Teller nickte.
«Warum ausgerechnet ich?«
«Die beiden anderen Pferde wurden nie gefunden.«
«Amerika ist groß«, sagte ich.»Wahrscheinlich laufen die beiden irgendwo frei auf der Prärie herum und lassen es sich als Stammväter ganzer wilder Mustangherden gutgehen.«
Teller knurrte:»Der erste Hengst wurde zwei Jahre nach seinem Verschwinden in einem Kanal tot aufgefunden.«
«Damit war der Fall ja dann erledigt.«
«Aber der zweite — den hab’ ich auch gekauft. Mir gehörte ein Zehntel. Für mich ist es also das zweitemal.«
Ich starrte ihn an.»Dieselben Begleitumstände?«
Widerwillig schüttelte er den Kopf.»Nein — bis auf den Umstand, daß sie beide ausbrachen. Allyx wurde nie gefunden. Deshalb möchte ich, daß im Fall Chrysalis etwas unternommen wird.«
Ich schwieg.
Keeble wurde unruhig.»Gene, Sie haben doch sonst nichts
vor. Warum machen Sie nicht in den Staaten Urlaub? Wie wollen Sie sich denn die Zeit vertreiben, wenn Sie in Putney bleiben?«
Er blinzelte nun nicht mehr. Das legte sich immer, wenn er sehr gespannt war. Es war der sicherste Hinweis auf die komplizierten Überlegungen, die sich manchmal hinter seinen nichtssagenden Bemerkungen verbargen. Er kann’s doch nicht ahnen, fuhr es mir durch den Kopf. Er konnte zwar mit Menschen umgehen, aber Hellseher war er doch auch nicht. Ich zuckte die Achseln und antwortete gleichmütig:»Im Kew Garden Spazierengehen und Orchideen schnuppern.«
«Orchideen haben keinen Geruch«, erklärte Teller überflüssigerweise.
«Das weiß er«, sagte Keeble. Er blinzelte immer noch nicht.»Er meint damit nur, daß er sich auf unnütze Art und Weise die Zeit vertreiben will.«
«Mir scheint, ihr beide sendet auf einer eigenen, ganz privaten Wellenlänge. «Teller seufzte.»Aber ich möchte gern, Gene, daß Sie mit mir in die USA zurückkehren und sich wenigstens einmal umsehen. Was kann das schon schaden?«
«Und was kann es nützen? Das liegt nicht auf meiner Linie. «Ich wandte den Blick ab und starrte ins grüne Wasser.»Außerdem — bin ich schrecklich müde.«
Darauf fiel den beiden nicht so rasch eine Antwort ein. Es wäre so einfach gewesen, wenn mir nichts weiter gefehlt hätte als schlichte Überarbeitung und nicht die tödliche Müdigkeit von einem Kampf, bei dem ich nicht wußte, ob ich ihn gewonnen hatte. Einen wahnsinnig gewordenen Gaul auf einem Gelände von ein paar tausend Quadratmeilen zu suchen erschien mir auch nicht die richtige Kur.
Joan kam aus der Kabine und unterbrach unser bedrücktes Schweigen mit einer Schüssel Salat und lautem, fröhlichem Geschnatter. Ein Falttisch wurde aufgestellt und gedeckt, dann saßen wir beisammen in der Sonne und genossen kaltes Huhn und warmes Stangenbrot. Es gab angenehm schmeckenden Vin Rose zu trinken und Erdbeeren mit Schlagsahne zum Nachtisch. Peter, der trotz der Anweisung seiner Mutter immer noch in seiner nassen Badehose herumlief, nahm immer abwechselnd einen Bissen und knipste dann wieder. Lynnie neben mir erzählte Dave Teller eine lustige Geschichte aus der Schule. Ihr warmer bloßer Arm streifte mich ab und zu unbeabsichtigt. Eigentlich hätte ich dieses gemütliche Sonntagspicknick am Fluß genießen sollen. Ich gab mir alle Mühe. Ich lächelte und antwortete, wenn ich angesprochen wurde. Außerdem konzentrierte ich mich auf Geschmack und Geruch des köstlichen Essens, aber der dicke schwarze Klumpen von Niedergeschlagenheit in mir wuchs und wuchs trotzdem.
Um vier Uhr nachmittags, nach dem Geschirrspülen und einer ausgiebigen Siesta, fuhren wir nach Henley zurück. Meine Weigerung schien weder Keeble noch Teller sehr zu stören. Daraus schloß ich, daß ihr Beweggrund zu diesem Vorschlag — wie immer er auch aussehen mochte — sicherlich nicht die felsenfeste Überzeugung war, ich und nur ich allein könnte den verschwundenen Gaul finden. Ich vergaß die ganze Geschichte. Es fiel mir nicht einmal schwer.
In der Einfahrt zur Schleuse Harbour hatte ein breiter, flacher Flußkahn Schwierigkeiten. Teller, der wieder mit der Leine im Bug stand, rief Keeble etwas zu und streckte die Hand aus. Wir alle folgten mit den Blicken seiner ausgestreckten Hand.
An der Stelle, wo der Fluß sich gabelte und wo es links um eine Biegung gemächlich zur Schleuse, rechts aber ziemlich reißend genau zum Wehr ging, stand mitten in der Strömung ein starker, viereckiger Pfahl mit einem Schild: GEFAHR!
Ein Mädchen lag flach in dem Kahn, den Oberkörper über dem Wasser, und umklammerte den Pfahl. Sie versuchte, eine Leine um den Pfahl zu schlingen, indem sie mit beiden Händen daran herumfummelte, aber es schien ihr nicht zu gelingen. Im Heck stand mit besorgter Miene, eine Ruderstange in der Hand, ein junger Mann in einem rotgelben Hemd. Als er uns kommen sah, winkte er uns zu. Keeble drosselte die Maschine und ließ das Boot nähergleitend.
«Könnten Sie uns helfen, Sir?«rief der junge Mann.
Der Flußkahn war voll in die starke Strömung geraten, und nur die schmächtigen Arme des Mädchens bewahrten ihn vor der Katastrophe; dafür machte der junge Mann einen bemerkenswert kühlen Eindruck. Keeble verfluchte die ungeschickten Greenhorns, schaltete in den Rückwärtsgang und ließ das Schiff vorsichtig nähergleiten. Im Gegensatz zu dem flachen Kahn war die >Flying Linnet< zu groß, um über dieses Wehr zu gehen, das aus einer ganzen Reihe einzeln regulierbarer Öffnungen bestand. Die starke, sommerliche Strömung hätte aber ausgereicht, uns böse an die Betonmauer zu drücken, und uns in die peinliche Lage gebracht, fremde Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.
Keeble rief dem Mädchen zu, wir würden sie wegschleppen. Sie solle mir oder Lynnie die Leine reichen, je nachdem, wen sie leichter erwischen könne. Das Mädchen nickte und umklammerte immer noch, vor Anstrengung zitternd, den Pfahl. Ihr Haar hing dabei bis fast ins Wasser.
«Festhalten!«rief ihr Lynnie beschwörend zu.»Bitte, nur festhalten! Einen Augenblick noch, gleich haben wir’s!«Sie beugte sich über Bord, als wollte sie die kurze Strecke dadurch noch verringern. Je näher wir kamen, um so besorgter und ängstlicher wurde sie. Die Maschine tuckerte langsam und so leise, daß das drohende Rauschen des Wehrs unsere Ohren erfüllte, aber Keeble blieb ruhig und gelassen. Er war in jeder Hinsicht Herr des Bootes und der Situation. Als wir noch zwei Meter entfernt waren, nahm das Mädchen eine Hand von dem Pfahl und reichte Lynnie das Tau entgegen. Dann klatschte die Leine ins Wasser. Das Mädchen im Boot schrie auf und schlug mit der Hand aufs Wasser, erwischte die Leine aber nicht mehr und bemühte sich nun, den Arm wieder um den Pfahl zu schlingen. Lynnie rief ihr zu, sie solle nach der Leine greifen, die genau unter ihrer Brust an dem Flußkahn festgemacht war, und sie noch einmal herüberreichen. Doch das Mädchen geriet in Panik und hörte nicht mehr zu. Es getraute sich nicht, den Pfahl noch einmal loszulassen, und schrie in nacktem Entsetzen auf.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der junge Mann zum Bug ging, um ihr zu helfen. Endlich schien auch er zu erkennen, wie bedrohlich die Lage war. Die Ruderstange schwankte in seiner Hand, beschrieb einen Halbkreis und traf Dave Teller am Kopf. Die Knie des Amerikaners gaben nach, er kippte vom Bug ins Wasser.
Bevor die anderen kapiert hatten, was geschehen war, stand ich schon auf dem Kabinendach, hatte die Schuhe ausgezogen und war ins Wasser getaucht. Ich hörte noch Keebles verzweifelten Aufschrei» Gene!«, dann brauste mir schon das Wasser in den Ohren. Ich dachte nur an eines: Wenn ich Teller finden wollte, dann mußte ich mich beeilen. Was in einen Fluß wie die Themse fällt, ist rasch außer Sicht. Algen machen das Wasser trüb.
Ich tauchte möglichst nahe der Stelle, an der er verschwunden war, ein und stieß mit kräftigen Armstößen nach unten. Ich war schneller als Teller, ich mußte einfach schneller sein. Ich war ziemlich sicher, daß die Ruderstange ihn bewußtlos geschlagen hatte, dann sank er sicher nur langsam unter.