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»Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung«, sagte der nette Herr, der mich drei Tage später tatsächlich anrief.

»Wie kommen Sie überhaupt auf mich?«, fragte ich.

»Sie waren ja mehrmals im Fernsehen«, betonte er. »Damit sind wir auch schon direkt bei meiner ersten Frage: War der Hackerangriff auf Ihre Homepage denn nun echt oder haben Sie den zu Werbezwecken erfunden?«

Ich schnappte nach Luft.

»Nicht, dass Sie die Frage missverstehen, wir unterstellen Ihnen nichts. Aber Ihre Werbung war ja insgesamt etwas…«, er hüstelte, »unkonventionell, da wird man ja mal fragen dürfen.«

»Der Angriff war echt und ich fand ihn nicht witzig. Die meisten meiner Kunden auch nicht.« Ich hörte selbst, dass meine Stimme etwas schroff klang, aber das störte mich nicht.

»Ja, ja, das kann ich mir denken. Also, wir brauchen von Ihnen: Ihren vollständigen Lebenslauf, sämtliche Ausbildungen, den beruflichen Werdegang, eine…«

»Nein.«

Meine Antwort warf ihn offenbar ziemlich aus der Bahn, denn einige Sekunden war es still in der Leitung.

»Nein?«, fragte er vorsichtig, fast ungläubig.

»Hören Sie, ich freue mich über die Nominierung, aber ich habe wirklich viel Arbeit und weder Zeit noch Lust, Ihnen eine Mappe zusammenzustellen, wie ich sie zuletzt anlässlich meiner erfolglosen Bewerbungen durch die Gegend geschickt habe. Es ist auch ganz einfach. Ich habe eine einzige Ausbildung, habe in einer einzigen Firma gearbeitet, und die hat mich dann gefeuert. Deshalb habe ich mich selbstständig gemacht. Das ist alles.«

»Das ist ja noch besser!« Mir schlug echte Begeisterung aus dem Hörer entgegen. »Na ja, darüber können wir ja dann sprechen, wenn wir mit dem Filmteam kommen.«

Das zweite Nein blieb mir vor Schreck im Halse stecken, und so durfte ich wieder einmal die Geschichte meiner Unternehmensgründung in ein Kameraobjektiv sprechen. Diesmal farblich korrekt gekleidet und mit perfekt sitzender Kurzhaarfrisur. Da wir eine Woche Zeit hatten, uns auf die Aufnahmen vorzubereiten, schaffte Lisbeth es, Herrn Weber dazu zu bringen, dass wir auch bei ihm filmen durften. Seine Hauselektrik ging in dem Moment in die Knie, in dem das Filmteam die mitgebrachten Scheinwerfer einschaltete. Es hätte bei Außenaufnahmen bleiben müssen, wäre nicht Herr Metzenrath zu Hilfe geeilt. So bekam neben Lisbeth und mir auch er seinen kurzen Auftritt. Herr Weber sagte ein paar nette Worte über unsere Zuverlässigkeit und Lisbeths Kochkünste, und damit war die Sache für uns erledigt, das Filmteam zog weiter. Vielleicht zu Greg. Oder zu Lauenstein. Beide waren nämlich in anderen Kategorien nominiert.

Greg verdankte seine Nominierung der Tatsache, dass er die meistbeachtete Anzeigenkampagne des vergangenen Jahres zu verantworten hatte. Ich erinnerte mich natürlich, denn die Anfänge dieser Kampagne hatte ich noch mitbekommen. Während dieses Auftrags hatte er Sue kennengelernt, und ich schwor mir, den Schokoriegel, um den es da ging, in meinem ganzen Leben nicht zu essen. Bisher hatte ich mich daran gehalten.

Lauensteins auszeichnungswürdige Tat in der Kategorie des »Engagements für die Jugend« war die Organisation eines Ausbildungsverbundes im Bestattungsgewerbe, das zu einer Steigerung des Lehrstellenangebotes um einhundert Prozent geführt hatte. Ich freute mich für Lauenstein und hatte die spontane Idee, ihn anzurufen, um ihm zur Nominierung zu gratulieren. Allerdings zog ich die Hand, die schon den Hörer hielt, wieder zurück. Sein Name weckte in mir Erinnerungen, die ich eigentlich lieber verdrängte. Außerdem hätte er ja genauso gut mich anrufen können, um mir zu gratulieren, wenn er gewollt hätte.

Hatte er aber anscheinend nicht.

Ich befand mich mit der Nominierung also in illustrer Gesellschaft und sah darin, neben der Werbung für die Schmutzengel, eine Gelegenheit, Greg wiederzusehen, und zwar in einer für mich sehr vorteilhaften Umgebung. Als eine hervorragende Unternehmerin, auch wenn ich gegen die Paramediziner und Computerfreaks unmöglich eine Chance haben würde.

Natürlich kamen zur Preisverleihung alle mit. Lisbeth sowieso, aber auch Pauline hatte ihre familiären Verpflichtungen kurzerhand anderweitig geregelt, und Herr Metzenrath verzichtete sogar auf den Freitagskrimi im Fernsehen. Ich glaube zwar nach wie vor, dass er das nur Lisbeths wegen tat, aber Hauptsache, er war dabei. Auch meine Oma war endlich mal wieder im Lande.

»Ich hätte dich kaum wiedererkannt«, rief sie aus, als sie am späten Nachmittag bei mir eintraf. Ich trug bereits das Kostüm, das ich für den Abend ausgewählt hatte, und war dezent mit Wimperntusche und Lippenstift geschminkt. Nur meine Pantoffel musste ich noch gegen die neuen Schuhe tauschen, dann konnte es losgehen. Auch so überragte ich Oma um einen ganzen Kopf.

»Du siehst plötzlich so… erwachsen aus«, murmelte Oma heiser. Ich hatte den Eindruck, dass sie feuchte Augen hatte.

»Das scheint nur so«, tröstete ich sie. »In meinem Bett liegt immer noch der Kuschelhase, den du mir zur Kommunion geschenkt hast.«

Wir hielten uns länger umarmt, als es zur Begrüßung zwischen uns normal gewesen wäre.

»Ich bin so wahnsinnig stolz auf dich«, flüsterte Oma.

»Hör auf mit der Gefühlsduselei, sonst läuft dem ›Kind‹ die Wimperntusche weg«, schaltete Lisbeth sich in dem Moment ein. Herr Metzenrath stand peinlich berührt neben ihr im Hausflur. Oma und ich hatten weder die Klingel noch den Türsummer gehört.

»Nennt deine Angestellte dich immer noch Kind?«, fragte Oma grinsend.

Ich nickte.

»Du solltest ihr eine Abmahnung schreiben.«

»Und du solltest dich aus unserer Geschäftsbeziehung heraushalten«, konterte Lisbeth und drückte erst meine Oma dann mich ganz fest an sich. Herr Metzenrath schaute etwas traurig, denn er blieb ungedrückt. Ich stieg in meine Schuhe, griff nach meiner Tasche und zog die Tür hinter mir zu. Lisbeth fuhr.

Wir kamen eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung in den Räumen der Handelskammer an, die die Preisverleihung ausrichtete. Greg und Sue standen mit den anderen Kollegen von AIQ zusammen. Greg sah blendend aus. Er war – natürlich – ganz in Schwarz gekleidet, was aber hervorragend zu seinem Teint und Haar passte. Sue trug einen Hosenanzug in einem dunklen Grau, der ihr überhaupt nicht stand. Vielleicht sollte ich sie mal zu Byrone schicken.

Ich sandte einen Sammelgruß in ihre Richtung und ergötzte mich an den überraschten Gesichtern derer, die mich lange nicht gesehen hatten. Zwanzig Kilo weniger machen bei einer Größe von fast einem Meter achtzig ganz schön was aus. Außerdem stolzierte ich heute auf den höchsten Absätzen meines Lebens. Vielleicht geriet mein Hüftschwung daher etwas übermütig, aber wohl dem, der über Hüften verfügte, dachte ich mir und blickte etwas mitleidig auf die Bohnenstange Sue, deren Kuschelfaktor mehr dem eines Bettpfostens als eines Betthäschens glich.

Gregs Blicke jedenfalls ruhten länger auf mir, als in der Situation unbedingt notwendig gewesen wäre.

Lauenstein stand in einer größeren Gruppe schwarz gekleideter Herren, die ein ernsthaftes Thema zu diskutieren schienen. Als er mich sah, nickte und lächelte er mir kurz zu und folgte mir mit seinen Blicken. Ich fühlte mich unsicher, wie immer, wenn ich an ihn dachte oder ihn sah. Unsere gemeinsamen Erlebnisse waren intensiv, aber sehr unerfreulich gewesen und sein Name ließ unweigerlich all die unliebsamen Erinnerungen wieder aufleben. Mir fiel ein, dass ich nie erfahren hatte, ob der Tote sein Vater war oder nicht. Ich hatte mich nie getraut, ihn anzurufen und danach zu fragen. Vielleicht würde sich heute die Gelegenheit ergeben, wenigstens diese Frage zu klären.

Tabea hatte ich eine offizielle Einladung geschickt, aber keine Antwort bekommen. Während der ersten halben Stunde, in der die Wichtigtuer des Verlags uns einen langweiligen Rückblick auf die Wirtschaftsentwicklung des vergangenen Jahres zumuteten, blickte ich mich unablässig nach ihr um. Endlich kam sie.