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Um mich gedanklich etwas abzulenken, richtete ich mein Augenmerk auf die Zukunft und stellte mir einige wichtige Fragen: Wo sollte ich wohnen? Das Arbeitszimmer bei Greg und Sue konnte keine dauerhafte Lösung sein. Ich musste mir also entweder eine eigene, kleine, bezahlbare Wohnung suchen oder Greg und meine Seite unseres Bettes zurückerobern. Mir gefiel die Vorstellung eines Umzugs ganz und gar nicht, außerdem erwachte langsam mein Kampfgeist. Ich wollte Greg zurück. Und dann gab es noch das Problem mit meiner Kündigung. Wo sollte ich arbeiten? Wenn es einer ganzen Branche schlecht geht, haben Arbeitskräfte, deren Berufsbild nur in diesem Wirtschaftszweig existiert, schlechte Karten. Und meine Attraktivität für Greg hatte durch die Kündigung gelitten. Arbeitslose sind nicht sexy. Arbeitslose bekommen auch keine Wohnung. Ein Teufelskreis.

Während ich das hier schreibe, sitze ich übrigens in meiner neuen Wohnung. Nicht, dass ich vor lauter Langeweile Tagebuch schreibe. Ich mache das für den Anwalt, den Lisbeth sicher früher oder später für mich engagieren muss. Er soll meine Version der Geschehnisse aus erster Hand erfahren, bevor die Presse mich mit wenig schmeichelhaften Spitznamen bedenkt und öffentlich als Bestie darstellt.

Im Oktober letzten Jahres also saß ich im Café vor dem Tortenstück und hing meinen trübsinnigen Gedanken nach. Vermutlich haben neunundneunzig Prozent aller einunddreißigjährigen Frauen in einer ähnlichen Situation eine Freundin, bei der sie übergangsweise Unterschlupf finden können. Ich hatte, wie bereits gesagt, keine.

Ich war nach dem Abitur nach Düsseldorf zur Ausbildung in eine Werbeagentur gekommen, weil mein damaliger Schwarm das auch tat. Zu Hause hatte er nicht viel von mir wissen wollen, aber als wir beiden Dörfler dann plötzlich in der fernen Großstadt eine Art Schicksalsgemeinschaft waren, klammerte er sich förmlich an mich. Offenbar war ich an diesem Ort der einzige Halt in seinem Leben. Hat aber nicht lange funktioniert. Der Arme floh zurück in die Eifler Berge und verbringt seine Tage heute als stellvertretender Filialleiter an der Kasse eines Drogeriemarktes. Immerhin ist er mit einer ehemaligen Schulkameradin verheiratet und inzwischen dreifacher Vater.

Ich blieb in Düsseldorf, schloss meine Ausbildung ab und machte das, was die meisten jungen Mitarbeiter in Werbeagenturen tun: Überstunden. Hunderte. Mein Privatleben fand ausschließlich am Wochenende statt und bestand meist aus Ausschlafen, Einkaufen, Saubermachen und am Rhein Spazierengehen. Das Nachtleben liegt mir nicht, ich gehe nicht allein in Kneipen, schon gar nicht in Discos. Dazu bin ich viel zu schüchtern. Gelegentlich bin ich ins Kino gegangen, aber das ist natürlich auch kein Ort, an dem man Leute kennenlernt. Sportkurse konnte ich nicht belegen, weil ich keinen geregelten Feierabend hatte. Wie sollte ich so eine Freundin finden?

Und dann, nach acht Jahren Single-Dasein, kam Greg.

Ich verdrängte den Gedanken an ihn, denn mir schossen wieder die Tränen in die Augen. Andererseits waren die Tränen ganz gut, denn sie verhinderten den Blick auf den langsam antrocknenden Kuchen auf dem Tisch vor mir.

Also doch zurück zu Greg. Als er in die Agentur kam, wurde ich von Jörgen beauftragt, dem frisch aus Amerika eingetroffenen Assistant Art Director bei der Wohnungssuche zu helfen. Daraus ergab sich zwangsläufig ein Kontakt, der neben der Arbeit auch am Wochenende fortgesetzt wurde. Ich suchte Wohnungsanzeigen aus der Zeitung heraus, rief die Vermieter an, vereinbarte Termine und besichtigte samstags und sonntags mit Greg die angebotenen Objekte. Währenddessen wohnte er auf Agenturkosten im Hotel, schien sich dort, dank ausgezeichneter Rundumversorgung, sehr wohl zu fühlen und hatte es daher nicht eilig, in die eigenen vier Wände zu kommen. Als ich ganz unerwartet die Kündigung für mein Ein-Zimmer-Apartment erhielt, nahm ich all meinen Mut zusammen und schlug mit klopfendem Herzen vor, zusammenzuziehen. Zwar war unsere Beziehung bis dahin nicht über eher sporadische Intimitäten hinausgekommen, aber zu meiner großen Überraschung willigte Greg ein. Die Zicken aus der Mediaplanung zischelten den Begriff »betreutes Wohnen« durch die Flure, aber das entsprang nur ihrer Eifersucht, denn Greg war nun einmal der schönste Mann im Büro.

»Darf’s noch was sein?«

Ich tauchte aus meinen tränenumflorten Erinnerungen auf, erkannte die Bedienung, die mich mit besorgtem Gesichtsausdruck anblickte, und schüttelte den Kopf.

»Sie können den Kuchen abräumen«, murmelte ich.

»Ist er nicht gut?«, fragte sie.

»Doch, doch«, beeilte ich mich zu antworten. »Aber ich kann jetzt nicht…« Der Rest des Satzes wurde unhörbar, als mir die Stimme wegrutschte.

Sie nickte schnell, griff nach dem Teller, gab sich dabei sichtliche Mühe, mich nicht weiter anzusehen, und verschwand.

Jedenfalls hatte ich, nachdem ich mit Greg zusammenlebte, erst recht keine Freundin mehr gesucht, obwohl Greg abends so oft weg war, dass ich eine Freundschaft durchaus hätte pflegen können. Aber es hat sich einfach nie ergeben. Und jetzt hatte ich also gleich drei Probleme an der Backe: Job weg, Freund weg, Wohnung weg. Eine Rückkehr nach Hause auf die Eifeler Höhen kam trotzdem nicht infrage. Nach all den Jahren war ich eine Stadtpflanze geworden.

Der Antrittsbesuch auf dem Arbeitsamt, das natürlich nicht mehr so heißt, sich aber immer noch so anfühlt, verlief angenehmer, als ich erwartet hatte, stellte meine Geduld aber trotzdem auf eine harte Probe.

»Ausbildung zur Werbekauffrau?«

»Ja.«

»Sie sind ja schon über dreißig!«

»Ja.«

»Hm. Das ist in der Werbung natürlich ein Problem.«

Darauf antwortete ich lieber nicht.

»Führerschein?«

»Ja.«

»Pkw?«

»Nein.«

»Fortbildungen? Zusatzausbildungen? Weitere nennenswerte Fähigkeiten?«

»Nein.«

Oder vielleicht doch? Sollte ich erwähnen, dass ich die agentureigenen Pflanzen pflegte? Nein, lieber doch nicht.

»Also nicht viel«, sagte die gelangweilte Dame mittleren Alters mit dem schlecht gefärbten und toupierten Haar. »Nur eine Ausbildung, nur ein Arbeitgeber, keine Fortbildungen, kein Studium, keine Auslandserfahrung und schon über dreißig. Naja, wenn Sie sich Mühe geben, finden Sie vielleicht wieder was in dem Bereich.«

»Davon gehe ich aus«, sagte ich, obwohl ich mir nicht mehr so sicher war. So, wie die Sachbearbeiterin meinen Fall geschildert hatte, bestand wohl wenig Hoffnung.

»Lesen Sie das alles aufmerksam durch«, sagte die Frau und drückte mir einen ganzen Stapel Broschüren, Faltblätter und weitere Formulare in die Hand.

»Und in vier Wochen sehen wir uns wieder.«

Sie schrieb ein Datum und eine Uhrzeit auf einen vorgedruckten Terminzettel und reichte ihn mir herüber.

»Ab sofort müssen Sie erreichbar sein, bei Abwesenheit ist sicherzustellen, dass jemand Ihre Post entgegennimmt, einem eventuell zwischendurch angesetzten Termin ist Folge zu leisten, sonst gibt es kein Geld.«

Mein Einwand, dass ich aber noch gar nicht arbeitslos sei, weil ich eine Kündigungsfrist von zwei Monaten hatte, rührte sie nicht. »Sobald Sie im System erfasst sind, müssen Sie zur Verfügung stehen.«

Ich fühlte mich zwangsverwaltet, wie ein altes, staubiges Blatt Papier, das man in einen Ordner heftet und dann in ein Regal stellt. In das Regal mit der Aufschrift »Hoffnungslose Fälle«.

»Sie können gleich unten im Computer nach Stellenangeboten suchen, wir erwarten von Ihnen Nachweise, dass Sie sich bewerben.«

»Sind denn so viele Stellen da, auf die ich mich bewerben kann?«, fragte ich mit einem kleinen Funken Hoffnung.

»Glaube ich nicht.« Der Funke erstarb. »Bewerben müssen Sie sich aber auf jeden Fall.«

Gut zu wissen.