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Er hatte mich gebissen!

Ich rang um Fassung, hyperventilierte ein bisschen, massierte mir die Kopfhaut und konnte ganz allmählich wieder ruhiger atmen, das Kreischen in den Ohren ließ nach und das Zittern der Knie ebbte ab.

Als ich wieder Herrin meiner Sinne und meines Bewegungsapparates war, trat ich an die bissige Leiche und entdeckte zwei Zahnreihen auf dem Mantel des Mannes. Bei meiner Hebelaktion war ihm das Gebiss herausgefallen.

Mithilfe zweier Papiertaschentücher steckte ich die Zähne in seine Manteltasche, unterdrückte den Würgereiz und machte mich wieder an die Arbeit.

Es dauerte weitere zwanzig Minuten, bis ich die Leiche im Kofferraum meines Autos verstaut hatte. Erst blieb einer seiner Schuhe an der Schwelle zum Kühlraum hängen, dann hatte ich meine liebe Not, den Oberkörper in den Kofferraum zu wuchten, ohne dass ich selbst mit hinein musste. Die Beine waren so lang, dass ich sie kaum fest genug anwinkeln konnte, und zum Schluss hatte sich ein Knie so verhakt, dass ich die Heckklappe nicht zubekam. Als endlich alles passte, war ich nassgeschwitzt und zitterte am ganzen Körper.

Ich schleppte mich noch mal ins Haus, fegte die hereingewehten Blätter aus dem Kühlraum, stellte den Thermostat ab, verschloss sorgfältig alle Türen und ließ mich auf den Fahrersitz meines Autos fallen.

Inzwischen war es stockfinster, aber noch nicht einmal sieben Uhr abends. Ich fühlte mich dreckig, kraftlos und kämpfte gegen die Tränen.

Wo wird man dienstagsabends gegen neunzehn Uhr in Düsseldorf eine Leiche los?

Die Frage löste ein unfreiwilliges hysterisches Kichern aus, aber es dauerte nur einen Moment, bis der Pragmatismus meiner bäuerlichen Vorfahren sich durchsetzte und ich ernsthaft darüber nachdachte, wo ich meine leblose Fracht abladen könnte.

Natürlich durfte ich dabei nicht beobachtet werden, es musste also ein einsamer, dunkler Ort sein.

Außerdem, so überlegte ich mir, sollte es ein Ort sein, an dem der Tote natürlicherweise hätte sterben können, damit sich der, der ihn irgendwann finden würde, gar nicht die Frage stellen würde, ob die Leiche von jemandem dorthin geschafft worden sei.

Im Idealfall war es ein Ort, der möglichst weit weg war. Sollte es also je zu einer genaueren Untersuchung des Todesfalles dieses Menschen kommen, gäbe es keine Verbindung zu mir, zu meinem Kunden oder überhaupt nach Düsseldorf.

Leider kannte ich mich in der weiteren Umgebung nicht aus und war auch nicht in der Stimmung, mit einer Leiche im Kofferraum durch die Täler der Anger, des Schwarzbaches oder sonstiger Kleinstgewässer zu fahren, um nach einem geeigneten Abladeplatz zu suchen.

Mir kam der Parkplatz des Wildparks in Grafenberg in den Sinn. Ich kannte den Weg dorthin und wusste, dass an einem Winterabend mit nasskaltem Wetter der Parkplatz menschenleer ist. Spätestens ab acht Uhr wäre dort kein Mensch mehr. Allerdings würden morgen früh die ersten Jogger und Mütter oder Großeltern mit Kindern dort eintrudeln, denn beide Gruppen gehen auch bei schlechtestem Wetter ihren Lieblingsbeschäftigungen nach. Einem Kind wollte ich die Entdeckung meiner Leiche dann doch nicht zumuten, also kam der Parkplatz nicht infrage.

Wo hingen denn in Düsseldorf die Obdachlosen so herum? Wo würde einer mehr oder weniger gar nicht auffallen? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht mehr ganz leicht, seit die Stadtväter meinen, den nicht ausreichend finanzkräftigen Teil ihrer Bevölkerung von öffentlichen Plätzen vertreiben zu müssen. Ich hatte keine Ahnung, wo diese Leute sich außer an dem nahe gelegenen Kiosk aufhielten. Damit war diese Idee ebenfalls gestorben.

Langsam ließ ich die Stirn auf das Lenkrad sinken. Meine Überlegungen führten zu nichts. Was sollte ich nur tun? In jedem Fall erst mal von hier verschwinden. Die Nachbarschaft meines Kunden ist nicht so anonym, dass mein Kleinwagen nicht irgendwann auffiele. Ich ließ also den Wagen an, verließ das Grundstück, schloss das Tor sorgfältig hinter mir und fuhr erst mal Richtung Innenstadt.

Ich kam nur wenige hundert Meter weit, bis ein Husten- und Niesanfall mich schüttelte. Ich verriss zweimal das Lenkrad, konnte durch die tränenden Augen kaum noch etwas sehen und hielt zitternd am Straßenrand.

Hinter mir hielt ein Polizeiwagen. Der Beifahrer stieg aus und kam langsam an meiner Heckklappe vorbei nach vorn zu meinem Fenster.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte er laut durch das geschlossene Fenster.

Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Der Kopf glühte, der Rücken steckte in einem Eispanzer. Ich drehte meine Fensterscheibe herunter.

»Starke Erkältung«, röchelte ich dem Polizisten entgegen.

»Haben Sie Erkältungssaft genommen?«, fragte er stirnrunzelnd zurück.

Sogar ich weiß inzwischen, dass der Hauptbestandteil dieser süßen Medizin aus Alkohol besteht, daher schüttelte ich schnell den Kopf. »Nur ein Aspirin.«

»Aus Ihrem Kofferraum hängt etwas heraus.«

Ich erstarrte. Die Vision von einer schlaffen Hand, die aus der Heckklappe baumelte, streifte mein Bewusstsein und nur mit Mühe unterdrückte ich die Bemerkung, dass er schon tot gewesen sei, als ich ihn einlud.

»Haben Sie gehört?«, fragte der Beamte. Er sah mich seltsam an. Nachdenklich. Skeptisch.

Ich nickte schnell. »Ja ja, kann sein. Ist aber nur…« An dieser Stelle wusste ich nicht mehr weiter.

»Machen Sie die Heckklappe doch mal auf.«

Auf gar keinen Fall!, hätte ich am liebsten geschrien, aber das ging natürlich nicht.

Ich stieg aus. Im Zeitlupentempo.

Ging mit dem Polizisten nach hinten zu meiner Heckklappe.

Sah einen Fetzen dicken, dunklen Wollstoff.

Der Mantel von der Leiche.

»Entschuldigung, aber ich muss, also, ich habe da einen Todesfall…«

Was redete ich bloß!

»In der Familie. Ich muss die Wohnung ausräumen. Da waren noch die ganzen alten Sachen drin. Deshalb ist der ganze Kofferraum voller Klamotten. Wenn ich den jetzt aufmache, fällt mir alles entgegen…«

Der Polizist blickte mich immer noch skeptisch an.

Ich nieste.

»Mein Beileid.«

Sagte man nicht mehr Gesundheit, wenn jemand niest?

»Männersachen?«, fragte er.

Ich nickte.

»Was machen Sie denn damit?«

»Bitte?« Ich wurde immer nervöser. Was fragte der Typ auch so penetrant. Verzweifelt suchte ich nach einer sinnstiftenden Antwort.

»Ich meine mit den Klamotten. Wissen Sie, es gibt diesen Klosterbruder, der sich um die Obdachlosen kümmert. Der kann immer gut erhaltene Kleidung für seine, äh, Kunden brauchen.«

»Die Sachen hier stammen von meinem Opa, der ist in den letzten Kriegstagen gefallen. Fünfundvierzig. Oma konnte sich nie von dem Kram trennen und erst jetzt, wo sie tot ist…« Ich konnte nicht weitersprechen. Wie war ich bloß auf diese abstruse Geschichte gekommen? Insgeheim bat ich Oma um Verzeihung, dass ich ihren Mann um mehr als vierzig Jahre seines Lebens betrogen und sie gleich mit getötet hatte. Hoffentlich ging es ihr gut, war mein nächster Gedanke. Immerhin war sie auf einer vierwöchigen Rundreise in Zentralasien.

»Na, wenn die Sachen nicht mehr brauchbar sind, bleibt wohl nur die Müllabfuhr. Aber nicht irgendwo in den Wald kippen, hören Sie?«

Er sah mich streng an.

Ich hatte schwarze Punkte vor Augen bei seiner Bemerkung, schüttelte aber schnell den Kopf, um ihm klarzumachen, dass ich nicht zu denen gehöre, die nachts im Wald Müll abladen.

»Dann machen Sie, dass Sie nach Hause kommen und legen Sie sich ins Bett«, sagte der Polizist freundlich, tippte sich an die Mütze und ging zurück zu seinem Kollegen. Der Wagen fädelte sich in den Verkehr ein und ich stand allein am Straßenrand. Ich ließ mich gegen die Heckklappe sinken. Meine Nerven waren kurz vor der Auflösung, ich zitterte am ganzen Körper. Ich fühlte mich definitiv nicht mehr in der Lage, eine Leiche zu entsorgen, ja nicht einmal darüber nachzudenken, wo ich dies am besten bewerkstelligen könnte. Ich öffnete die Heckklappe einige Zentimeter, fummelte das Stückchen Stoff hinein und knallte sie wieder zu. Dann fuhr ich nach Hause, parkte den Wagen mitsamt Fracht ordnungsgemäß in einer Parkbucht, trank den Rest des Erkältungssaftes auf ex und fiel, noch halb angezogen, ins Bett.