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»Wer wird denn gleich heiraten, nur weil er eine ordentliche Wohnung haben will?«, murmelte sie vor sich hin.

»Meine Wohnung, mein Auto, mein Schmutzengel«, war der nächste Versuch.

»Börse statt Bügeln«, »Sie vögeln, wir bügeln«, »Damit Wohnen nicht gleich Arbeiten ist«, »Sie kümmern sich um Ihre Mäuse, wir um Ihre Wollmäuse«, »Für Drecksbengel gibt’s Schmutzengel«, »Himmlisch sauber.«

Ich musste mich mehrfach zusammenreißen, um nicht albern loszukichern, aber Troll war in ihrem Element. Für sie war dies hier harte Arbeit und zwar genau die, die sie liebte. Mit ein paar Worten große Bilder malen. Gefühle hervorrufen. Banale Alltagserfahrung mit philosophischem Tiefgang versehen. »Glauben Sie, James Bond putzt selbst?«

»Welchen Spruch nehmen wir?«, fragte ich nach einer Weile.

»Alle«, gab Troll zurück. »Zielgruppe, schon vergessen?«

»Also, der mit dem Vögeln…«, sagte ich.

»Was denn?«

»Ich will da keine falschen Erwartungen wecken«, wandte ich ein.

»War auch nicht ernst gemeint«, entgegnete Troll grinsend. »Ich wollte nur sehen, wie du reagierst.«

»Und? Wie habe ich reagiert?«

»Wie erwartet.«

Ich schüttelte den Kopf. Wie gut sie mich doch kannte.

»Wir platzieren Flyer, Postkarten und Visitenkarten in Fitnessstudios mit hauptsächlich männlicher Kundschaft, in Szene-Bars und in amerikanischen Kaffeehäusern. Herren-Boutiquen und Maßschuh-Spezialisten benötigen einen anderen Flyer als Sauna-Landschaften, weil sie ein anderes Publikum haben. In Clubs und Discos schicken wir süße Mädels mit Stempeln herum, die deine Internetadresse auf männliche Handrücken stempeln. Und der Großteil der Werbestrategie läuft viral, das hieß früher mal Mund-zu-Mund-Propaganda.«

Die Hälfte dessen, was meine Werbemanagerin mir so wortgewaltig darlegte, sagte mir nicht viel, aber ich hatte vollstes Vertrauen.

»Wie soll das Logo aussehen?«, fragte ich, denn davon hatte ich nun überhaupt keine Ahnung.

Troll kritzelte bereits hoch konzentriert auf dem Papier herum. Ich zügelte meine Ungeduld und wartete, bis sie endlich ihren Stift weglegte und mir den Block entgegenstreckte.

Ich starrte darauf. Mehrere Entwürfe von Engeln mit Putzutensilien starrten zurück. Das Logo, das mir am besten gefiel, zeigte ein großzügiges Haus, an dem sich mehrere Engel zu schaffen machten. Einer putzte fliegend die Fenster im ersten Stock, einer kehrte den Kamin, einer schnitt ebenfalls schwebend den großen Baum neben dem Haus und einer buk Brot in einem Ofen, wie ich ihn mir beim Märchen von der Goldmarie immer vorgestellt hatte.

Ich drehte den Skizzenblock um, sodass Troll ihn sehen konnte, und zeigte auf diese Zeichnung. Troll grinste breit. »Aus dir wäre vielleicht doch noch eine gute Werberin geworden.«

Im Laufe des Januars komplettierte Troll gemeinsam mit einigen ihrer zahllosen Bekannten Logo, Layout der diversen Flyer und Internetauftritt. Auch ein Blog für die virale Werbung, von der ich immer noch keine klare Vorstellung hatte, wurde eingerichtet. Ich durfte meine Meinung sagen, wurde aber bei abweichendem Geschmack von Troll überstimmt, weil sie als Profi-Kreative zwei Stimmen hatte, während ich selbst mit nur einer Stimme wählen durfte. Demokratie geht anders, aber da ich auf sie angewiesen war und ihre professionelle Überlegenheit anerkannte, behielt ich meine Verfassungsbeschwerden für mich.

Dann kam der große Tag, an dem meine Homepage online ging. Zehntausend Flyer waren gedruckt und in einschlägigen Geschäften, Cafés, Bars und Sportstudios ausgelegt.

Etliche Anfragen trudelten ein und stellten meine Nerven auf eine harte Probe. Zum ersten Mal als verantwortliche Unternehmerin aufzutreten war schwieriger, als ich erwartet hatte. Ich wollte gleichzeitig freundlich, kompetent, verbindlich, selbstbewusst und professionell rüberkommen und schaffte es gerade mit Mühe, nicht zu stottern. Immerhin fühlte ich mich in meinem schwarzen Outfit annähernd wohl, wenn ich auch manchmal den Eindruck hatte, nicht ganz passend gekleidet zu sein. Außerhalb der Werbebranche bedeutet Schwarz nicht gleich cool. Ich nahm mir vor, in Zukunft wenigstens eine weiße Bluse zu schwarzer Hose und Jackett zu tragen. Trotz meiner Unsicherheiten erhielt ich die ersten Aufträge. Lauenstein war der fünfte. Lauenstein, von dem ich mir seit drei Tagen verzweifelt wünsche, ich hätte seinen Namen nie gehört.

6

Ich fühlte mich gerädert, hatte Kopfweh und einen lautstarken Schnupfen, als ich zum ersten Treffen mit Rüdiger Lauenstein ging.

Der Winter hatte mir eine dicke Erkältung eingebrockt und ich machte die interessante Erfahrung, dass man auch mit einer ausgewachsenen Bronchitis noch freiwillig arbeitet, wenn man selbstständig ist. Zu Angestellten-Zeiten hätte ich bei AIQ angerufen und mich für den Rest der Woche abgemeldet. Dieser Gedanke streifte mich nicht einmal im Vorübergehen. Ich hatte ein Business und das musste laufen.

Lauensteins Haus lag in Oberrath, in einer der kleinen Seitenstraßen in Steinwurfweite des Waldes. Ein großes Haus, vermutlich aus den Sechzigerjahren, auf einem riesigen Grundstück. Die Sprossenfenster mit den gewölbten Scheiben und das viele dunkle Holz waren sicher früher einmal angesagt gewesen, ließen das Anwesen heute aber altmodisch und düster aussehen. Düster und unheimlich – aber es kann auch sein, dass mir das jetzt im Rückblick so scheint.

Rüdiger Lauenstein jedenfalls wirkte darin seltsam fehl am Platz. Er war ungefähr Mitte dreißig und trug einen völlig fusselfreien schwarzen Anzug, der seine blasse Hautfarbe noch blasser wirken ließ. Er war so groß wie ich, wirkte aber nicht sportlich und dynamisch, sondern eher wie ein Teddy – früher nannte man das auch pummelig. Sein Gesichtsausdruck war ruhig und eher ernst, sein kurzes Lächeln erhellte das ansonsten eher unauffällige Äußere aber auf ganz unerwartet charmante Art. Kurzhaarfrisur in Straßenköterblond, saubere, sehr kurze Fingernägel, alles picobello. Kein Ring. Meine Beobachtungsgabe hatte durch die Erkältung nicht gelitten.

Ich hatte mir angewöhnt, mir schnell einen ersten Eindruck zu verschaffen und habe damit bisher meist richtig gelegen. Mein Urteil über Rüdiger Lauenstein: gepflegt, ordentlich, ohne übertriebenen Geltungsdrang oder Profilneurose, vielleicht ein bisschen bieder. War dieser Mann einer, der mit weißen Handschuhen über die Oberkante von Küchenschränken strich? Ich war mir nicht ganz sicher. Auf Anhieb war jedenfalls kein offensichtlicher Ablehnungsgrund zu erkennen.

Ich fragte mich kurz, wo er auf mein Unternehmen aufmerksam geworden war. Sicherlich nicht in einem Fitnessstudio, nicht in einer Szene-Disco oder einem Internet-Blog.

Seine Begrüßung an der Haustür war freundlich gewesen, ich meinte, einen kurzen Augenblick der Überraschung bemerkt zu haben. Er bestätigte diesen Eindruck, als er mir im Flur aus der Jacke half.

»Ich hatte nicht gedacht, dass Sie so jung sind«, murmelte er mit einem verlegenen Lächeln. »Sie haben mir die Überraschung wohl angemerkt, was?«

Ich nickte unverbindlich.

Er räusperte sich. »Es geht in erster Linie darum, das Haus und den Garten in Ordnung zu halten«, erklärte Lauenstein, während er mich herumführte. Wir begannen im Obergeschoss, wo er mir diverse Schlafzimmer und Badezimmer zeigte. In einem Schlafzimmer hing ein Morgenmantel, im dazugehörigen Bad standen Toilettenartikel. Beides gehörte unzweifelhaft einer Frau.

»Meine Mutter wohnt gelegentlich hier, wenn sie in der Stadt ist«, erklärte Lauenstein angesichts meines fragenden Blicks.

Ich nahm mir vor, den Auftrag abzulehnen.

»Allerdings nur noch sehr selten.«

Nun, ich konnte ja noch mal darüber nachdenken.

Vom Arbeitszimmer im ersten Stock konnten wir den Garten überblicken. Die Anlage war sehr gepflegt. Rasenfläche, Teich und Staudenrabatten, außen herum Sträucher und Laubbäume. Im hinteren Bereich standen einige behauene Steine und Figuren, denen ich keine weitere Beachtung schenkte. Mich interessierte an seinem Garten nicht der Dekostil der Putten, sondern der Pflegeaufwand des Grünzeugs.