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»Wo ist der Haken?«, fragte ich.

»Kommen Sie es sich anschauen«, sagte der nette Mann am Telefon.

Ich kam.

Das Haus war eins von denen mit rosa verschnörkelter Fassade, einem ehrwürdigen Treppenhaus mit blank gebohnerten Holztreppen und hohen, Stuck verzierten Decken.

Ich klingelte.

Ein älterer Herr in grauer Strickjacke und Pantoffeln öffnete.

»Schauen Sie sich in Ruhe um«, sagte er mindestens drei Mal, während er die Wohnungstür aufschloss, mich eintreten ließ und auf seinen Pantoffeln hinter mir herschlurfte. Ich schaute. Das Zimmer nach vorn heraus war mir bereits von der Straße aufgefallen. Es war wohl ein Geschäft gewesen, denn die ganze Front war verglast und in dem großen Schaufenster gab es eine Tür zur Straße. Ein schwerer Vorhang hatte mich daran gehindert, von außen hereinzuschauen. Jetzt, wo der Vorhang geöffnet war, schien eine fahle Wintersonne durch die riesige Fensterfläche hinein. Die Tür von diesem Zimmer zu den beiden anderen war eine stabile Sicherheitstür mit Glaseinsatz, sodass wenigstens etwas Tageslicht in den kleinen Flur fiel, von dem die Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer und das Bad abgingen. Das Wohnzimmer mit Küchenzeile lag nach hinten raus, eine Glastür ging in den winzigen Garten, in dem umgegrabene Erde zeigte, dass der Vornutzer offenbar ein kleines Gemüsebeet angelegt hatte. Auch das Schlafzimmer war, wie alle Zimmer, sehr klein, vermittelte aber durch die hohen Decken ausreichend Platz. Ich war begeistert.

»Warum ist die Wohnung so billig?«, fragte ich noch einmal.

Der Mann starrte mich verblüfft an. »Das ist doch klar«, sagte er. »Das Zimmer nach vorn zur Straße heraus kann man schlecht als Wohnzimmer nutzen, weil einem doch die Leute da hereinschauen und es von der Straße her laut ist. Das eigentliche Wohnzimmer ist recht klein und relativ dunkel, der Garten ist total verwildert und im Bad ist nur eine Dusche, aber keine Wanne. Außerdem ist das Haus nur von außen schön renoviert, aber hier drin ist alles ziemlich alt.«

Ich blickte mich noch einmal aufmerksam um. Die Wohnung blickte freundlich zurück. Stylish hip und trendy war hier in der Tat nichts. Aber das wollte ich ja auch gar nicht. Die Räume waren mir auf Anhieb sympathisch gewesen. Und dann der Garten… Vor meinem geistigen Auge hatte ich schon die Pflanzplätze vergeben. Stangenbohnen hier, Tomaten dort, Zucchini, Salat, ein kleines Erdbeerbeet, einige Himbeerruten und ein Spalierapfel. Ich war zwar eine Stadtpflanze geworden, aber der alte Hofgarten, in dem ich gemeinsam mit meiner Oma buddeln und pflanzen durfte, hatte mir offenbar mehr gefehlt, als ich mir hatte eingestehen wollen.

Ich überschlug die finanzielle Seite. Den Preis für den gebrauchten Kleinwagen, der mein Firmenwagen werden sollte, den Aufwand für Briefpapier und Werbung, Umzugs- und Renovierungskosten, allgemeine Lebenshaltungskosten für die Anfangszeit, bis das Unternehmen Umsatz und Gewinn brachte. Auf der Einnahmenseite standen die Existenzgründungsförderung, meine bescheidenen Ersparnisse und natürlich Omas Kredit. Mit Budgetkalkulationen kannte ich mich aus und in diesem Fall war ich optimistisch, den Rahmen einhalten zu können, da ich ja nur für mich selbst kalkulierte und nicht für eine Gruppe künstlerisch ambitionierter Zahlenphobiker.

»Na ja, die Decken sind schön hoch«, murmelte mein Begleiter und unterbrach meine Gedankengänge, »das erhöht die Heizkosten, aber es lässt auch mehr Licht herein. Gründerzeit eben.«

Das war mein Stichwort. Wenn es noch einen winzigen Zweifel gegeben haben mochte, so war er spätestens jetzt völlig zerstreut.

»Ich nehme die Wohnung«, sagte ich entschlossen.

Ein strahlendes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Pantoffeltierchens.

»Da wird sich die Vermieterin aber freuen. Und ich natürlich auch. Ich bin Ihr Nachbar. Und so eine Art Hausmeister. Metzenrath, freut mich. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, sagen Sie mir Bescheid.«

An dem Abend, an dem ich den Mietvertrag unterschrieb, erzählte ich Greg, dass ich am übernächsten Samstag seine Zeit für ein paar Stunden in Anspruch nehmen müsse.

»Und wozu, wenn ich fragen darf?« Sein Tonfall war alles andere als freundlich.

»Um mir beim Umzug zu helfen«, erklärte ich ruhig. Ich tat, als suche ich etwas im Kühlschrank, beobachtete ihn aber aus den Augenwinkeln. Seine Reaktion gefiel mir ganz und gar nicht. Er war erleichtert. Dann allerdings verdunkelte sich sein Blick.

»Da kann ich nicht.«

Fast wollte ich fragen, wann er denn stattdessen könnte, aber im letzten Moment hielt ich doch den Mund. Oma, Lisbeth und Troll hatten ihre Hilfe für den Termin zugesagt und Troll wollte einen kleinen Lieferwagen von einem Bekannten besorgen. Der Umzug würde also an genau diesem Datum stattfinden.

»Tut mir ehrlich leid, aber der Termin steht fest und du kannst bestimmt zwei Stunden helfen. Sonst muss ich einige Sachen noch hierlassen, die du mir dann später vorbeibringst.«

Greg ließ ein unzufriedenes Schnauben hören. »Also gut, aber nicht zu früh.«

»Um neun«, erwiderte ich.

Greg stöhnte.

Heimlich stöhnte ich auch, denn eigentlich hatte ich mich mit meinen Helfern Lisbeth, Oma und Troll auf zehn Uhr geeinigt, aber aus lauter Bosheit hatte ich Greg eine Stunde früher genannt. Ich war über mich selbst erstaunt. Diese Gehässigkeit kannte ich gar nicht an mir.

»Wir sollten außerdem noch darüber reden, welche Möbel ich mitnehme«, schob ich hinterher.

Gregs Gesichtszüge glitten in die totale Fassungslosigkeit ab. Hatte er etwa ernsthaft gedacht, dass ich eines schönen Tages aus seinem Leben verschwinde und nichts von der Einrichtung, die wir gemeinsam angeschafft hatten, für mich reklamieren würde?

»Wer nimmt hier was mit?«, erklang es plötzlich in Sues näselndem Tonfall von der Küchentür her. Für mich war die Unterhaltung damit beendet, und ich überließ die beiden sich selbst. Sollte Greg ihr die gute Botschaft meines Auszugs doch bitte alleine überbringen. Offenbar fand die gute Sue diese Nachricht gar nicht so interessant, denn das Gespräch, dessen Anfang ich ungewollt noch mithörte, landete ganz schnell bei gegenseitigen Vorwürfen, warum niemand eingekauft, niemand etwas zu essen vorbereitet und schon seit Tagen niemand mehr das Bad sauber gemacht hatte. Ich nahm mir vor, Greg einen Flyer mit meinem Dienstleistungsangebot zu schicken, sobald diese fertig wären. Annehmen würde ich einen Auftrag von ihm natürlich nicht – jedenfalls nicht, solange die Bohnenstange in seinem Haushalt lebte.

In meinem Arbeitszimmerasyl sortierte ich die Dinge aus, die ich in mein neues Leben nicht mitnehmen würde. Das war in erster Linie Kleidung, denn ich hatte beschlossen, mich von allen Hosen zu trennen, die mir inzwischen definitiv zu weit waren. Ich hatte nicht vor, jemals wieder hineinzupassen.

Schwerer fiel mir die Entscheidung bei den Fotoalben und Erinnerungsstücken, die mein Leben mit Greg dokumentierten. Erst beim dritten Durchsehen bemerkte ich, dass der überwiegende Teil der Fotos Greg zeigte. Von uns beiden gab es nur drei Bilder, die ich mit dem Selbstauslöser gemacht hatte. Von mir alleine gab es keins. Offenbar hatte Greg auf keinem unserer Ausflüge und auch nicht während unserer beiden einwöchigen Urlaube nach dem Apparat gegriffen, um ein Foto von mir zu machen.

Ich behielt zwei besonders gelungene Aufnahmen von Greg und ein Foto von uns beiden zusammen, den Rest warf ich weg.

Am meisten Spaß machte es mir, den Ordner mit meinen Bewerbungen komplett zu entsorgen. Meine Bewerbungsschreiben und die Absagen, Einladungen zu Vorstellungsgesprächen und weitere Absagen, Hinhaltebriefe, Eingangsbestätigungen und noch mehr Absagen, alles landete im Papierkorb. Danach fühlte ich mich blendend. Und hungrig. Greg und Sue waren inzwischen ausgegangen, und so konnte ich mir in der Küche drei dicke, große Scheiben Graubrot mit Nutella schmieren. Ich verdrückte alles und fühlte mich immer noch gut dabei. Mit vollem Magen und dem Gefühl, endlich auf dem Sprung in mein neues Leben zu sein, schlief ich wie ein Murmeltier.