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»Besser zu früh als zu spät«, sagte sie damals, und ich hatte eine blasse Ahnung, was sie damit meinte. Oma war sechzehn gewesen, als sie mit meinem Vater schwanger wurde.

Den Termin nahmen wir gemeinsam wahr und die Tatsache, dass ihr Frauenarzt eine anzügliche Bemerkung über Omas frühe Schwangerschaft und ihre wohlmeinende Vorsorge für die Enkelin machte, war ausschließlich mir peinlich. Oma und der Arzt kannten sich seit vierzig Jahren und gingen sehr vertraut miteinander um.

Wie immer, wenn ich praktischen Rat und Hilfe brauchte, setzte ich also auch in meiner Existenzgründungsphase auf meine Oma. Da Weihnachten vor der Tür stand, fuhr ich über die Feiertage sowieso zu ihr. Sie holte mich wie immer vom Zug ab und drückte mich schon auf dem Bahnsteig so fest, dass ich kaum noch Luft bekam.

»Wir sind eine richtige WG über die Feiertage, du musst auf der Couch im Wohnzimmer schlafen«, eröffnete sie mir im Auto. »Lisbeth wohnt zurzeit bei mir, auch wenn sie die meiste Zeit nicht da ist.«

Bevor ich nach Details fragen konnte, berichtete Oma bereits von ihrer letzten Reise, die sie nach Argentinien und Chile geführt hatte. Ich bemühte mich, ihren Erzählungen zu folgen, bemerkte aber selbst, dass meine Gedanken immer wieder abschweiften.

Omas Wohnung hatte sich seit meinem letzten Besuch im September nicht wesentlich verändert, außer dass das Gästezimmer, das sich Oma für meine Besuche gönnte, nun von besagter Lisbeth belegt war.

»Lisbeth von der Teufelsley?«, vergewisserte ich mich endlich. »Deine alte Freundin Lisbeth mit ihrem unmöglichen Mann?«

»Genau«, bekräftigte Oma. »Und weil sie den verlassen hat, wohnt sie jetzt bei mir.«

»Nein!«, rief ich. »Endlich!«

Lisbeth, die eigentlich Baues mit Nachnamen hieß, aber von der Teufelsley genannt wurde, weil sie als Jugendliche an dem Felsen beinahe zu Tode gestürzt wäre, war die älteste- Freundin meiner Oma. Die beiden kannten sich seit ihrem dritten Lebensjahr und waren seitdem unzertrennlich.

Oma lachte. »Der faule Sack hat sie dreißig Jahre lang lächerlich gemacht und ausgenutzt und die dumme Pute hat es sich gefallen lassen. Aber als er eine Tasse von dem guten Geschirr mit dem Goldrand zerbrochen hat, ist sie abgehauen.«

Ich grinste.

»Als Notlösung habe ich ihr dein Zimmer gegeben, aber lange werden wir zwei Sturköpfe es nicht miteinander aushalten«, sagte Oma. »Ich bin schon froh, dass sie im Moment bei ihrer Nichte, die letzte Woche die Zwillinge bekommen hat, das Weihnachtsessen vorbereitet.«

Oma kochte Kaffee und schnitt ihren selbst gebackenen Stollen an, während ich den Tisch deckte.

»So, meine Liebe, nun lass es raus, sonst platzt du noch«, sagte sie, als wir uns an dem Esstisch mit der drehbaren Platte, den sie aus Thailand mitgebracht hatte, gegenübersaßen. Langsam aber sicher wanderten die alten Möbel aus dem Bauernhof meiner Großeltern auf den Sperrmüll, während von jeder Reise ein neues Stück die Wohnung bereicherte.

Ich musste lachen. Natürlich hatte Oma direkt gespürt, dass mir etwas auf den Nägeln brannte. Meiner Oma kann man in der Hinsicht nichts vormachen, aber sie geht mit ihrer Intuition sehr zurückhaltend um. Wenn ich nichts erzählen wollte, drängte sie nicht weiter. Jetzt aber wollte ich erzählen.

Natürlich wusste sie von meiner Kündigung und den ersten Bewerbungsversuchen, aber die neuesten Entwicklungen kannte sie noch nicht.

Ich berichtete ihr von meinem letzten Bewerbungsgespräch, der Idee, die mir dabei gekommen war, und meinen Plänen. Meine Oma ist schwer von ihrem selbst gebackenen Christstollen abzuhalten, aber nun starrte sie mich an, während ihre Kuchengabel reglos in der Luft verharrte.

»Ich bin sehr stolz auf dich«, war das Erste, was Oma sagte.

Ich strahlte.

»Du weißt, dass du mit diesem Schritt die alleinige und volle Verantwortung übernimmst für das, was du tust. Es gibt keinen Chef mehr, der eine falsche Entscheidung trifft. Die Fehler wirst du alle selbst machen.«

»In der Agentur habe ich auch für meine Arbeit immer die volle Verantwortung gehabt«, entgegnete ich.

»Für deinen Bereich, ja. Aber als Unternehmerin musst du die Verantwortung auch für diejenigen übernehmen, die in deinem Namen arbeiten. Für deren Fehler musst du geradestehen. Denk an die Sache mit dem Traktorunfall.«

Himmel, diese Episode hatte ich längst verdrängt. Ein Helfer, den meine Großeltern auf ihrem Hof beschäftigt hatten, war mit dem Traktor zum Heuwenden gefahren und hatte offenbar vergessen, dass die Heuwendebügel selbst im zusammengeklappten Zustand breiter waren als der Traktor. Er hatte auf dem kurzen Stück, das er über die schmale Straße bis zum Feld zurücklegen musste, vierzehn geparkte Autos beschädigt.

Ich musste also mit dem Schlimmsten rechnen, wenn ich Personal in meinem Namen auf die Umwelt losließ. Und in einem teuren Haushalt ließ sich sicher so mancher Unfug anstellen. »Du willst damit andeuten«, entgegnete ich mit einem schiefen Grinsen, »dass ich bei der Auswahl meines Personals besonders vorsichtig sein muss?«

»Darauf kommen wir später zurück«, sagte Oma.

Ich fragte mich, was in ihrem Kopf vorging, denn den Tonfall kannte ich. Sie hatte bereits einen Plan.

»Du wirst wenig Freizeit und in den ersten Jahren keinen Urlaub haben«, fuhr sie fort.

Ich nickte. »Das hattest du als Bäuerin auch nicht.«

»Stimmt.« Sie lachte leise. »Aber die Rindviecher, mit denen ich zu tun hatte, waren ganz leicht zufriedenzustellen und sind mir nicht auf den Nerven herumgetrampelt. Das mag bei deinen Kunden anders sein.«

Ich grinste auch. So, wie Oma das sagte, klang es nach einer Möglichkeit, die man in Erwägung ziehen sollte, aber nicht nach einer Entwicklung, vor der man sich Sorgen machen müsste.

»Wie stellst du dir das genau vor?«, fragte Oma, winkte aber gleich ab. »Moment, erst brauchen wir mehr Kaffee.«

Als der frisch aufgebrühte Kaffee auf dem Tisch stand, berichtete ich ihr die bisher festgelegten Details. Meine Aufgabe als Organisatorin und Akquisiteurin, meine Idee, eine Putzfrau mit Sinn fürs Praktische einzustellen, aber Handwerker und Gärtner nur nach Bedarf zu buchen. Meine Beschränkung auf das Düsseldorfer Stadtgebiet, die Tatsache, dass ich ein Auto brauchte, einen Computer und dass ich Werbung machen musste, um bekannt zu werden.

»Und jetzt brauchst du Geld«, stellte Oma fest.

Es ist sicher nicht falsch, wenn manche Leute vermuten, dass ich den mir eigenen Pragmatismus von meiner Oma geerbt habe. Ich nickte stumm.

»Sag mir wie viel, ich überweise es dir morgen.«

Meine Oma ist nicht steinreich, aber sie hat nach dem Tod ihres Mannes den alten Bauernhof verkauft – nicht ohne sich vorher beim amtierenden Bürgermeister zu vergewissern, dass das kleine Feld zur Straße hin bereits als Bauland ausgewiesen sei. Nicht? Na, dann wurde es aber höchste Zeit. Es dauerte acht Monate, bis der Bürgermeister die Umwidmung im Rat durchgeboxt hatte, aber dann war der Erlös für den Hof fünfzehn Mal so hoch, wie er noch ein Jahr zuvor gewesen wäre.

Oma mietete im Dorf die Wohnung, in der wir jetzt zusammensaßen, und erfüllte sich von dem Geld, das der Verkauf des Hofes ihr eingebracht hatte, zwei Herzenswünsche. Sie spekuliert vorsichtig und erfolgreich an der Börse und sie bereist all die fernen Länder, über die sie früher nur gelesen oder Fernsehdokumentationen gesehen hat. Offenbar hatte sie aber immer noch etwas Geld übrig, das sie ihrer Enkelin zur Unternehmensgründung geben konnte.