sein könnte. Er ist nett, aber wir haben uns nicht viel zu sagen. Meine Eltern hatten sich seinerzeit mit ihrem einzigen Sohn abgefunden, die Kinderphase eigentlich als abgeschlossen betrachtet und sich auf ein ruhigeres Leben gefreut, als ich ungeplant in selbiges trat. Vielleicht hat diese Tatsache unser Verhältnis nicht ganz so herzlich werden lassen, wie es in anderen Familien der Fall ist, aber meine Oma entschädigte mich für alles. Meine Oma bewirtschaftete mit ihrem Mann einen Bauernhof, auf dem es für mich immer etwas zu entdecken gab. Das Zentrum der Omawelt war die Küche, in der sie kochte, buk, Gemüse und Obst einweckte und mir bei den Schulaufgaben half. Dort heulte ich wegen aufgestoßener Knie und wurde mit Pflastern und Trostpflästerchen versorgt. Dort heulte ich auch meinen ersten richtigen Liebeskummer aus, der mich gegen Ende der vierten Grundschulklasse ereilte. Er dauerte etwa drei Tage und hinterließ, dank Omas guter Pflege, keine bleibenden Schäden. In Omas Küche lernte ich die Sache mit den Blumen und den Bienen kennen und Oma war es, die mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag, an dem meine Mutter mir ein rosafarbenes Blümchenkleid mit Rüschen schenkte, zu einem Termin beim Frauenarzt riet.