«Und sehr geschickt gemacht«, stimmte ich ihm zu.
«Meisterhaft!«
«Ich nehme an, Sie haben die beiden seit heute morgen nicht mehr gesehen, wie?«fragte Keeble den Bootsverleiher.»Wissen Sie zufällig, wie sie hierhergekommen sind?«
«Mit dem Auto. «Er machte eine weit ausholende Handbewegung.»Sie kamen da hinten vom Parkplatz.«
«Sie wissen nicht, mit welchem Wagen?«
Er sah Keeble mitleidig an.»Hören Sie, der Parkplatz gehört der Wirtschaft und uns, da ist ein ewiges Kommen und Gehen. Und ich hab’ meine Augen hier unten am Fluß und wirklich alle Hände voll zu tun. Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, wann und mit welcher Kiste die Leute kommen oder gehen, aber sie müssen mit dem Wagen gekommen sein, weil sie am Morgen schon hier waren, und am Sonntag kommt vor halb zwei Uhr nachmittags kein Bus vorbei.«
«Jedenfalls vielen Dank«, sagte Keeble seufzend.»Sie haben mir sehr geholfen. «Er fügte der ohnehin schon großzügig bemessenen Bezahlung noch ein Pfund hinzu. Der Bootsmann warf einen raschen Blick auf die Uhr an der Wirtschaft. Noch zehn Minuten bis zur Öffnung der Bar. Ich wollte sie ihm gern vertreiben helfen.
«Hat einer der beiden mit einem besonderen Akzent gesprochen?«fragte ich.
Da der Bootsverleiher selbst einen breiten Berkshire-Akzent sprach, war sein Zögern verständlich.»Sie haben genauso gesprochen wie die Ansager im Flimmerkasten«, sagte er nach einigem Nachdenken.
«Das hilft uns auch nicht weiter«, bemerkte Keeble.
«Wie machen Sie die Enden der Leinen Ihrer Boote fest?«erkundigte ich mich.
«Wie?«fragte der Bootsverleiher verwirrt.
«Umwickeln Sie die Enden der Taue, damit sie nicht auffasern?«
«Ach, jetzt versteh’ ich! Nein, wir spleißen sie. Die Enden werden umgeschlagen und eingeflochten. Umwickeln taugt nichts, das geht zu leicht wieder auf.«
Ich wickelte die Leine des Kahns von der Heckklampe der >Flying Linnetc.»Dieses Tau fasert aber auf.«
«Zeigen Sie mal«, sagte er argwöhnisch. Ich reichte ihm das Tauende. Er drehte die offenen Fasern der Leine zwischen seinen kräftigen, schmutzigen Fingern und betrachtete sie mit einer Mischung aus Wut und Resignation.
«Diese verdammten Vandalen! Entschuldigung, Madam!«murmelte er mit einem Blick auf Joan.»Diese — hm — die machen den Kahn an einem Baum oder an etwas anderem fest, und wenn’s wieder weitergehen soll, dann kriegen sie den Knoten nicht mehr auf, weil die Leine naß ist. Sie geben sich gar keine Mühe, sondern schneiden das Ende einfach ab und fahren weiter.«
«Kommt das oft vor?«
«Damit gibt’s jeden Sommer ein paarmal Ärger. «Er zog die Leine gerade und maß sie mit einem Blick.»Da fehlen gut vier oder fünf Fuß an der Länge, würde ich sagen. Wir wollten schon Ketten nehmen, aber die können sich ganz furchtbar verknoten, die Ketten. Hören Sie«, fügte er, zu Keeble gewandt, hinzu,»nehmen Sie lieber einen anderen Kahn, bei dem die Leine in Ordnung ist.«
«Der hier reicht uns schon«, sagte Keeble und machte die Leine wieder fest.»Bis morgen dann.«
Er schleppte den Flachkahn bis Henley und zog ihn in das garagenähnliche Bootshaus, das den englischen Sommer vom Lack der >Flying Linnet< fernhielt. Zusammen mit Peter sicherte er den Kahn längsseits. Dann gingen alle über eine schmale Laufplanke von Bord, wobei jeder ein Souvenir von der Fahrt mitbrachte: Überreste des Lunchs, Zeitungen, Badetücher, ich meine nassen Sachen und das eisenbeschwerte Jackett. Durch das Bootshaus gingen wir zu Keebles Rover, der auf dem netten Grasplatz dahinter parkte.
Peter war am meisten um seine kostbare Kamera besorgt, die er jetzt wieder um den Hals hängen hatte.
«Sag mal«, fragte ich ihn beiläufig,»du hast nicht zufällig da droben am Wehr einen Schnappschuß gemacht? Vielleicht von den beiden jungen Leuten in dem Kahn?«
Er schüttelte den Kopf und blinzelte wie sein Vater.
«Herr im Himmel, nein. Wahrscheinlich hätt’ ich nicht einmal an ein Foto gedacht, als das alles passiert ist. Sie vielleicht? Ich meine, das hätte doch komisch ausgesehen, wenn ich mich hinstelle und knipse und alles, während Sie und Mr. Teller ertrinken.«
«Du wirst nie ein rechter Zeitungsreporter«, sagte ich grienend.
«Sie hätten es mir also nicht übelgenommen?«
«Ich glaube nicht.«
«Jedenfalls konnte ich auch nicht«, sagte er betrübt.
«Ich hatte schon zu Mittag den Film verknipst. Selbst wenn ein Großfeuer oder so was ausgebrochen wäre, ich hätt’s nicht fotografieren können. «Er betrachtete nachdenklich seinen Fotoapparat.»Ich werde nie wieder einen Film mitten am Tag schon leerknipsen. Man kann ja nicht wissen, was noch kommt.«
«Ein Großfeuer, zum Beispiel«, sagte ich ernsthaft.»Das gibt jedenfalls ein viel besseres Bild als Leute, die ertrinken. Das spielt sich ja doch größtenteils unter Wasser ab.«
Peter nickte und sah mich an.»Junge, sind Sie aber schlau!«
«Peter!«rief seine Mutter tadelnd.»So etwas sagt man doch nicht!«Der Tadel war unnötig, aber es paßte ihr auch nicht, als ich ihr sagte, meinetwegen könne er sagen, was er wolle.
Keeble fuhr zum Parkplatz am Bahnhof. Dort stiegen Lynnie und ich in den Austin um.
«Ich ruf Sie gleich am Morgen an«, sagte Keeble und beugte sich aus seinem Luxusgefährt.
«Gut.«
«Passen Sie auf Lynnie auf.«
«Mach’ ich.«
Lynnie gab ihren Eltern einen Abschiedskuß, der bei ihrem Vater etwas herzlicher ausfiel, dann schnitt sie Peter ein Gesicht, und der Rover rollte davon. Sie stieg in den Austin, wartete, bis ich neben ihr saß, und streckte die Hand nach der Zündung aus.
Sie zitterte wieder.
«Soll ich fahren?«fragte ich in einem Ton, der ihr zeigte, daß ich es ihr selbst überlassen wollte zu entscheiden.
Sie legte beide Hände in den Schoß und starrte geradeaus durch die Scheibe. Über dem orangefarbenen Kleid wirkte ihr Gesicht sehr blaß.
«Ich dachte schon, Sie wären beide tot.«
«Ich weiß.«
«Ich bin noch ganz erledigt. Es ist albern.«
«Es ist nicht albern. Ich nehme an, Sie mögen Dave Teller sehr gern.«
«Er hat uns schon Geschenke geschickt, als wir noch klein waren.«
«Ein netter Kerl.«
«Ja. «Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und meinte nach einer Weile:»Es wäre vielleicht doch besser, wenn Sie jetzt fahren, falls es Ihnen nichts ausmacht.«
«Natürlich tu’ ich das gern.«
Wir tauschten die Plätze, dann fuhr ich nach London zurück. Am Chiswick-Rondell sagte ich, daß ich sie zu ihrer Wohnung fahren wolle und dort ein Taxi nehmen würde, aber sie meinte mit einem lachenden Seitenblick, in meinem Aufzug würde mich kein Taxifahrer mitnehmen. Ihr gehe es schon wieder besser, und das letzte Stück schaffe sie schon allein. Ich fuhr also bis Putney und hielt vor meiner Haustür.
Sommerliche Dämmerung lag auf den stillen Straßen. Keiner in der Nähe. Lynnie blickte durch das Fenster an dem Haus hinauf. Ein Schauder fuhr ihr durch die Glieder.
«Sie frieren«, sagte ich und machte mir Sorgen wegen ihrer bloßen Arme.
«Nein… Ich hab’ eine Jacke im Wagen… Ich mußte nur gerade an Ihre Wohnung denken.«
«Was ist damit?«
«Sie ist so — leer. «Sie ließ ein halbes Lachen hören und schüttelte den Gedanken ab.»Nun, ich hoffe nur, daß Sie nach diesen Erlebnissen nicht schlecht träumen werden.«
«Nein. «Ich sammelte meine Sachen zusammen und stieg aus. Sie rutschte auf den Fahrersitz herüber.
«Ob man Ihnen in dem Studentinnenheim wohl das Abendessen warmgestellt hat?«fragte ich.
«Aussichtslos«, antwortete sie fröhlich.»Aber üblicherweise findet man noch irgendwo ein Glas Milch und ein Stück Kuchen.«
«Würden Sie vielleicht eine Kleinigkeit mit mir essen? — Nein, nicht da droben«, fügte ich hastig hinzu, da ihre gute Erziehung sie schon wieder mißtrauisch machte.»Ich meine, in irgendeinem Restaurant.«