Die Überprüfung des Kahns in Henley hatte nichts weiter ergeben als zehn verschiedene Arten von Fingerabdrücken, von denen die obersten und deutlichsten Peter gehörten. Das Taschentuch mit dem Yogi-Bären war unterwegs zu den Herstellern. Wir hegten die schwache Hoffnung, daß uns vielleicht einer von ihnen sagen konnte, wohin es verkauft worden war. Dave Teller hatte bei einem kurzen Besuch nur matt gemurmelt, ich solle alle Rechnungen an ihn schicken. Die Düsenmaschine war um 15.00 Uhr — britische Sommerzeit — vom Flughafen Heathrow gestartet und um 15.10 Uhr auf dem Kennedy-Flughafen gelandet. Die Buttress — Lebensversicherung hatte um 18.00 Uhr Geschäftsschluß, also blieb mir immer noch eine halbe Stunde. In den Straßenschluchten draußen kroch die Temperatur um einen weiteren Grad — bis auf 38 °Celsius hinauf.
Dann war ich an der Reihe. Der Gewaltige erhob sich hinter seinem Schreibtisch, hielt mir seine trockene, schlaffe Hand hin und schenkte mir das aufrichtige Lächeln des erfahrenen Versicherungsdirektors. Nachdem er mir den tiefen, bequemen Sessel neben seinem Tisch angeboten hatte, nahm er selbst auch wieder Platz und griff nach dem Telegramm, das sein Sekretär ihm diskret gereicht hatte. Zwischen uns stand ein polierter Klotz aus Edelholz, der mich mit hübschen goldenen Buchstaben unterrichtete, daß ich es mit Mr. Paul M. Zeissen zu tun hatte.
«Wir haben von Mr. Teller ein Telegramm erhalten«, begann er mit einem ganz leisen abweisenden Unterton.
Ich nickte. Ich hatte es selbst aufgegeben.
«Unsere eigenen Ermittlungsbeamten sind erfahrene Fachleute. «Es paßte ihm nicht, daß ich gekommen war, andererseits wollte er gern Tellers Versicherungen behalten. Seine Höflichkeit wirkte ein wenig erzwungen.
Ich beruhigte ihn — mehr aus alter Gewohnheit als aus anderen Gründen.
«Selbstverständlich. Bitte, betrachten Sie mich einfach als zusätzliche Hilfskraft. Mr. Teller hat mich zu dieser Reise überredet, weil er sich drüben in England leider ein Bein gebrochen hat und für die nächsten Wochen im Krankenhaus festliegt. Er beauftragte mich als persönlichen Freund ohne besondere Hintergedanken — ich soll ihn hier sozusagen vertreten. Nur zusehen, ob ich vielleicht in irgendeiner Form behilflich sein kann. Das soll natürlich nicht bedeuten, daß er mit Ihrer Firma unzufrieden wäre.«
Ich legte eine kleine Pause ein.»Wenn er an jemandem Kritik übt, dann höchstens an der Polizei.«
Mr. Zeissens Lächeln wurde von innen heraus ein wenig wärmer, aber wenn jemand in einer Versicherungsgesellschaft zu leitender Position aufsteigt, dann glaubt er ohnehin nur die Hälfte dessen, was er hört. Mir war das recht. Die Hälfte dessen, was ich sagte, stimmte. Oder es war zumindest zur Hälfte wahr.
«Es ist Mr. Teller doch wohl klar, daß es in unserem eigenen Interesse liegt, das Pferd wiederzufinden?«meinte er.
«Natürlich«, sagte ich.»Mr. Teller hofft sehr, daß Sie damit Erfolg haben, weil das Pferd unersetzlich ist. Das Pferd wäre ihm unendlich lieber als die Versicherungssumme.«
«Eineinhalb Millionen«, bemerkte Zeissen ehrfürchtig.
«Auf vier Beinen sind sie ihm lieber«, versicherte ich.
Jetzt erst schien ich ihm etwas willkommener zu sein. Nachdem er zuerst den verletzten Stolz hinuntergeschluckt hatte, wurde ihm klar, daß die Gesellschaft nichts zu verlieren hatte, wenn sie mich mitmachen ließ.
«Den Fall Chrysalis bearbeitet einer unserer besten Männer, Walt Prensela«, sagte er.»Er wird Sie informieren, und er weiß, daß Sie kommen. Ich habe ihm eine Aktennotiz und eine Kopie des Telegramms zugehen lassen.«
Er schaltete die Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch ein.
«Walt? Ich habe Mr. Hawkins aus England hier. Kann er jetzt vielleicht auf einen Sprung zu Ihnen hinaufkommen?«
Diese höfliche Frage stellte die typisch amerikanische Form einer ebenso höflichen Anweisung dar. Natürlich hatte Mr. Prensela nichts einzuwenden. Zeissen legte den Schalter um und erhob sich.
«Walt hat sein Büro im nächsten Stock, Nummer 47. Kann Ihnen jeder zeigen. Würden Sie sich jetzt zu ihm bemühen?«
Ich bemühte mich.
Wenn ich erwartet hatte, in Nummer 47 auch so einen Kerl mit gesträubtem Gefieder anzutreffen, so sah ich mich getäuscht. Walt hatte seine Hausaufgaben nämlich gemacht, obgleich ich mir dessen zuerst nicht so sicher war. Er begrüßte mich sachlich und ohne Überschwang, deutete auf den freien Stuhl und setzte sich wieder. Einschließlich Händedruck dauerte das nicht länger als fünf Sekunden. Nach meiner Schätzung war er ungefähr in meinem Alter, aber ein gutes Stück kleiner und viel dicker. Seine kräftigen, viereckigen Hände hatten so kurze Nägel, daß die Fingerkuppen überzuquellen schienen. Sein Schädelbau deutete auf mitteleuropäische Vorfahren hin; er hatte kurz geschnittenes, braun-graues Haar und tiefsitzende braune Augen, die dasselbe ausdrückten wie bei seinem Chef eine Etage tiefer: Ich glaub’ dir kein Wort! Nur deutlicher.
«Also, Gene — Sie haben einen weiten Weg hinter sich«, sagte er weder freundlich noch unfreundlich.
«Es war Dave Tellers Idee«, sagte ich sanft.
«Pferde suchen — machen Sie das öfter?«Seine Stimme klang tonlos und verriet gar nichts.
«Eigentlich nicht. Und Sie, Walt?«
Seine Nasenflügel zuckten.»Wenn Sie damit fragen wollen, ob ich es war, der die beiden anderen auch nicht gefunden hat — nein, das war ich nicht.«
Ich versuchte es mit einem Lächeln, aber er verzog keine Miene, Er sagte:»Die Firma >Buttress< mußte vor drei Jahren für Allyx bezahlen. Eine Million sechshundertdreiundvierzig-tausendsiebenhundertneunundzwanzig Dollar, vielleicht ein paar Cents mehr oder weniger. Showman, das erste Pferd, war bei einer anderen Gesellschaft versichert.«
«Zufall oder Absicht?«murmelte ich vor mich hin.
Er rieb sich mit dem linken Daumen über die gerundeten Fingerkuppen. Diese Geste sollte ich noch hundertmal zu sehen bekommen.
«Da Sie gekommen sind — Absicht. Ein Plan. Vorher war ich nicht ganz sicher.«
«Offiziell habe ich Urlaub«, wehrte ich ab.»Ich bin nur gekommen, weil mich Teller darum bat. Das dürfen Sie nicht zu wichtig nehmen.«
Er sah mir ironisch in die Augen.
«Ich hab’ mich nach Ihnen erkundigt«, erklärte er und spielte mit der Kopie des Telegramms, die auf seinem Schreibtisch lag.»Ich wollte wissen, was für einen Wichtigtuer man mir da angehängt hat.«
Ich schwieg. Er machte aus dem Mundwinkel ein schnalzendes Geräusch, das gleichzeitig Verstehen, Resignation und Zustimmung ausdrückte.
«Ein Ermittlungsbeamter«, sagte er.»Wie kam Teller denn auf Sie?«
«Wie kamen Sie denn auf mich?«konterte ich.
«Ich habe an zwei verschiedenen Stellen Ihren Namen erwähnt«, antwortete er.»Beim FBI und beim CIA. In beiden Fällen war die Reaktion positiv. Hab’ dort recht brauchbare Freunde, die erzählten mir das Nötigste. Anscheinend legen Sie Leuten, die Spione in gewissen Regierungsämtern oder in Labors für biologische Kriegsführung unterbringen wollen, Steine in den Weg, und Sie haben auf diesem Gebiet unseren Leuten in Fort Detrick recht nützliche Warnungen zukommen lassen. Man erzählt sich, die andere Seite hätte ein- oder zweimal mit etwas rüden Methoden versucht, Sie abzuschrecken. «Er seufzte.»Nach Ansicht unserer Boys sind Sie in Ordnung. Und wie!«
«Und wie denken Sie darüber?«
«Man sagt, Sie stehen nicht gern im Scheinwerferlicht.«
«Das können Sie haben.«
«Mir kommt’s nur darauf an, daß ich gegenüber >Buttress< gut dastehe.«
Mein zustimmendes Nicken befriedigte ihn. Wenn wir das Pferd fanden, dann sollte er ruhig die Glückwünsche entgegennehmen.
«Dann bringen Sie mich bitte auf den neuesten Stand«, bat ich.»Wie ist Chrysalis verschwunden?«