«Yola, dieser Mann, dieser verdammte Kerl!«
«Welcher Mann?«fragte sie verwirrt.
«Der Mann, der Teller aus der Themse gezogen hat. Wie lange ist er schon hier?«
Yola flüsterte nur noch.»Hier?«
Matt schrie:»Hier, beim Frühstück. Er wohnt hier, du dummes Stück.«
«Aber ich… Ich hab’ doch nicht.«
«Ich hab’ ihn auch in Reading gesehen«, sagte Matt.»Er besuchte Teller im Krankenhaus. Man hat ihn anstandslos an den Wachhunden vorbeigelassen. Ich habe gesehen, wie er aus dem Fenster schaute. Wie, zum Teufel, kommt er hierher? Und warum hast du ihn nicht erkannt, du dumme Gans? Er hat das Pferd gestohlen, und er wird es uns wiederbringen. Darauf kannst du dich verlassen.«
«Wie?«jammerte Yola.
«Entschuldigung«, sagte eine Mädchenstimme, unsere Bedienung.»Entschuldigung, Miss Clive, Mr. Hochner möchte seine Rechnung.«
«Dort auf dem Tisch«, sagte Yola.
«Wer ist Hochner?«fragte Matt eindringlich.
«Der Deutsche aus Blockhaus 3.«
«Wo hat er beim Frühstück gesessen? Wie sah er aus?«
«Er saß mit dem Rücken zur Flurtür«, sagte das Mädchen.
«Er trägt ein blau-weiß kariertes Hemd, ist ziemlich groß, hat dunkelbraunes Haar und sieht irgendwie müde aus.«
«Dann geben Sie ihm die Rechnung«, sagte Matt und wartete, bis sie gegangen war.»Hochner!«Die Stimme bebte vor Wut.»Wie lange ist er schon hier?«
«Seit Dienstag. «Yolas Stimme war kaum noch zu verstehen.
«Hol dein Gewehr«, sagte Matt.»Wenn er uns das Pferd nicht wiederbringt… Ich bringe ihn um.«
Es waren noch einige Geräusche zu hören, dann verstummte das Tonband. Die Zeit, die sie in meiner Blockhütte zugebracht hatten, schrumpfte zu zwanzig Sekunden zusammen, dann kam die nächste Aufnahme.
«Er hatte recht, Matt«, sagte Yola.»Wir hätten ihn gehenlassen sollen. «Ihre Stimme klang müde vor Verzweiflung, aber Matt war immer noch wütend.
«Ich habe ihm eine Chance gegeben. Er hätte uns sagen sollen, was er mit Chrysalis angestellt hat.«
Nach einer kurzen Pause sagte Yola:»Das wollte er nicht, er hat es selbst gesagt. Er sagt, wir können tun, was wir wollen, das Pferd bekommen wir nicht wieder.«
«Halt den Schnabel!«schrie Matt sie an.
«Matt«, ein Wimmern klang durch ihre Stimme.»Er hatte recht. Das Pferd bekommen wir doch nicht wieder, und seine Freunde werden nach ihm suchen, wie er schon sagte.«
«Dann werden sie eben von dem Unfall erfahren.«
«Aber sie werden es nicht glauben.«
«Sie können uns nichts Gegenteiliges beweisen«, sagte Matt starrköpfig.
Nach einer weiteren Pause hörte ich Yolas tonlose Stimme:»Wenn er das Pferd weggeschafft hat, wenn jetzt jemand anders den Hengst hat und vielleicht schon auf dem Rückweg zu Teller ist — dann wissen sie auch, daß wir Chrysalis hier hatten. Dafür gehen wir ins Gefängnis.«
«Hochner wird nicht herumerzählen, daß er das Pferd hier gestohlen hat.«
«Aber du wolltest ihm doch nicht zuhören. «Plötzlich wurde auch Yola wütend.»Natürlich hatte er recht. Wir hätten ihn gehenlassen sollen. Chrysalis war so und so weg, aber jetzt bekommen wir furchtbaren Ärger, weil uns niemand glauben wird, daß er durch einen Unfall ums Leben gekommen ist. Wir haben die FBI–Leute hier und am Ende — am Ende.«
«Halt den Mund«, fauchte Matt.»Halt den Mund!«
«Vielleicht ist er noch nicht tot. Vielleicht läßt sich alles noch ändern. «Ihre Stimme klang eindringlich und flehend.
«Soll er uns denn wegen Mordversuchs anzeigen? Sei doch nicht verrückt. Niemand kann uns beweisen, daß es kein Unfall war, oder?«
«Ich glaube nicht.«
«Also laß ihn, Yola, laß ihn in Ruhe. Er hatte seine Chance. Ich habe ihm eine faire Chance gegeben… Du wartest einfach, bis jemand von den Gästen den Rauch bemerkt und es dir sagt, so wie wir es vereinbart haben. Versuch ja nicht, dort hinaufzugehen. Versuch es ja nicht.«
«Nein.«
«Ich reite jetzt wieder mit den Burschen in die Berge. Chrysalis ist über die Brücke gegangen. Dort sind seine Spuren. Ich werde den Spuren folgen. Vielleicht blufft dieser Hochner nur. Vielleicht hat er Chrysalis hier irgendwo in der Nähe an einen Baum gebunden, ohne jemandem zu sagen wo, und niemand wird kommen und Fragen stellen.«
Er versuchte sich selbst zu überzeugen, und am Ende hatte er Yola beinahe umgestimmt.
«Wir werden es Onkel Bark sagen müssen«, meinte sie schließlich.
Über diesen Punkt dachten sie wohl eine Weile nach.
«Er wird aus der Haut fahren«, knurrte Matt düster.
«Nachdem alles so sauber geplant war.«
«Er muß es aber erfahren.«
«Ich rufe ihn heute abend an, wenn es schon sein muß. Aber bis dahin haben wir Chrysalis vielleicht wiedergefunden.«
«Ich hoffe es wirklich.«
Dann machte sich Matt auf die Suche, und nachdem Yola ins Ranchhaus zurückgegangen war, verstummte das Tonband.
Walt schaltete das Gerät aus und sah mich völlig ausdruckslos an.
«Was haben die beiden denn gemacht?«
Ich berichtete.
«Wäre es ihnen als Unfall durchgegangen?«
«Ich glaube schon. Es paßte alles so nett zusammen: Ein Mann zündet sich eine Zigarette an, wirft zerstreut das Streichholz in den Anzünder statt in den Aschenbecher, dreht durch, verstreut das Zeug im ganzen Zimmer, springt vor den Flammen zurück, stolpert über den Ofen und verliert das Bewußtsein.«
«Rauchen Sie denn?«
«Manchmal. Sie hatten meine eigene Packung vom Nachttisch genommen, und auch meine eigenen Streichhölzer. Das geschah zwar ohne Überlegung, nur weil ihnen diese Sachen gerade ins Auge fielen. Im Improvisieren sind sie gut.«
«Was für ein Glück, daß Sie rechtzeitig wieder aufwachten«, sagte Walt.
«Ja. «Ich schloß die Augen und überlegte. Dann fragte ich ihn, was er wohl dazu sagen würde, wenn ich ihn darum bäte, mir eine ausreichende Dosis Codein zu besorgen.
Er meinte:»Ich hatte früher schon ein- oder zweimal mit Leuten wie Ihnen zu tun. Ich kann nicht behaupten, daß es mir Spaß machte.«
«Danke«, sagte ich ironisch. Dann lieber keine Pillen.
«Bei Leuten Ihrer Art wird leicht gestorben«, sagte er.
«Mehr Mut gehört zum Leben.«
Ich öffnete die Augen. Er betrachtete mich unverwandt, und seiner ernsten Miene war abzulesen, daß er ganz und gar nicht scherzte.
«Wie steht’s mit Ihrem Mut?«fragte er.
«Ausverkauft.«
Er seufzte tief.»Habe ich mir gedacht.«
«Walt…«:, begann ich.
«Zuerst ist es mir letzte Nacht aufgefallen, oben in den Bergen. Sie hatten Angst um Chrysalis, aber es war Ihnen verdammt egal, ob Sie selbst herunterfielen oder nicht. Mir fror das Blut in den Adern, als ich Ihnen zuschaute, wie Sie den Hengst über den Grat führten. Und trotzdem waren Sie so gelassen, als sei das alles bei Ihnen zu Hause auf dem Hinterhof passiert.«
Er entschuldigte sich auf seine indirekte Art für sein plötzliches Auftauchen letzte Nacht.
«Walt«, sagte ich mit halbem Lächeln,»würden Sie mir bitte wenigstens etwas gegen Kopfschmerzen besorgen?«
Kapitel 11
Eunice, Lynnie, Sam Kitchens und der Stallmeister Chub Lodovski lehnten in einer Reihe am Zaun der Hengstkoppel in Midway und schauten Chrysalis zu, wie er Kentucky-Gras fraß. Ihre Stimmung reichte von Begeisterung bei Lodovski bis zu Gleichgültigkeit bei Eunice.
Der Ausflug in die Teton-Berge schien dem Millionengaul nicht geschadet zu haben. Nachdem Sam Kitchens ihm den Staub von Wyoming aus dem Fell gebürstet hatte, sah er besser aus als oben auf der Ranch; sein Fell glänzte im Sonnenschein. Lodovski versicherte mir hoch und heilig, ich brauche in keiner Weise zu befürchten, er könne wieder verlorengehen.
Ein ganzes Heer von Fotografen und Reportern war gekommen und wieder gegangen. Der Hengst war auf dem Weideland eines Freundes von Dave Teller >gefunden< worden, und zwar etwa dreißig Meilen von der Stelle entfernt, wo er abhanden gekommen war. Die ganze Aufregung hatte sich gelegt.