Walt schaltete die Klimaanlage ein, schob Stühle und Sessel zurecht und versprach uns für später ein Bier. Die beiden Fahrer gaben sich widerborstig und berichteten noch einmal mürrisch die ganze unheilvolle Geschichte. Ihnen war klar, daß sie die wertvollen Pferde niemals hätten unbeaufsichtigt lassen dürfen und nun wahrscheinlich ihren Job einbüßen würden. Was sie sagten, wußte ich im wesentlichen bereits von Walt.
«Sie kennen sich recht gut?«fragte ich.
Der Schmächtigere der beiden, der ein richtiges Vogelgesicht hatte, bejahte.
«Kannten Sie auch die Pferdepfleger? Kennen die beiden sich schon länger?«
«Hab’ sie schon mal gesehen«, antwortete der Dicke.
«Diese faulen Hunde.«
Der Schmächtige fügte hinzu:»Einer von ihnen kam von der Midway-Farm.«
Die gehörte Dave Teller.»Er wurde ganz besonders wegen Chrysalis geschickt. Er müßte für die ganze Sache geradeste-
hen.«
«Kannten die beiden sich schon vor der Fahrt?«
«Klar«, erwiderte der Dicke.»Wie die redeten, sind sie beide mit Pferden großgeworden.«
Walt zog die Luft hoch und nickte. Das alles hab’ ich schon überprüft, sagte mir seine resignierte Miene. Reine Routine.
Ich wandte mich an die Fahrer:»Ich möchte, daß Sie einmal genau nachdenken und eine Liste aller Personen- und Lastwagen aufstellen, die Sie auf dem Weg vom KennedyFlughafen bis zu der Stelle gesehen haben, wo die Pferde verloren gegangen sind.«
Sie starrten mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
«Hören Sie«, sagte ich,»auf diesen Schnellstraßen begegnet man manchmal immer wieder denselben Wagen. Ich meine solche, die in dieselbe Richtung fahren. Man sieht sie an den Raststätten, Sie fahren dann vielleicht früher los, der andere überholt Sie, und am nächsten Rasthaus steht er vielleicht, während Sie bis zum übernächsten weiterfahren. Dann überholen die anderen wieder. Stimmt das nicht?«
Sie nickten.
«Vielleicht erinnern Sie sich doch noch an einige Fahrzeuge, die Ihnen aufgefallen sind? Mir geht’s besonders um solche, die Sie an beiden Tagen gesehen haben.«
Sie starrten mich immer noch an. Dann sagte der Dicke:
«Nichts zu machen. Das war schon vor einer Woche.«
«Ich weiß. Versuchen Sie’s trotzdem, denken Sie genau nach. Besprechen Sie sich, vielleicht fällt Ihnen gemeinsam etwas ein. Schreiben Sie’s auf und lassen Sie uns die Liste hier, damit wir sie heute abend vorfinden.«
Ich zückte meine Brieftasche und probierte es mit zwanzig Dollar. Das ging ihnen ein. Sie versprachen, sich Mühe zu geben.
«Aber nichts erfinden«, warnte ich sie.»Ich bezahle lieber für nichts als für nutzloses Blabla.«
Sie nickten wieder und verzogen sich. Das versprochene Bier wurde auf unser nächstes Treffen verschoben.
«Worauf wollen Sie hinaus?«fragte Walt neugierig.
«Vielleicht suche ich nach einem zweiten Pferdetransporter.«
Er überlegte.»Sie können doch ein Treffen für die Stelle abgesprochen haben, wo der leere Transporter gefunden wurde. Dann mußten sie sich nicht auf der Straße blicken lassen.«
«Nach meiner Meinung wußten sie vorher nicht mit Sicherheit, an welcher Stelle sich der geplante Raub würde verwirklichen lassen. Sie wußten ja auch nicht, wo die Fahrer Rastpausen einlegen wollten. Es hat keinen Sinn, ein Rendezvous in Kentucky zu vereinbaren, wenn sich vorher schon eine passende Gelegenheit bietet, zum Beispiel bei Wheeling.«
Walt pflichtete mir bei.»Sie wollten mit einem >heißen< Lastwagen sicher nicht allzuweit fahren. Es waren auch nur fünfundzwanzig Meilen, hauptsächlich über Nebenstraßen. Sie fuhren schnurstracks ins Gebirge. Dort dauert es am längsten, entlaufene Pferde wieder einzufangen.«
«Spuren?«
«Keine brauchbaren Reifenabdrücke. Die Straßen in der Umgebung hatten Schotterbelag, der um diese Jahreszeit trocken und staubig ist. Da, wo der Transporter von der Straße abgebogen und hinter den Hügel gefahren ist, fanden sich Spuren, aber auf der Straße selbst war nicht viel. Jeder vorbeikommende Wagen wirbelte eine Staubwolke auf und löschte eventuell vorher vorhandene Spuren wieder aus.«
Ich ächzte.»Hufabdrücke?«
«Dutzende. Nach allen Richtungen.«
«Auch auf der Schotterstraße?«
Abgespannt schüttelte er den Kopf.»Nicht feststellbar.
Jedenfalls nicht über den Reifenspuren des Transporters. Aber wir haben eine Menge Bodenproben genommen, für den Fall, daß sich vielleicht später noch etwas ergibt.«
«Sie haben recht sorgfältig gearbeitet.«
Diesmal brach das Lächeln beinahe durch. Er sagte knapp:»Eineinhalb Millionen sind auch für eine Versicherung viel Geld.«
Schon den Torpfosten der Midway-Farm sah man die Wohlhabenheit an. Ich durchschritt sie allein, da Walt sich mit einsetzenden Kopfschmerzen entschuldigte.
Eine Ungarin in mittleren Jahren öffnete mir und erkundigte sich in gebrochenem Englisch nach meinen Wünschen. Aufgrund langer Übung erkannte ich ihren Akzent richtig und antwortete in ihrer Muttersprache, da dies einfacher war. Sie verschwand kurz im Salon und führte mich dann hinein.
Daves Frau stand mitten auf einem halben Morgen von üppig wucherndem grünem Teppich. Die Wände waren grün und weiß gestrichen, die Möbelbezüge tomatenrot. Sie schnippte mit dem Daumen gegen meine Karte und stellte fest:»Sie sind also der Mann, der Dave aus dem Bach gefischt hat.«
«Ja«, antwortete ich überrascht.
«Er rief mich gestern an«, erklärte sie.»Ich könne Ihnen völlig vertrauen, sagte er.«
Sie war ein schlankes, zierliches Geschöpf mit einem kleinen, festen Hinterteil, wie man es vom vielen Reiten in früher Kindheit bekommt. Sie hatte ein zartes, etwas eckiges Kinn, eine gerade Nase und große, klare Augen. Das mausbraune, gewellte Haar war graugesprenkelt, und wenn sie wirklich ein Make-up trug, dann hätte man das nur aus nächster Nähe feststellen können. Jede ihrer beherrschten Gesten deutete auf Selbstsicherheit hin. Dem Tonfall ihrer Stimme konnte ich entnehmen, daß sie sich normalerweise nicht nur auf das Wort ihres Mannes zu verlassen pflegte.
«Nehmen Sie Platz«, sagte sie und deutete auf einen tomatenroten Sessel.»Was trinken Sie?«Es war zwei Uhr nachmittags, noch dazu an einem heißen Nachmittag.
«Scotch«, stellte sie fest, ohne meine Antwort abzuwarten.
Ich beobachtete sie, wie sie die goldbraune Flüssigkeit über die Eiswürfel rieseln ließ und der Form halber einen Tropfen Wasser dazutat. Dann kam sie auf mich zu und hielt mir eins der beiden hohen Gläser mit ihrer schmalen, sonnengebräunten Hand hin. An ihrem Handgelenk klimperte ein schweres goldenes Armband mit Anhängern und Talismanen. Ein flüchtiger Duft von >Creur Joie< wehte mir in die Nase.
Ich probierte den Whisky. Eine ausgesprochene Spitzenmarke. Jeder kleine Schluck ließ einen lange anhaltenden Nachgeschmack auf meiner Zunge zurück.
«Eva sagt, Sie sprechen Ungarisch«, bemerkte sie. Mit ihrem Glas entfernte sie sich wieder von mir und nahm einen tüchtigen Schluck.
«Ja.«
«Sie war sehr davon beeindruckt.«
«Ich komme wegen Chrysalis«, begann ich.
«Sprechen Sie noch andere Sprachen?«Ihre Sprechweise war mehr Amerikanisch als Englisch. Die Worte kamen etwas zu ruckartig, wie wenn sie schon zwei Drinks zuviel gehabt hätte. Aber sonst merkte man es ihr nicht an.
«Deutsch«, antwortete ich mit höflichem Lächeln.
Bei der Methode, die bei mir angewandt worden war, bekam man nach einer Woche einen flüchtigen Eindruck von einer Sprache, nach drei Monaten sprach man sie fließend, und nach zwei Jahren war man so weit, daß man typische Redewendungen und Denkschablonen erkannte, wenn man sie in die Muttersprache übersetzt fand. Auf diese Weise hatte ich innerhalb von sieben Jahren — ich war damals zwischen zwanzig und dreißig — Deutsch, Ungarisch und fünf slawische Sprachen, darunter Russisch und Kroatisch, eingetrichtert bekommen. Keine davon würde mir bei der Auffindung von entlaufenen Pferden helfen. Außerdem waren sie aus der Mode gekommen. Die neuen Kollegen lernten Suaheli, Arabisch und Chinesisch.