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»Danke«, sagte ich mit belegter Stimme.

»Keine Ursache«, erwiderte sie, ebenfalls mit einem Kloß im Hals.

»Mein viel größeres Problem ist die Sache mit dem Personal«, sagte ich nach einer kurzen Pause. »Besonders, nachdem du mich an den Traktorunfall erinnert hast.«

»Ha!«, rief Oma und stach mit ihrer Kuchengabel in meine Richtung. »Manchmal könnte man meinen, dass es doch so etwas wie die göttliche Vorsehung gibt. Oder Karma.«

Ich muss sie wohl sehr zweifelnd angesehen haben, denn sie senkte die Kuchengabel und legte mir ihre unbewaffnete Hand auf den Arm. »Ich habe eine Lösung für dein und für mein Problem und die heißt Lisbeth.«

Auf diese Eröffnung brauchte ich erst mal einen starken Schluck Kaffee.

»Lisbeth hat mir gesagt, dass sie von der Provinz die Nase voll hat. Sie wolle jetzt richtig leben und das könne man nur in einer Großstadt. Außerdem ist sie gelernte Hauswirtschafterin und hat, wie du weißt, dreißig Jahre in dem Genesungsheim oben am Hang gearbeitet. Die kann alles, besonders kochen.«

Daran erinnerte ich mich noch gut. Als meine Großeltern ihren vierzigsten Hochzeitstag groß feierten, weil damals schon absehbar war, dass sie den fünfzigsten nicht mehr gemeinsam erleben würden, übernahm Lisbeth die Küche. Vier Tage vorher begannen die Vorbereitungen, einhundertzwölf Gäste wurden bekocht. Ich arbeitete unter ihrer Anweisung, bis mir die Fingerkuppen bluteten, aber in meinem ganzen Leben habe ich nicht so gut gegessen wie damals. Ob deftige Hausmannskost in Form von Pasteten und gesäuertem Roggenbrot oder feinste Lachsmousse im Blätterteigtürmchen, ob Hirsepudding mit wilden Waldbeeren oder pfeffriges Ingwer-Chili-Tiramisu, ob vegetarische Quiche mit Basilikumpesto oder Wildschweinbraten in Rotweinsauce, Lisbeth verwöhnte den Gaumen mit jedem Bissen. Sie arbeitete in einer Geschwindigkeit, dass uns Helfern Hören und Sehen verging, und brachte es zwischendurch immer wieder fertig, alle Arbeitsflächen, Werkzeuge, Töpfe und den Ofen in der Küche der Mehrzweckhalle, die wir nutzten, blitzblank zu wienern. Diese Frau schickte, ich musste beim Gedanken an meinen Firmennamen grinsen, wirklich der Himmel!

»Super«, rief ich begeistert.

Oma lachte.

»Außerdem wäre ich froh, wenn sie möglichst bald nach Düsseldorf zieht, denn wir zwei sind nur so lange Freundinnen, wie wir nicht zusammenwohnen. Ich kann ihren Perfektionismus nicht mehr lange ertragen.«

So kam ich, bevor ich mein Unternehmen überhaupt gegründet hatte, zu meinem ersten Bewerbungsgespräch als Arbeitgeberin. Es fand statt am Heiligen Abend am Esstisch meiner Oma und in ihrem Beisein. Anwesend waren:

Arbeitgeberin: Corinna Leyendecker, einunddreißig Jahre und vollkommen unerfahren.

Bewerberin: Lisbeth Baues, siebenundfünfzig Jahre alt, Hauswirtschaftsmeisterin.

Zeugin: meine Oma, beste Freundin der Bewerberin.

Lisbeth hat den Umfang einer hundertjährigen Eiche, eine Haut wie die Rinde einer hundertjährigen Eiche und eine entsprechende Standhaftigkeit. Man könnte auch sagen, sie sei dickköpfiger als ein baskischer Wildesel, aber sie ist ein Engel – in jedem Sinne dieses wunderbaren Wortes. Sie kennt mich seit meiner Kindheit und duzt mich. Sie ist diejenige, die Ahnung hat, deshalb übernahm sie die Gesprächsführung. Das würde ich in Zukunft wohl ändern müssen.

»Hallo, Lisbeth.« Ich umarmte sie aus alter Gewohnheit. Ihre kräftigen Arme drückten mich an ihren großen Busen, dann gab sie mir förmlich die Hand.

»Ich habe seit dreißig Jahren kein Vorstellungsgespräch mehr gehabt«, sagte sie.

»Und ich habe noch nie eins als Arbeitgeberin geführt«, entgegnete ich mit einem nervösen Grinsen.

»Also, was willst du wissen?«, fragte Lisbeth.

»Ich erzähle dir, was ich mir vorgestellt habe, dann kannst du mir sagen, ob du Lust hast mitzumachen.«

Lisbeth nickte, ich legte ihr meine Pläne dar.

Als ich geendet hatte, ergriff Lisbeth das Wort. »Erstens: Ich arbeite nicht unter Aufsicht, also wenn die Wohnungseigentümer anwesend sind. Zweitens: Ich unterstütze dich anfangs bei der Abgabe der Angebote. Drittens: Ich habe das Recht, Aufträge, die inakzeptabel sind, abzulehnen.«

»Was heißt inakzeptabel?«, fragte ich alarmiert.

»An die Wände geschmierte Fäkalien. Frei laufende oder frei kriechende Haustiere wie Schlangen, Spinnen oder Krokodile. Cannabisanbau auf dem Balkon. Solche Sachen.«

Ich starrte sie sprachlos an. Mit diesen Problemen hatte ich bisher nicht gerechnet.

Lisbeth nickte. »Ich habe an meinem Arbeitsplatz so einiges erlebt. Ursprünglich war es ein Müttergenesungsheim, dann eins von der Krankenkasse für psychisch Labile, dann ging es an eine private Krankenkasse für teure Diätkuren und neuerdings betreibt eine Stiftung das Haus als Stress- und Drogenentzug für Manager.«

Diese Entwicklung war mir nicht bewusst gewesen, bei uns hieß das Haus einfach so lange ich denken konnte Genesungsheim. »Und welche Aufgabe hattest du in dem Haus?«

»Angefangen habe ich als Köchin, zuletzt war ich für den gesamten Ablauf verantwortlich. Ich habe die Küche gemanagt und die Wäsche organisiert. Ich habe als Hausmeisterin fungiert, die Material- und Verbrauchsgüterbestellungen gemacht und war Ansprechpartnerin für das gesamte Personal.«

Mir fiel die Kinnlade herunter. Eigentlich müsste Lisbeth den Chefsessel einnehmen. Sie konnte alles das, was ich demnächst tun wollte. Nur hatte ich keinerlei Vorwissen, während sie bereits jahrelange Erfahrung vorweisen konnte.

»Warum stellst du nicht selbst so ein Unternehmen auf die Beine?«, fragte ich.

Lisbeth betrachtete mich prüfend, dann lächelte sie und legte mir ihre kräftige Hand auf den Arm. »Ich bin siebenundfünfzig Jahre alt, mein Kind. Ich arbeite gern mit den Händen und denke auch gern mit, aber ich bin froh, wenn du die geschäftliche Verantwortung übernimmst. Ich möchte neben der Arbeit für dich zwei oder drei Stunden an einer Abendschule für Hauswirtschaft unterrichten. Diese Arbeit mit jungen Menschen hat mir immer viel Freude gemacht. Und dann will ich endlich etwas vom Leben haben.«

Ich nickte.

»In der Zeit, als das Genesungsheim eine Diätklinik war, habe ich viele interessante Frauen kennengelernt, die bei uns ein paar Wochen abgespeckt haben. Mit einigen halte ich noch Kontakt, eine lebt in Düsseldorf. Sie schreibt mir von Theaterstücken, die sie gesehen, und von Büchern, die sie gelesen hat. Ich war noch nie in einem modernen Schauspiel und ich denke, es ist an der Zeit, das nachzuholen. Ich rufe sie an, sobald wir uns einig sind. Sie wird mir sicher bei der Wohnungssuche helfen.«

Wir einigten uns auf einen Stundenlohn für den Anfang, eine Probezeit, sprachen über ein Festgehalt, das sie bekommen sollte, sobald es genügend Arbeit für sie gab, und schüttelten uns schließlich feierlich die Hand. Dann fielen wir drei uns in die Arme und öffneten den Sekt, den Oma immer im Kühlschrank stehen hatte. Es wurde eins der schönsten Weihnachtsfeste, an die ich mich erinnern kann.

Wie naiv ich damals war. Wenn ich geahnt hätte, auf was ich mich da eingelassen hatte, wäre mir der Weihnachtsbraten wahrscheinlich im Hals stecken geblieben.

Natürlich lagen vor dem Anstellungsvertrag von Lisbeth noch diverse Hürden, die es zu überwinden galt. Eine davon war die Geschäftsadresse. Ich konnte mein Unternehmen ja schlecht in Gregs Arbeitszimmer gründen. Ich brauchte eine eigene Wohnung. Stundenlang surfte ich durch die Mietangebote in den diversen Internetportalen. Einzimmerwohnungen, Zweizimmerwohnungen, Dachgeschoss-Studios, Maisonette-Wohnungen, also alles, was unter die von mir eingegebene Höchstmiete fiel. Wozu auch eine Dreizimmerwohnung mit Garten gehörte. Ich stutzte. So etwas gibt es sowieso selten in Düsseldorf, und dann noch zu dem Preis? Es konnte sich nur um einen Fehler handeln. Ich klickte weiter. Kam darauf zurück. Zögerte immer noch. Rief an.