«Selbstverständlich, wenn ich kann«, sagte er sofort.
«Ihr Problem besteht darin«, erklärte ich,»daß sie nicht sicher sein können, ob es wirklich Chrysalis ist — falls ein ähnliches Pferd gefunden wird, und zwar weit weg von der Stelle, an der es verlorenging.«
Er sah mich erst überrascht und dann leicht amüsiert an.
«Ja, das ist tatsächlich schwierig. Aber Chrysalis hat seit — warten Sie mal — seit Oktober vor vier Jahren nicht mehr auf meinem Hof gestanden. Ich weiß auch nicht, ob ich ihn mit absoluter Sicherheit wiedererkennen würde, wenn ich ihn unter zwanzig ähnlichen Pferden vorgestellt bekäme. Und Sie müssen es doch ganz genau wissen.«
«Ja, das schon«, stimmte ich ihm zu.»Ich habe heute morgen bei Ihnen angerufen und von Ihrem Sekretär erfahren, daß Sie heute hier sein würden. Er sagte mir außerdem, daß Chrysalis’ früherer Jockey hier sein würde — Sam Kitchens. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mich kurz mit ihm unterhielte?«
«Ganz und gar nicht, fragen Sie ihn ruhig. Er ist mit Milkmaid für das Rennen um 16.30 Uhr gemeldet.«
«Mr. Dave Teller, der Käufer des Hengstes, läßt Sie fragen, ob Sam Kitchens vielleicht für ein paar Tage mit in die Staaten kommen dürfte, falls und wenn Chrysalis wiedergefunden würde, um ihn zu identifizieren. Mr. Teller kommt natürlich für alle Kosten auf.«
Arkwright lachte.»Das wird Sam gefallen. Er ist ein netter Kerl. Ziemlich verläßlich.«
«Wenn er gebraucht wird, schicke ich Ihnen ein Telegramm und teile Ihnen mit, welche Maschine er nehmen soll. Einver-standen?«
Er nickte.»Sagen Sie Ihrem Amerikaner ruhig, daß ich Kitchens beurlaube.«
Ich bedankte mich.»Er wird Ihnen dafür sehr dankbar sein. «Dann bestellte ich für ihn noch einen Wodka mit Tonic, und wir unterhielten uns über Pferde.
Sam Kitchens führte seine hübsche junge Milkmaid am Zügel herum. Ich setzte ein Pfund auf die Stute, aber sie entpuppte sich als Versager. Ich trat zu Arkwright, der die schlanken Fesseln der Stute befühlte, während der Jockey ihm klarzumachen versuchte, daß es nicht an den Beinen liege, sondern vielmehr an ihrem kaum erbsengroßen Gehirn ohne jeden Verstand.
Meistens reagieren Jockeys ausgesprochen sauer auf jede Kritik an ihren Pferden, aber man konnte es Sam Kitchens’ Gesicht ansehen, daß er mit Milkmaid genauso unzufrieden war wie Arkwright. Er war ein kleiner, untersetzter Mann von etwa dreißig Jahren. Nachdem Arkwright uns miteinander bekannt gemacht hatte, fragte ich ihn, ob er Chrysalis so sicher wiedererkennen würde, daß er seine Identität notfalls vor Gericht beschwören könnte.
«Selbstverständlich«, antwortete er ohne zu zögern.
«Natürlich kenn’ ich den Burschen. Hab’ ihn ja drei Jahre geritten. Ich könnte ihn vielleicht nicht mehr aus einer ganzen Herde herausfinden, aber aus der Nähe erkenn’ ich ihn auf jeden Fall wieder. Sein Fell, seine kleinen Falten hier und dort
— nein, die kann man nicht vergessen.«
Ich nickte.»Das ist prima. Gab es — gibt es irgend etwas Besonderes an dem Pferd, woran es jemand erkennen könnte, der es noch nie gesehen hat?«
Er dachte mehrere Minuten lang über diese Frage nach.
«Hm, es ist immerhin schon vier Jahre her. Länger noch, fast fünf. Mir fällt nur noch ein, daß uns sein hinterer Huf immer Kummer gemacht hat. Er war zu dünn und splitterte immer wieder an derselben Stelle. Aber das hat sich im Gestüt vielleicht ausgeheilt, wo er doch keine Rennen mehr gehen mußte. Vielleicht hat es sich auch verwachsen, jetzt, wo er doch älter ist. «Er hielt inne.»Da fällt mir gerade ein — er mochte gern Sardinen. Chrysalis ist das einzige Pferd, das ich kenne, das Sardinen mag.«
Ich lächelte.»Das ist schon seltsam. Wie sind Sie denn drauf gekommen?«
«Ich hab’ einmal meinen Lunch mit in seine Box genommen. Sardinen auf Toast. Hab’s für eine Minute auf den Fenstersims gelegt, und als ich mich wieder umdrehte, hatte er alles aufgefressen. Ich hab’ schallend gelacht. Danach haben wir uns manchmal eine Dose Sardinen geteilt. Sie haben ihm immer geschmeckt.«
Ich blieb noch zum letzten Rennen und erwischte wiederum einen Verlierer. Ein guter Trainer wäre aus mir wohl doch nicht geworden.
Kapitel 7
Ich war um 8.15 Uhr am Flughafenbus, aber Lynnie war schon vor mir da.
«Ich konnte nicht recht schlafen«, erklärte sie.»Ich war nämlich noch nie in Amerika.«
Ich war schon ein dutzendmal drüben. Aber ich hatte auch nicht viel geschlafen.
Lynnie trug einen glänzenden, kräftig rosafarbenen Plastikregenmantel über dem matt-orangefarbenen Kleid. Ihr Aufzug hatte eine aufheiternde Wirkung auf alle, die sie sahen. Ich hätte beinahe nach der Sonnenbrille gegriffen, und eine ungewohnt gehobene Stimmung ergriff mich. Sie dauerte an, bis wir etwa halbwegs über dem Atlantik waren. Dann schlief Lynnie ein. Ein gewaltiges Gähnen überkam mich, und es war mir mit einemmal völlig gleichgültig, ob wir Chrysalis fanden oder nicht. Schläfrig überlegte ich, daß es mir wirklich nichts ausmachen würde, mit Eunice und Lynnie am Swimmingpool zu faulenzen, den ganzen langen Tag nichts anderes zu tun als im friedlichen Sonnenschein Scotch zu trinken und den Anblick zweier gutgebauter Frauen im Bikini zu genießen. Vor allem ging es mir um den Frieden. Wie ein Klotz herumliegen, nicht denken, nicht fühlen. Nur schlafen. Sechzehn Stunden des Tages verschlafen und die übrigen acht verfaulenzen. Ein solches Programm kommt dem Tod schon verdammt nahe. Nur noch ein ganz kleiner Schritt bis zur Ewigkeit, zum dauernden Frieden…
«Worüber denken Sie nach?«fragte Lynnie.
Sie hatte die Augen offen und beobachtete mich.
«An den Himmel!«
Sie schüttelte leicht den Kopf.»Eher die Hölle. «Sie setzte
sich mit einem Ruck auf.»Wann landen wir?«
«In ungefähr einer Stunde.«
«Ob Mrs. Teller mir wohl gefallen wird?«
«Sie kennen sie nicht?«
«Ich hab’ sie nur einmal gesehen, als kleines Mädchen. Ich habe keinerlei Erinnerung mehr an sie.«
Ich mußte lächeln.»Man vergißt sie nicht so leicht.«
«Kann ich mir denken«, sagte sie.»Eigentlich eine komische Sache, daß ich zu ihr fahre. Natürlich habe ich mit Freuden zugesagt, wer fährt nicht gern weg, wenn er dadurch der Schule entrinnen kann, besonders wenn es sich um eine so tolle Reise handelt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, daß Dad und Mr. Teller gewisse Hintergedanken hegen. Ich möchte gern wissen, was dahintersteckt.«
«Sie möchten, daß Eunice Gesellschaft hat und nicht so viel trinkt.«
«Puh!«Sie sah mich überrascht an.»Ist das Ihr Ernst?«
«Gesagt hat mir das niemand. Ich kann nur raten.«
«Aber ich kann sie doch nicht am Trinken hindern!«protestierte sie.
«Versuchen Sie’s gar nicht erst. Sie wird nicht betrunken. Sie wird Ihnen bestimmt gefallen, falls Ihnen nicht bei manchem, was sie sagt, die Ohren weh tun.«
Sie lachte.»Meine Mutter wäre also nicht mit ihr einverstanden?«
«Höchstwahrscheinlich nicht.«
«Vermutlich habe ich sie deshalb nur ein einziges Mal gesehen. «Sie grinste mich ohne eine Spur von Verlegenheit koboldhaft an. Joans Einfluß schien mit jeder zurückgelegten Meile dahinzuschwinden.
In New York war es später Vormittag, als wir im >Biltmore< abstiegen. Lynnie machte sich zu Fuß auf einen Bummel durch die Stadt, und ich fuhr mit einem Taxi zur >Buttress<-Lebensversicherung. Die Hitzewelle hatte sich noch nicht gelegt, die Luft flimmerte. Über der Stadt hingen Lethargie und Dunst, und die Gebäude schienen wie Trugbilder hinter den blauen Auspuffgasen zu vibrieren. Sobald ich die Schwelle der Firma >Buttress< überschritten hatte, befand ich mich in der gemäßigten Klimazone. Unterwegs zum 7. Stock kondensierte die Feuchtigkeit in meiner Kleidung zu Wasser. Feucht sank ich im Zimmer 47 in Walts Besuchersessel.