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Ich packte aus, verstaute meine Sachen im Schrank und auf Regalen, zog meine städtische Kleidung aus und dafür die Levis und ein blau-weiß kariertes Hemd an. Typischer Feriengast, dachte ich säuerlich und schnallte mir auch noch den Waffengürtel um.

Danach saß ich eine Stunde lang vor der Tür und genoß den Ausblick, der für eine Pralinenpackung hätte herhalten können. Die Gebirgskette Teton Range, ein Ausläufer der Rocky Mountains, erstreckte sich mit ihren dunkelgrünen Tannenhängen, die aus den Tälern hinaufstiegen, weit von Nord nach Süd. Darüber ragten reinweiße Schneekappen auf. An ihrem Fuß zog sich ein blausilbern schimmerndes Band dahin, ein Nebenfluß zum Oberlauf des Snail River. Zwischen Fluß und Wald stand meine Blockhütte, genau am Waldrand, davor eine große Wiese mit einzelnen Büschen und bunt getupft von Unkraut und Blumen.

Der Wald rings um die Blockhütte gehörte zu den Ausläufern einer anderen Gebirgskette, die sich steil hinter der Ranch erhob und sie regelrecht einschloß und von der Außenwelt abschied. Der Fluß lief genau durch das Tal, aber die einzige Straße, die hereinführte, endete auf dem Parkplatz der High Zee Ranch.

Oben am Ranchhaus läutete eine Glocke. Ich trat in meine Blockhütte und zog mir einen weiten schwarzen Pullover über, unter dem die Parabellum nicht zu sehen war — für zweieinhalbtausend Meter über dem Meeresspiegel genau das Richtige. Die immer noch anhaltende Hitzewelle machte sich allerdings auch hier in den Bergen deutlich bemerkbar. Ich ging langsam über den staubigen, grasbewachsenen Pfad und fragte mich, ob Matt Clive mich wohl wiedererkennen würde. Ich jedenfalls erinnerte mich an sein Gesicht nur noch undeutlich. Nur vom Foto her kannte ich es recht gut. Dieses Foto hatte ich aber auch eingehender betrachtet als den Jungen auf dem Flußkahn. Da er sich damals ganz auf Dave Teller konzentrieren mußte, war es höchst unwahrscheinlich, daß er besonders auf mich geachtet hatte. Vielleicht war seine Erinnerung aber besser als bei Yola, weil er mir näher stand, als ich hinter Dave ins Wasser sprang.

Meine Sorge war überflüssig. Er war nicht da.

Yola saß an der Stirnseite eines langen Tisches aus goldfarbenem Holz, flankiert von plappernden Ranchgästen. Meist waren es ganze Familien, außerdem noch zwei Ehepaare. Ich war der einzige Alleinstehende. Eine strahlende, makellos frisierte Mutti lud mich ein, neben ihr Platz zu nehmen. Ihr gegenüber saß ihr liebenswürdiger Ehemann und erkundigte sich, ob ich eine lange Fahrt hinter mir habe. Ein kleiner Junge auf der anderen Seite des Tisches erklärte seinen Eltern laut und vernehmlich, er möge keine Pfannkuchen, und alle sahen gleich sonnengebräunt aus, unternehmungslustig und in bester Urlaubslaune. Ich mußte mich überwinden, nicht aufzuspringen und dieser lauten Fröhlichkeit zu entrinnen. Wie sollte es mir da jemals gelingen, so zu tun, als mache mir das alles Spaß?

Gegen Ende des Essens hatte ich das Gefühl, als sei mein Lächeln eingefroren; so starr und mechanisch war es, daß meine Gesichtsmuskeln davon schon schmerzten. Aber der freundliche Mann mir gegenüber —»Ich heiße Quintus L. Wilkerson III., aber nennen Sie mich ruhig Wilkie«- freute sich über seinen praktisch stummen Zuhörer und nutzte ihn weidlich aus. Ich mußte einen ausführlichen Bericht seines heutigen Fischfangs über mich ergehen lassen, wobei er nicht den kleinsten Spritzer ausließ. Seine Frau Betty-Ann war mit ihm zum See geritten und dann mit den beiden Kindern Samantha und Mickey zum Picknick weiter in die Berge gewandert. Auch darüber erfuhr ich alles Wissenswerte, und zwar von allen dreien. Sie luden mich ein, sie am nächsten Tag zu begleiten, und ich biß mir bei meiner zustimmenden Antwort fast die Zunge ab.

Ich hielt auch den Kaffee noch durch. Die liebe Familie Wilkerson versprach mir ein gemeinsames Frühstück, und Yola erkundigte sich, ob ich mich in meiner Blockhütte auch wohlfühle.

«Danke, ja. «Ich mußte an meinen deutschen Akzent denken. Und lächeln.

«Das freut mich«, sagte sie strahlend.»Sagen Sie’s ruhig, wenn Sie noch irgend etwas brauchen.«

Steifbeinig verließ ich das Ranchhaus und ging den Pfad entlang, zurück zu meiner leeren Hütte. Ich lehnte mich müde an einen der Pfosten, die das Vordach trugen, und blickte hinüber auf die Bergkette, die matt im Mondlicht schimmerte. Immer wieder zogen Wolken über den Himmel. Ich hatte einen Druck im Schädel, als sei mein Gehirn eingeklemmt, oder als würde es mit Luft aufgepumpt und wollte gleich platzen.

Wie soll das nur weitergehen? überlegte ich. Das Dinner war schon eine extreme Belastungsprobe. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Beten nutzte mir nichts — dazu fehlte mir der Glaube. Zu einem Arzt gehen? Der schickte mich mit einem Heilwässerchen und einer Gardinenpredigt, ich solle mich zusammenreißen, wieder nach Hause. Mir blieb nichts anderes übrig, als es zu ertragen und abzuwarten, bis es besser wurde. Wenn ich mich wenigstens davon überzeugen könnte, daß es am Ende wirklich besser würde, dann hätte ich wenigstens etwas gehabt, an das ich mich klammern konnte.

Irgendwo im Tal wieherte ein Hengst.

Vielleicht war es Chrysalis. Wenn er sich nicht unmittelbar auf der High Zee Ranch befand, dann war die Wahrscheinlichkeit groß, daß er zumindest irgendwo in der Nähe versteckt wurde. Vielleicht wußte Keeble wirklich, warum er mich hergeschickt hatte; was meine Arbeit anging, so funktionierten meine Sinne noch völlig normal. Ich konnte mich konzentrieren und damit mein privates Chaos vorübergehend abschalten. Wenn ich mich nur vierundzwanzig Stunden am Tag konzentrieren könnte, dann wäre das Leben ganz einfach.

Das Schlimme daran war nur, daß das nicht ging.

Auf der Ranch befanden sich mindestens hundertzwanzig Pferde. Etwa vierzig davon standen in einem Pferch in der Nähe des Ranchhauses. Da waren die Reitpferde für die Gäste.

Wir frühstückten schon früh, doch die Auswahl der Pferde dauerte einige Zeit, obgleich die meisten Leute schon ein paar Tage hier waren und eigentlich genau wußten, welches Tier sie wollten. Der Stallmeister fragte mich, ob ich reiten könne, und wenn ja, wie gut.

«Ich hab’ seit neun oder zehn Jahren auf keinem Pferd mehr gesessen«, antwortete ich.

Er wies mir einen lammfrommen Gaul mit U-förmigen Fesseln zu. Nach den briefmarkengroßen Dingern, die ich gewohnt war, kam mir der Wildwest-Sattel wie ein Sofa vor. Es gab auch keinen neumodischen Kram wie Schnallen zum Einstellen der Bügellänge. Der Stallmeister schnallte die zehn Zentimeter breiten Riemen vom Sattel, ließ sie zwei oder drei Löcher herab und befestigte sie wieder. Es war gutes, weiches Leder, das auch bei einem langen Ritt nicht das Pferd wundreiben konnte.

Drüben auf der anderen Seite des Ranchhauses, jenseits der grünen, bewässerten Rasenfläche, erstreckte sich eine kleinere Koppel von höchstens einem Morgen, umgeben von einem kräftigen Zaun aus Querstangen. Während des ganzen Frühstücks hatte ich mir die sieben Pferde in der Koppel genau angesehen: drei Stuten, zwei junge Fohlen, zwei Hengste. Beide waren braun, aber einer davon hatte eine weiße Blesse und war kein Vollblut.

«Was sind denn das da drüben für Pferde?«fragte ich den Stallmeister.

Er überlegte eine Weile, wie er es einem unwissenden Laien und noch dazu einem Ausländer klarmachen sollte, dann sagte er:»Wir züchten die meisten Pferde selbst.«

«Ach so, dann haben Sie wohl viele Hengste hier?«

«Drei oder vier«, antwortete er und sah sich unter den geduldig wartenden Pferden um.»Die meisten von denen hier sind Wallache.«

«Ein hübscher Brauner«, bemerkte ich.

Er folgte meinem Blick zu der Koppel hinüber.»Der ist neu«, antwortete er.»Ein Halbblut, das vor zwei oder drei Wochen in Laramie gekauft wurde.«

Ich bemerkte den ablehnenden Unterton und fragte:

«Sie mögen ihn nicht?«

«Für die Berge nicht genug Knochen«, antwortete er kurz angebunden und richtete mir den zweiten Steigbügel.