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Das Erdgeschoss bestand aus einem riesigen Wohnzimmer auf zwei Ebenen mit Kamin, über dem eine offenbar alte, mit verwitterter Inschrift versehene Steinplatte angebracht war, die ich mit einem kurzen Blick streifte. Für den Reinigungsaufwand nicht von Bedeutung. Weiter gab es ein Esszimmer, ein zweites Arbeitszimmer, Gästebad, Gästetoilette, Küche mit Speisekammer und Kühlhaus.

»Ein Kühlhaus?«, fragte ich nach, da ich glaubte, mich verhört zu haben.

Lauenstein öffnete eine Tür an der Schmalseite der Küche, die von der Küchenseite her wie eine normale Holztür aussah, auf der anderen Seite jedoch aus gebürstetem Edelstahl bestand.

»Es ist meistens nicht in Betrieb«, erklärte er. »Aber für größere Feiern ist es natürlich sehr praktisch.«

Ich konnte mir den schwarz gewandeten Herrn Lauenstein mit der pummeligen Figur nicht auf »größeren Feiern« vorstellen, nickte aber freundlich und trat einen Schritt vor. Das Kühlhaus war mehr ein Kühlraum mit einer zweiten Tür, die direkt nach draußen zur Einfahrt führte.

»Der… ähem, frühere Besitzer war Jäger«, erklärte Lauenstein. »Er brachte das Wild direkt von draußen ins Kühlhaus.«

Beim Blick in den überdimensionierten, ganz in Edelstahl ausgekleideten Kühlraum, in dem früher wahrscheinlich die erlegten Rehe und Wildschweine hingen, erschrak ich nur wenig. Da ich praktisch auf Omas Bauernhof groß geworden bin, bin ich tote Tiere gewöhnt. Wenn auch nicht gleich neben der Küche.

Wir setzten uns ins Wohnzimmer und gingen die Details durch. Putzen, Wäsche waschen, bügeln, Garten in Schuss halten. Einkaufen nach Liste der Grundausstattung, die noch zusammenzustellen sei. Vorbereitung einer einfachen Verköstigung für die monatliche Skatrunde, also Eintopf im Winter und Frikadellen mit Kartoffelsalat im Sommer.

Ich durchlitt das Gespräch schniefend und hustend, entschuldigte mich mehrfach dafür, hatte Verständnis, dass Herr Lauenstein mir zum Abschied lieber nicht die Hand gab, und brachte seinen Schlüssel, den er mir anvertraute, direkt zu Lisbeth. Dann verschwand er aus meinem aktiven Gedächtnis so wie die anderen, langsam zahlreicher werdenden Kunden, deren Aufträge Lisbeth abwickelte und die ihre monatlichen Rechnungen pünktlich bezahlten.

Bis zu dem Tag Anfang März, an dem mein Leben als unbescholtene Bürgerin endete und im Chaos versank.

Die Grippewelle hatte auch meine unbeugsame, starke Lisbeth überrollt. Sie hatte sich am Tag zuvor krankgemeldet und so musste ich ihre Aufgaben zusätzlich erledigen. Ich hatte selbst bereits einen schrecklichen Tag hinter mir und fühlte die überstanden geglaubte Erkältung zurückkehren, als ich endlich in Oberrath ankam. Zwar dämmerte es noch nicht, aber die graue Wolkendecke lag tief und schwer über der Stadt. Nach ein paar helleren Tagen Ende Februar war der Winter mit aller Macht erneut über uns hereingebrochen und große, nasse Schneeflocken fielen nicht fröhlich tanzend, sondern feucht platschend auf die Straßen. Das Licht war fahl und die Stimmung unter den blattlosen, gestutzten Bäumen unheimlich. Obwohl ich die ganze Situation irgendwie beklemmend fand, deutete ich sie nicht als Vorzeichen des Unheils, das unaufhaltsam auf mich zuraste. Ich war einfach nur müde, wollte diesen Einsatz hinter mich bringen, einen heißen Tee trinken und dann endlich in mein warmes Bett.

Als ich auf Lauensteins Grundstückseinfahrt zufuhr, sah ich etwas Unförmiges, Dunkles neben dem Tor stehen oder liegen, eine Art großer Müllsack, der sich aber plötzlich regte, als ich ausstieg und das Tor zur Seite schob. Ein Mensch. Ein Obdachloser, wie ich messerscharf aus dem Zustand seiner diversen übereinandergezogenen Kleidungsstücke schloss. Er war einen guten Kilometer von einem beliebten Kiosk-Treffpunkt seiner Kollegen entfernt. Vielleicht war er in der Straßenbahn eingeschlafen und eine Haltestelle zu weit gefahren. Ich erschrak, als die Gestalt sich aufrichtete, mich anstarrte und dann schwankend neben dem Tor stehen blieb, während ich den Wagen hineinfuhr, das Tor schloss und mich dem Haus zuwandte.

Da ich den ganzen Tag Akquisegespräche geführt hatte, trug ich eine schwarze Hose und Jacke, eine weiße Bluse und dünne Lederschuhe und zog mich in der Küche um, dem einzigen Raum in diesem dunklen Haus, in dem ich mich einigermaßen wohlfühlte.

Lisbeth hatte mir aufgeschrieben, welches Reinigungsmittel für welchen Zweck benutzt wurde. Die Küchenspüle aus Edelstahl benötigte ein anderes Mittel als die Wandverkleidung aus Granit, die sich an der Arbeitsplatte entlangzog. Auch die Arbeitsplatte aus geöltem Holz hatte speziellen Pflegebedarf, ebenso die Badezimmerarmaturen, Wannen und Toiletten. Die Kacheln benötigten ein eigenes Mittelchen und die Ablageflächen aus Stein natürlich erst recht.

Der Staubsauger mit der rotierenden Kurzhaarbürste war für Flur und Diele geeignet, die Düse ohne Bürste für den langhaarigen Teppich im Wohnzimmer bei der Sitzgruppe und eine weitere Düse für den Perser unter dem Esstisch. Die Spülmaschine war auszuräumen, alle Böden zu fegen, die Küche feucht zu wischen, aber nicht mit demselben Pflegemittel wie die Böden im Badezimmer, denn dort lagen offenporige Terrakottaplatten, während die Fliesen in der Küche glasiert waren.

Das ganze Haus war aufgeräumt, nirgendwo lagen dreckige Socken oder leere Chipstüten herum. Selbst die leeren Weinflaschen standen ordentlich in einer Ecke hinter der Küchentür. Ich war dem Hausherrn dankbar, wenngleich ich mich ein bisschen wunderte. War der Mann ein Pedant? Ein Spießer? War ein Mann, der Ordnung hielt, automatisch spießig? Oder fiel mir dieser Begriff nur ein, weil ich gerade an Greg denken musste und er ordentliche Männer gern als Spießer bezeichnete? Und warum musste ich in einer Situation, in der ich hinter einem Mann herräumte und sauber machte, an Greg denken? Ich versuchte nicht, die Antwort auf diese Fragen zu finden, denn im Grunde wollte ich nur schnell fertig werden, nach Hause fahren, eine Kanne heißen Erkältungstee trinken und dann ins Bett kriechen.

Ich warf die Waschmaschine an und bügelte die Hemden, die letzte Woche gewaschen worden waren. Meine Bügelkünste waren mit Lisbeths nicht zu vergleichen. Weder vom Ergebnis noch vom Zeitaufwand. Während ich mehr als zehn Minuten pro Hemd brauchte, das dann auch noch den lausigen Kniff im Ärmel hatte, schaffte Lisbeth ein Hemd ohne Bügelfalten in vier Minuten. Ich mühte mich ab und verfluchte die Mode, die derartigen Blödsinn verlangte. Außerdem hatte Lisbeth mir von einer Feier am letzten Wochenende berichtet, für die sie Mettbrötchen vorbereitet hatte. Ich rechnete also damit, dass der Kühlraum für Getränke genutzt worden war und gewischt werden musste.

Diese Einschätzung war korrekt. Leider sah die Kammer aus, als sei hier ein Fass Bier explodiert, anders konnte ich mir den durchdringenden Geruch und die Klebrigkeit an Wänden, Boden und Regalen nicht erklären. Ich putzte und wischte, bis mir der Rücken so wehtat, dass ich mich beim besten Willen nicht mehr bewegen konnte.

Ich ließ die Außentür des Kühlraums offen, damit der Geruch nach Hopfen und Putzmittel sich verziehen konnte, während ich durch die Verbindungstür in die Küche ging und noch einen Kontrollgang durch das Haus machte. Ich war fertig. Im wahrsten Sinne des Wortes. In meinem Kopf braute sich ein gewitterartiger Schmerz zusammen, dessen erste Blitze zuckten, als ich mich bückte, um meine Businesskleidung aufzuheben und ins Auto zu bringen.

Ich schloss die Haustür hinter mir ab und setzte mich ins Auto. Irgendetwas hatte ich vergessen, das spürte ich. Ich saß auf dem Fahrersitz und widerstand der Versuchung, die Stirn aufs Lenkrad zu legen und einzuschlafen. Auch ein Kopfschütteln brachte keine Erinnerung an das, was ich verzweifelt in meinem schmerzenden Kopf suchte, also startete ich den Motor.