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Ihr Haar und ihre Schuhe leuchteten purpur, dazwischen trug sie tiefes Schwarz. Sie sah toll aus. Die Frau, die mit ihr den Saal betrat, war das genaue Gegenteil. Blond, mit einem mädchenhaften Gesicht, in dezentes Marineblau gekleidet. Tabea entdeckte mich in der ersten Reihe, lächelte mir zu und verschwand dann nach hinten aus meinem Blickfeld.

Endlich gingen die Ehrungen los. Die Herren in den dunklen Anzügen stellten die Nominierten namentlich vor, dann wurde jeweils ein kurzer Film eingespielt.

Der Oscar in der ersten Kategorie ging an den dicksten, in der zweiten an den ältesten Nominierten und in der dritten Kategorie an Greg. Er strahlte, als er auf die Bühne gerufen wurde, bemühte sich um einen einigermaßen gefassten Gesichtsausdruck, als er die Auszeichnung in Form eines Plexiglas-Würfels entgegennahm, und sagte ein paar Dankesworte, bei denen er mich anblickte. Vielleicht saß aber Sue irgendwo hinter mir, und er schaute in ihre Augen statt in meine, so genau konnte ich das auf die Entfernung nicht erkennen. Jedenfalls wurde es jetzt spannend, denn die nächste Kategorie war die Unternehmensgründung.

Während des ersten Films wurden meine Handflächen feucht, während des zweiten meine Achseln, der dritte, in dem die Schmutzengel vorgestellt wurden, beschleunigte meinen Herzschlag. Ich war viel zu aufgeregt, um irgendetwas auf der Leinwand erkennen zu können, aber Oma zerquetschte mir fast die rechte Hand und strahlte über das ganze Gesicht. Der vierte Beitrag beschleunigte meine Atemfrequenz und der fünfte ging völlig an mir vorbei. Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, aber ich war trotzdem aufgeregt.

»Der Gewinner in der Kategorie des innovativsten Startups ist…«

Der Verlagsleiter nestelte an dem Umschlag herum, zog eine Karte heraus, drehte sie herum und vollendete den Satz: »… Corinna Leyendecker mit ihren Schmutzengeln.«

Ich klatschte mit den anderen mit, bis mich Lisbeth, die auf der linken Seite saß, anstieß.

»Hör auf zu klatschen«, flüsterte sie mir zu. »Du hast gewonnen.«

Hatte ich richtig gehört? Ich blickte zu dem Mann auf dem Podium, der auffordernd zu mir herunterschaute.

»Das ist ein Versehen«, flüsterte ich zurück, aber nun zog auch Oma an meinem rechten Arm.

»Blödsinn«, zischte Lisbeth. »Geh auf die Bühne.«

Ich nestelte an meiner Handtasche herum, die ich über die Armlehne gehängt hatte.

»Die Tasche brauchst du nicht«, flüsterte Lisbeth. »Hoch mit dir. Du machst das schon.«

Sie gab mir einen kräftigen Stoß in den Rücken, ich taumelte auf meinen hohen Absätzen nach vorn, meisterte die vier Stufen auf die Bühne, ließ mir von völlig Unbekannten die Hand schütteln und wurde dann wie eine Marionette so herumgedreht, dass ich frontal zum Publikum stand.

Der Saal war riesig, das war mir vorher gar nicht aufgefallen, und er war gestopft voll. Ungefähr hundert Menschen saßen dort auf den unbequemen Stühlen und klatschten. Sie klatschten für mich! Ich konnte es nicht fassen. Mein Blick glitt hilflos über die Menge, bis er an einem purpurfarbenen Haarschopf hängen blieb. Tabea stand in der letzten Reihe und hatte die Arme nach oben gerissen. Sie klatschte wie bei einem Rockkonzert.

Meine Augen suchten Lisbeth und Oma. Beide strahlten mich an und nickten mir aufmunternd zu.

Der Mann an meiner rechten Seite ergriff meinen Arm und zerrte mich vor das Mikrofon. Himmel, die erwarteten, dass ich was sagte! Darauf war ich überhaupt nicht eingestellt.

Der Applaus verebbte. Plötzlich war es still. Ich räusperte mich.

»Ich bin völlig überrascht und empfinde mich nicht als jemand Besonderes, dem ein Preis gebührt«, sagte ich mit kieksiger Stimme. Ich räusperte mich noch einmal. »Im letzten Herbst verlor ich meine Arbeitsstelle und musste mich neu orientieren. Die Idee, mich selbstständig zu machen, kam mir ganz spontan, während eines eher unerfreulichen Vorstellungsgesprächs.«

Mein Blick fiel auf Greg. Er lächelte.

»Den Firmennamen und die tolle Werbung, die Sie so gelobt haben, verdanke ich meiner Freundin und Beraterin Tabea Trollinger.«

Applaus. Tabea hüpfte wie ein Flummi auf und nieder. Greg klatschte nicht, Oma und Lisbeth dafür umso mehr.

»Für die Qualität der Arbeit und für das Personal ist Lisbeth Baues verantwortlich.«

Wieder Applaus. Lisbeth warf mir eine Kusshand zu. Sie blinzelte auffällig. Oma rutschte auf meinen Platz herüber und umarmte Lisbeth von der Seite. Diese beiden kleinen Frauen, Stützen meiner Existenz, hatten doch tatsächlich feuchte Augen.

Mein Blick fiel auf Lauenstein. Er strahlte.

»Ich habe den angenehmsten Job von allen: Ich sitze im Büro, nehme Aufträge entgegen und mache mir nicht die Hände schmutzig.«

Applaus und Gelächter.

»Vielen Dank.«

Ich trat demonstrativ einen Schritt zurück und stolperte, denn mein rechter Stilettoabsatz landete auf dem dünnen Lederschuh des dicht hinter mir stehenden Herrn und trennte vermutlich gerade den großen Zeh vom Rest seines Fußes. Zumindest deutete seine Mimik darauf hin. Ich nickte noch einmal ins Publikum und kehrte schleunigst auf meinen Platz zurück.

Lisbeth und Oma tätschelten mir von rechts und links abwechselnd die Knie, die Hände oder die Schultern. Sie konnten sich gar nicht mehr beruhigen, während auf der Bühne die Preisverleihung weiterging. Viel bekam ich vor lauter Aufregung nicht mehr mit. In Lauensteins Gruppe erhielt ein dicker Mann die Ehrung, der aussah, als würde er gleich an einem Herzkasper dahinscheiden. Er schleppte seine immense Figur auf die Bühne, stammelte ein paar Worte, grinste mit einem debilen Gesichtsausdruck in den Saal und riss den Plexiglas-Würfel in dem Moment seitlich hoch, in dem der Zeremonienmeister im Schwungkreis seines Armes auftauchte. Der konnte mit einem behänden Schritt zur Seite gerade noch ausweichen und bat alle Geehrten zum Gruppenfoto auf die Bühne.

Ich erklomm die steilen Stufen zum zweiten Mal und fand mich auf einmal neben Greg wieder. Ich hatte den leisen Verdacht, dass das kein Zufall war. Greg drängte sich an mich und flüsterte mir einen Glückwunsch ins Ohr. Er benutzte noch immer dasselbe Aftershave wie früher, und wie immer hatte er ein kleines bisschen zu viel davon auf seine frisch rasierten Wangen getupft. Wir wurden zur Ordnung gerufen, der Fotograf schoss seine Bilder, der Veranstalter sagte noch ein paar Abschlussworte, dann löste sich die Gruppe auf.

Das Publikum erhob sich und drängte aus dem Saal. Ich verlor den Blickkontakt zu Oma, Lisbeth und Tabea, konnte nur Lauenstein sehen, der immer noch äußerst euphorisch wirkte, obwohl er den Oscar ja gar nicht bekommen hatte.

Greg hatte einen Arm um meine Taille gelegt und zog mich mit sich zum Team von AIQ. Er tat so, als hätten wir beide als Team gewonnen. Sue stand mit versteinertem Gesicht dabei.

Der Saal leerte sich bereits, als Lisbeth mit Pauline und Herrn Metzenrath kam, um sich zu verabschieden. Herr Metzenrath gab mir förmlich die Hand und gratulierte mit einem strahlenden Lächeln, Pauline fiel mir um den Hals und küsste mich auf beide Wangen. Oma wollte mich zur Feier des Tages einladen und wartete sicher irgendwo im Hintergrund. Tabea boxte sich endlich vom hinteren Ende des Saals nach vorne durch, zog mich aus dem Kreis der ehemaligen Kollegen und umarmte mich stürmisch.

»Und dann muss ich dir noch jemanden vorstellen«, flüsterte sie und schob den blonden Engel vor. »Das ist Martina.«

Ich gab Martina die Hand, sah Tabea mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue an und sie nickte errötend. Ich zwinkerte ihr zu.

»Herzlichen Glückwunsch«, formte ich mit den Lippen, ohne dass ein Ton über meine Lippen kam.

Tabea grinste wortlos von einem Ohr zum anderen.

»Unsere Internetseite benötigt eine Aktualisierung«, sagte ich laut.