Eine kleine Gruppe von Pferden stand in einer baumbewachsenen Mulde. Als sie mich sahen, trabten sie langsam davon, aber als ich mitten unter ihnen anhielt, blieben sie auch stehen. Ich glitt von meinem Pferd, fuhr mit meinen Fingern durch die Mähne eines der anderen Tiere und legte ihm das Halfter an. Dann ließ ich Dave Tellers Neuerwerbung im Wert von 500 Dollar frei und trabte auf dem anderen Pferd nach Hause.
Der Gaul kannte den Weg und legte ihn deshalb viel rascher zurück. Die Wilkersons hatten mir erzählt, daß die Pferdeburschen diese steilen Felspfade heruntergaloppierten, aber erst als ich es selbst tat, konnte ich mir ein Bild davon machen, was für eine haarsträubende Angelegenheit das war. Das Pferd setzte seine Hufe auf Stellen, von denen ich behauptet hätte, kein Mensch könnte darauf stehen, geschweige denn ein Vierfüßler, und als ich den Gaul vom Pfad weglenkte, verminderte er kaum das Tempo. Im Galopp preschten wir zwischen Tannen und Ulmen und ganzen Gruppen silbriger, toter Bäume hinunter in die dichteren Wälder, deren Boden grasbewachsen war und wo es wieder Heidelbeeren und Unterholz gab. Wir kamen an eine schwierige Steilstelle von schwarzen Granitfelsen, wo ein Bergstrom die Erde ausgewaschen hatte, aber das Pferd stolperte darüber weg, auch wenn es bei jedem Schritt bis an die Knöchel einsank. Weiter unten überquerte es den sprudelnden Fluß und suchte sich seinen Weg zwischen den Felsbrocken unter der Wasserfläche, bis wir wieder den normalen Pfad erreichten, der in sanftem Zickzack ins Tal hinabführte. Unter den Bäumen schlugen Zweige nach uns, aber ich legte mich flach auf den Rücken des Pferdes, und wo es durchkam, kam ich auch durch.
Die gemächlichen Ausflüge zu Pferd waren keine Vorbereitung für diese waghalsige Jagd, und an die ein oder zwei Geländeritte, die ich vor vielen Jahren unternommen hatte, erinnerte ich mich nur noch undeutlich; sie waren ein Kinderspiel im Vergleich zu diesem Ausflug. Aber was man in der Jugend gelernt hat, bleibt einem für immer: Instinktiv hielt ich das Gleichgewicht und fiel nicht vom Pferd.
Bis eine Meile vor der Ranch hielt ich das Tempo bei, dann lenkte ich das Pferd nach rechts, das Tal hinauf und weg von
der Brücke, die über den Fluß führte.
Die Pferdeburschen würden den Gaul wahrscheinlich hier finden, aber ich hatte keine Zeit, den ganzen Umweg zu Fuß zurückzulegen. Es war schon hell und zu spät, um über die Brücke auf die Ranch zurückzukehren. Ich mußte weiter oben den Fluß noch einmal überqueren und dann durch die Wälder von der anderen Seite her zu Fuß versuchen, meine Blockhütte zu erreichen.
Etwa eine halbe Meile stromaufwärts ließ ich mich vom Pferderücken gleiten und nahm dem Tier das Halfter ab.
Das braune Fell glänzte dunkel von Schweiß, das Tier sah ganz und gar nicht aus wie ein Pferd, das die Nacht friedlich auf der Weide verbracht hat. Ich gab ihm einen Klaps, und es trottete davon, wieder hinauf in die Berge. Wenn ich etwas Glück hatte, entdeckten die Stallburschen es erst, wenn es sich wieder etwas erholt hatte, zumal sie ja sicher nicht nach diesem Tier suchen würden.
Schon als ich vorsichtig aus dem Wald trat und den eiskalten Fluß überquerte, hörte ich den Tumult am Ranchhaus. Die spitzen Steine stachen mir in die bloßen Füße, und das Wasser benetzte meine hochgerollten Hosenbeine. Aber da ich von hier aus keines der Gebäude sehen konnte, verließ ich mich darauf, daß auch mich niemand erblicken würde. Deutlich hörte ich die Schreie, und dann trommelten mehrere Pferde über die Holzbrücke. Als ich den Fluß überquert hatte und mich hinsetzte, um die Schuhe anzuziehen, sah ich sie zum Waldrand hinaufjagen. Sie waren zu sechst. Wenn sie sich jetzt umdrehten, sahen sie meine Schultern, meinen Kopf aus den Sage-Büschen ragen.
Zwischen mir und den sicheren Bäumen auf der anderen Seite des Tals lagen noch hundert Schritte. Minutenlang legte ich mich flach auf den Boden, um wieder Atem zu schöpfen, und blickte hinauf in den Morgenhimmel. Die graue Färbung wich einem glasklaren Blau. Die Spuren der Stuten, der Fohlen und der beiden Hengste führten geradewegs hinauf ins Gebirge. Ich wartete, bis die Burschen ein gutes Stück zurückgelegt hatten, dann stand ich leise auf und schlich mich durch die Bäume zu meiner Blockhütte.
Es war zehn nach sechs und taghell.
Ich zog meine schmutzigen, verschwitzten Sachen aus und ließ heißes Wasser in die Badewanne einlaufen. Ich war müde bis auf die Knochen, und das heiße Wasser prickelte wie eine Massage auf meiner Haut. Eine halbe Stunde blieb ich in der Wanne, entspannte mich und erholte mich allmählich.
Das Tonband hatte das laute Klopfen an Yolas Hintertür aufgefangen und dann die Meldung des Stallmeisters, daß die Stuten und Hengste ausgebrochen seien.
«Was heißt hier ausgebrochen?«
«Die Spuren führen zur Brücke hinunter. Sie müssen in die Berge sein.«
«Was?«kreischte Yola, als ihr aufging, was das bedeutete.»Das kann doch nicht sein!«
«Es ist aber so. «Die Stimme des Stallmeisters klang viel gelassener. Er konnte den ganzen Umfang der Katastrophe nicht überblicken, weil er nicht eingeweiht war.»Ich begreif’s allerdings nicht. Als ich gestern abend alles kontrollierte, waren die Vorhängeschlösser zu.«
«Holt sie zurück«, befahl Yola scharf.»Holt sie sofort zurück. «Ihre Stimme bekam einen hysterischen Klang.
«Der neue Hengst — holt ihn, holt ihn rasch zurück.«
Danach hörte ich, wie Schubladen herausgerissen wurden, und eine Tür schlug zu. Dann herrschte wieder Stille. Yola hatte sich auf die Suche nach Chrysalis begeben. Aber Chrysalis war schon unterwegs nach Kentucky.
Beim Frühstück wußten es alle Gäste der Ranch.
«Was für ein Getue«, sagte Wilkie.»Man könnte meinen, die hätten den Schlüssel zu einer Goldmine verloren.«
Das stimmte auch.
«Ich bin jedenfalls froh, daß sie die lieben kleinen Fohlen wiedergefunden haben«, sagte Samantha.
«So, hat man sie gefunden?«fragte ich. Die kleine Koppel war immer noch leer.
«Sie haben sie in den Stall gebracht«, erklärte Mickey.
«Zusammen mit ihren Müttern.«
«Jemand muß das Tor offengelassen haben«, berichtete Betty-Ann.
«So eine Schande. Yola ist schrecklich aufgeregt.«
Als ich zum Frühstück in den Speisesaal geschlendert kam, hatte Yola stocksteif in der Küchentür gestanden, alle ihre Gäste prüfend angesehen und nach Anzeichen von Schuldbewußtsein gesucht.
Ihre ruhige Haltung hatte sie verlassen. Das Haar war hastig mit einem Band hochgebunden, den Lippenstift hatte sie vergessen. Auch das geschäftsmäßige Lächeln fehlte. An ihrem kräftigen Kinn zuckte ein Muskel, und sie konnte Angst und Verwirrung in ihrem Blick nicht verbergen.
Ich aß eine doppelte Portion Speck und Pfannkuchen mit Ahornsirup und trank dazu drei Tassen Kaffee.
Betty-Ann saß mir gegenüber, zündete sich eine Zigarette an und fragte, ob ich wirklich fahren müsse und nicht noch ein paar Tage bleiben könne. Wilkie meinte knurrig, wenn einer wegwolle, könne man ihn nicht halten. Er hatte endlich kapiert und sah mich ganz gern davonziehen.
An der Tür hinter mir hörte ich kräftige Schritte. Betty-Ann blickte über mich hinweg und machte große Augen.
«Nein, wie schön, daß Sie wieder da sind«, rief sie erfreut und lenkte dann ihre Aufmerksamkeit dem nächsten Objekt zu.
Wilkie müßte sich inzwischen daran gewöhnt haben, dachte ich amüsiert. Aber ich vergaß die Eheprobleme der Wilkersons in dem Augenblick, wo jemand den Neuangekommenen beim Namen rief.
Matt!
Dann hörte ich hinter meinem Rücken Matt Clives beherrschte, tiefe Baßstimme.
«Hört mir bitte mal zu. Sie wissen wahrscheinlich, daß wir heute morgen hier ein bißchen Ärger haben. Irgend jemand hat die Stuten und Fohlen aus der Koppel drüben rausgelassen. Wenn’s jemand von euch Kindern war, so hätten wir es gern gewußt.«