Ich las die Liste beim Ausziehen dreimal durch. Die Möbelladung kam der Sache noch am nächsten, aber ermutigend war keine der Beobachtungen.
Doch auch diesen kleinen Hoffnungsschimmer dämpfte Walt,
als er mich am nächsten Morgen zum Flughafen fuhr.
«Das war nur ein Lastwagen vom >Snail Express<.«
«Diese Selbstfahrer?«fragte ich.
«Richtig. >Tragen Sie Ihren Haushalt auf dem Rücken mit, aber lassen Sie sich von uns die Last abnehmen<, lautet ihr Werbespruch. Die Fahrer meinen, der Wagen sei für ein Pferd nicht groß genug gewesen.«
Im ganzen Land gab es Möbelwagen in allen Größen. Wer umziehen wollte, mietete einen solchen Wagen am bisherigen Wohnsitz, lud alles auf und fuhr damit zur neuen Wohnung, die unter Umständen sechs Bundesstaaten entfernt liegen konnte. Dort lud man das Zeug ab und gab den Lastwagen einfach am nächstgelegenen Depot ab. Die Transportfirma teilte ihn von dort aus für den nächsten Kunden ein. Zwei solche Selbstfahrerfirmen gab es; die leuchtend orangefarbenen Wagen von >U-Haul< und die zweifarbigen, aluminiumsilbern-blauen von >Snail-Express< sah man auf Amerikas Straßen fast ebenso häufig wie die riesigen Überlandbusse der >Greyhound<-Linien.
«Was ist mit dem Kleinlaster?«fragte ich.
«Viel zu klein für ein Pferd«, antwortete Walt düster.
Er flog mit mir nach New York und rieb sich beständig mit dem Daumen über die Fingerkuppen, während ich das Aktenstück durchging, das wir zu dem Fall angelegt hatten.
Zunächst gab es einen Packen Fotos von dem verschwundenen Pferd, die anscheinend zumeist aus den Anzeigen im Zuchtbuch stammten. Nach meiner Meinung sah der Hengst auf dem Papier nicht sehr eindrucksvoll aus.
Sam Hengelman hatte seine zwei besten Fahrer nach New York geschickt, um Chrysalis abzuholen. Mrs. Teller hatte ihn telefonisch über die genaue Ankunftszeit unterrichtet, außerdem war ihm aus England telegrafisch der Abflug bestätigt worden. Daraufhin hatte Sam Hengelman den Kennedy-
Flughafen angerufen und erfahren, am Dienstag mittag ende die vorgeschriebene Einfuhrquarantäne von 24 Stunden. Er gab zu, daß es auch für Pferdetransporte ein ähnliches System gebe wie >U-Haul<, um unnütze Leerfahrten zu vermeiden, aber manche Leute wollten eben doch persönlich bedient werden, und zu denen gehörte auch Mr. Teller.
Die Buttress-Lebensversicherung deckte auch den Transport. Sam Hengelman brauchte für den Transport keine Versicherung abzuschließen, und er selbst hatte sich von dem Raub weder einen Gewinn noch einen Verlust zu erwarten.
Beide Fahrer konnten weit zurückreichende einwandfreie Führungszeugnisse aufweisen.
Beide Pferdepfleger arbeiteten länger als drei Jahre in ihrer gegenwärtigen Stellung. Einer von ihnen kam von der Mid-way-Farm, der andere von einer zweiten Farm, die mit demselben Transport ebenfalls ein Pferd bekommen sollte.
Das Gespräch mit Mrs. Eunice Teller war ergebnislos verlaufen.
Ich klappte die Mappe lächelnd zu und reichte sie Walt zurück.
«Sollten wir nicht vorsichtshalber bei >Snail-Express< rückfragen?«
Er machte ein skeptisches Gesicht.»Die Fahrer meinen, der Wagen sei nicht hoch genug gewesen.«
«Die vergleichen das mit normalen Pferdetransportern. Von ihrer hohen Fahrerkabine schauten sie auf das andere Fahrzeug herab. Aber wenn man herzlos genug ist, kann man ein Rennpferd auch in einen Verschlag zwängen, der nicht größer ist als eineinhalb mal drei Meter, bei einer Höhe von zwei Metern. Stellen Sie fest, wie viele Wagen von dieser Größe die Firma am letzten Montag und Dienstag unterwegs hatte und welcher davon sich auf der Schnellstraße befunden haben könnte.«»In Ordnung«, sagte er ausdruckslos.»Wie Sie meinen.«
Da sich der Zeitunterschied entgegengesetzt auswirkte, war es 3.00 Uhr am Donnerstagmorgen, als ich in Heathrow landete, und 12.00 Uhr mittags, als ich Tellers Zimmer in einem Krankenhaus in Reading betrat. Das strahlende Juniwetter war nur eine vorübergehende Erscheinung gewesen — es regnete wieder.
Abgesehen von den Seilen, Flaschenzügen, Schlingen und Gipsverbänden, die das Bein ausgestreckt in der Luft hielten, sah der Patient recht gesund aus. Er begrüßte mich ohne Umstände und sah mich unverwandt aus seinen hellen, harten Augen an.
«Anstrengende Reise?«
«Es geht.«
«Schon was gegessen?«Er deutete flüchtig auf seine Kollektion von Schokolade und Weintrauben.
«Ich hab’ um zwei Uhr nachts über Irland gefrühstückt.«
Er lachte, legte sich bequemer zurecht und streckte eine Hand nach einer Zigarette aus.
«Wie geht’s meiner Frau?«
«Sehr gut.«
Er zündete sich die Zigarette an und ließ das Feuerzeug wieder zuschnappen.
«Was hat sie gerade gemacht?«Seine Spannung war gut überspielt.
«Sonnenbad und Schwimmen. Drüben herrscht eine drückende Hitze.«
An seinem Unterarm entspannten sich ein paar Muskeln. Er inhalierte tief.»Ich hoffe, sie hat Ihnen etwas zu trinken angeboten?«
«Sicher. Dazu ein kühlendes Bad. Ich blieb auch zum Abendessen.«
Wortlos sah er mir eine ganze Weile ins Gesicht, dann fragte er nur:»War das Essen gut?«
«Danke, sehr gut. Chub Lodovsky hat mir auch Ihre Pferde gezeigt.«Über Pferde konnte er viel ungezwungener reden. Die machten ihm weniger Sorgen.
«Ich habe erfahren, Sie wollen nach Kalifornien übersiedeln«, sagte ich nach einer Weile.
Sofort war die innere Spannung wieder da. Ich hatte täglich auf das winzige, verräterische Zucken um die Augen, am Nacken und bei den Muskeln der Atmung zu achten und konnte auch gegenüber meinen Freunden nicht darüber hinwegsehen.
«Ja«, antwortete er und streifte die Asche ab.»Eunice liebt den Ozean, und in Kentucky sind wir endlos weit davon entfernt. Außerdem ist die Pferdezucht in Kalifornien natürlich ebenso gewinnbringend. Ich zweifle nicht daran, daß wir dort erfolgreich sein werden.«
«Wie sieht die neue Farm aus?«
«Guter Boden, ausgiebig bewässert. Die Stallungen und die allgemeine Anlage sind ebenso geeignet wie in Midway, in mancher Hinsicht sogar noch besser. Die Farm hat früher dem alten Davis L. Davis gehört.«
Eunice wird ihre Probleme mitnehmen, dachte ich. Aber wenn sie Glück hat, werden sie für ein oder zwei Jahre etwas in den Hintergrund treten. Das ist Dave vielleicht die Mühe wert.
Der Name Davis sagte mir nichts. Er merkte es mir an und erklärte:»Der hat sein Geld mit Würstchenständen an der Straße verdient. Anfang des Jahres starb er, und letzten Monat wurde sein Gestüt wegen der Erbteilung aufgelöst. Ich habe bei den Testamentsvollstreckern mein Angebot für die Farm hinterlegt, bevor ich diesmal nach England kam. Vor einer Woche haben sie mir geschrieben, daß sie es akzeptieren. Im Augenblick werden gerade die Verträge aufgesetzt, aber es dürfte kaum noch Schwierigkeiten geben. Ich bin froh, daß ich es endlich unter Dach und Fach habe.«
«Endlich?«
«Ich suche schon seit über einem Jahr nach einer Farm in Südkalifornien, aber überall war ein Haken dran. Eunice und ich waren im März dort und haben die Davis-Farm gesehen. Sie hat uns auf Anhieb gefallen. Deshalb…«Er beendete den Satz mit einer vielsagenden Fingerbewegung.
Die Tür ging auf. Keeble trat ein. In seinen Brillengläsern spiegelte sich sanft das fahle Licht des Fensters, er blinzelte rasch, und an der Stelle, die er beim Rasieren ausgelassen hatte, wucherte der übliche graue Stoppelbart. Er begrüßte uns freundlich und ließ sich auf dem Sessel nieder.
«Na, wie sieht’s in den Staaten aus?«fragte er. Ich berichtete den beiden alles, was ich von Walt erfahren hatte. Sie dachten eine ganze Weile schweigend darüber nach.
«Und was halten Sie jetzt davon?«fragte Keeble schließlich.