Betretenes Schweigen breitete sich aus. Die Kinder machten verlegene Gesichter, und die Augenbrauen ihrer Eltern verzogen sich zu drohenden Fragezeichen.
«Weiß vielleicht jemand zufällig, ob das Tor gestern nicht richtig verschlossen war?«
Wieder Schweigen.
Matt Clive kam langsam um den Tisch herum und trat in mein Blickfeld. Er hatte ungefähr Yolas Alter und ihre Größe. Der gleiche Gesichtsschnitt, der gleiche kräftige Körperbau, nur männlicher. Ich erinnerte mich an die zwei Schlafzimmer in ihrer Blockhütte und daran, daß Yola keinen Ring trug. Also mußte es Yolas Bruder Matt sein. Ich trank meinen Kaffee und wich seinem Blick aus.
Einer oder zwei von den Gästen sprachen lachend von Pferdedieben, und jemand schlug vor, die Polizei zu benachrichtigen. Matt sagte, das habe er auch schon ernsthaft erwogen. Einer der Hengste sei sehr wertvoll. Aber natürlich sei er sicher, daß keiner der Gäste das Tor absichtlich offengelassen habe.
Außer einem mitfühlenden Murmeln bekam er keine Antwort. Vielleicht war er wirklich tapfer oder auch verzweifelt genug, die Polizei zu rufen. Aber selbst wenn er das tat, er bekam Chrysalis nie wieder. Der Hengst mußte inzwischen Hunderte von Meilen entfernt sein, begleitet von einem völlig legalen Kaufvertrag.
Nach einer Weile verschwand Matt wieder und hinterließ eine dräuende Gewitterstimmung sowie Verwirrung und Verlegenheit unter den Gästen.
Ich bat die Bedienung, meine Rechnung zu holen, da ich mich nun fertigmachen müsse. Nach einer Weile brachte sie sie mir. Ich gab ihr das Geld und wartete, bis sie die Quittung ausgeschrieben hatte.
Die Familie Wilkerson verabschiedete sich, weil sie hoffte, doch noch ausreiten zu können, falls ein paar von den Pferdeburschen rechtzeitig von ihrer Suche zurückkehrten. Ich ging gemächlich zu meiner Blockhütte, um meine Sachen zu packen. Ohne Hast stieg ich die zwei Stufen hinauf, überquerte die Veranda, öffnete die beiden Türen und trat ein.
Yola kam mit einem Gewehr in der Hand aus meinem Bad. Man sah ihr an, daß sie damit umzugehen verstand. Matt trat hinter dem Vorhang eines Schranks hervor und verbaute mir den Rückweg zur Tür. Er trug kein Gewehr, sondern eine Schrotflinte.
Ich spielte den Verblüfften und betonte meinen deutschen Akzent.
«Entschuldigung, ich verstehe das nicht.«
«Er ist es«, sagte Matt.»Ganz bestimmt.«
«Wo ist unser Pferd?«fragte Yola wütend.
«Das weiß ich nicht«, erklärte ich wahrheitsgemäß und breitete achselzuckend die Hände aus.»Warum fragen Sie mich so etwas?«
Beide Waffen zielten unverwandt auf mich.
«Entschuldigen Sie mich«, sagte ich.»Ich muß fertigpacken. Die Rechnung habe ich bezahlt. Ich reise noch heute morgen ab.«
«Sie werden nicht abreisen, mein Freund«, sagte Matt zähneknirschend.
«Warum nicht?«
«Bringen Sie das Pferd zurück, dann können Sie gehen, vorher nicht.«
Da hatte er sich eine Menge vorgenommen, wenn er auf einer Ranch voller Feriengäste einen Gefangenen für längere Zeit verstecken wollte.
«Ich kann ihn nicht zurückholen«, sagte ich.»Ich weiß nicht, wo er ist. Aber ein paar Freunde von mir wissen, wo ich bin. Sie erwarten, daß ich heute morgen hier abfahre.«
Sie starrten mich in stiller Wut an. Bei all ihrer Geschicklichkeit sind sie doch als Verbrecher noch rechte Kinder, dachte ich. Sie kamen einfach mit ihren Kanonen hereinmarschiert, ohne die Lage vorher durchzudenken. Allerdings waren es Kinder, die mit dem Tod spielten und die mehr der Impuls beherrschte als die Vernunft.
Ich sagte:»Es ist doch höchst unwahrscheinlich, daß ich hier herumlaufe und allen Leuten sage: >Ich habe den Clives ein Pferd gestohlen. < Wenn Sie nichts unternehmen und mich ungestört wegfahren lassen, werden Sie vielleicht nie wieder etwas darüber hören. Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen. Gleichgültig, was Sie tun, das Pferd bekommen Sie bestimmt nicht wieder.«
Wenn sie vernünftig waren, blieb ihnen nur eine Wahclass="underline" mich gehen zu lassen. Aber Yolas Finger spannte sich um den Abzugshahn, und ich mußte mir widerwillig sagen, daß es nun
Zeit für die Parabellum war. Da ich sie beobachtete, bemerkte ich im Spiegel eine Zehntelsekunde zu spät, daß Matt hinter mich getreten war und den Kolben seiner Waffe wie eine Keule schwang.
Er erwischte mich genau am Hinterkopf, und die aus bunten Flicken zusammengesetzte Überdecke auf meinem Bett wirbelte kaleidoskopartig durcheinander, als ich zu Boden ging.
Kapitel 10
Als ich wieder zu mir kam, wußte ich, daß er mich nicht als Geisel gebrauchen, sondern töten wollte.
Die Blockhütte war voller Rauch, und kleine Flammen züngelten in einem langen, ungleichmäßigen Feuerbach über den Boden. Zuerst konnte ich mich an nichts erinnern. Ich setzte mich halb auf und sah mich benommen um, schwindlig und krank vor Kopfschmerzen. Die Clives, dachte ich. Sie haben mit dem ganzen Behälter voll Holzanzünder, dem petroleumgetränkten Sägemehl, Feuer gelegt. Dieses Zeug brennt langsam und strömt giftige Gase aus.
Sie hatten mich gegen den Ofen gelehnt, damit es so aussehen sollte, als sei ich gestürzt und hätte mir den Kopf angeschlagen. Als ich aufzustehen versuchte, rollte der leere Behälter, in dem sich der Anzünder befunden hatte, davon, und meine Hand stieß gegen eine Zigarette und ein Streichholzheftchen.
Bei einem Feuer verbrennen die meisten Leute nicht, sondern sie ersticken. Die Clives hatten meinen Abschied von dieser Welt aus purer Rache inszeniert. Und es war nicht einmal der beste Unfall, den sie bisher vorgetäuscht hatten.
Nachdem mir diese nutzlosen, wirren Gedanken durch den Kopf geschossen waren, wurde mein Verstand klar genug, um mich erkennen zu lassen, daß ich schnellstens verschwinden mußte, falls ich die Absicht hatte, etwas für meine Rettung zu tun. Und das mußte ich ja wohl.
Ich raffte mich auf, zog die Decke vom Bett, stolperte damit ins Bad und tränkte sie unter dem Wasserhahn an der Wanne mit Wasser. Der Rauch erfüllte schon beizend und erstickend meine Lungen. Es ist schon verdammt albern, dachte ich
benommen, wirklich albern, daß dieses saubere Pärchen mir genau dahin zu verhelfen suchte, wo ich selbst immer hin wollte, und ich ständig ihre Pläne durchkreuzte. Einfach lächerlich, lächerlich…
Ich merkte, daß ich halb besinnungslos auf den Knien vor der Wanne kauerte. Das Wasser lief noch. Ich richtete mich auf, fischte die tropfnasse Decke aus der Wanne und warf sie über das Zentrum der Flammen. Dumm, dachte ich. Viel besser, zur Tür hinauszugehen. Ich versuchte es. Das verdammte Ding klemmte. Dann das Fenster. Klemmte auch.
Ich wickelte mir den Vorhang um die Hand und schlug eine der Scheiben ein. Etwas Luft kam herein. Aber zu wenig — wegen des Fliegengitters. Wieder auf den Knien. Schrecklich schwindlig. Schwarze Hölle im Kopf. Roch, wie die Bettdecke brannte, hob sie auf, warf sie auf einer anderen Stelle in die Flammen. Dann war nur noch ein glosender, dampfender Pfad vorhanden, schwarz und stinkend. Ich kam mir alt vor und schwach vom Bergsteigen und sterbenskrank vom Schlag auf den Kopf und all dem Rauch.
Ich öffnete die Tür des breiten, schwarzen Ofens.
>Shapleigh< stand darauf. Ein wenig verzog sich der Rauch durch den Schornstein, während ich in ziemlich elender Verfassung hinter der Tür meiner Hütte lag und gierig die frische Luft einsog, die unter der Türritze hereinströmte. Endlose Zeit später kam ich mir nicht mehr ganz so wie jemand aus der Leichenkammer vor, und das Hämmern in meinem Schädel ließ nach, bis es nur noch ein böses Ziehen war. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern konnte, bis Matt und Yola wiederkamen und mit Entsetzen meinen Tod entdeckten, um dann das Nötige zu unternehmen.
Langsam stand ich auf und lehnte mich gegen die Tür. Sie hatte kein Schloß, aber die beiden mußten sie auf irgendeine Weise von außen verriegelt haben. Das konnte man leicht erkennen, wenn man die Augen nicht mehr voller Rauch hatte. Die äußere Tür mit dem Fliegengitter ging nach außen auf, die andere nach innen. Mit einem kleinen Haken konnte man beide Türen aneinander befestigen. Ich schob den Haken hoch, dann ließ sich die innere Tür öffnen.