«Nicht gern. Aber er braucht mindestens zwei Stunden hin und zwei zurück. Rechnen Sie eine weitere Stunde Wartezeit hinzu. Selbst wenn er die Polizei anruft, kann er das frühestens drei Stunden nach seiner Abfahrt zu Hause tun. Dann sind wir mit den Pferden schon zwei Stunden unterwegs.«
Walt schüttelte stur den Kopf.»Das ist zeitlich zu knapp. Auf den schlechten Straßen schafft ein Pferdetransporter höchstens dreißig Meilen in der Stunde, wenn überhaupt so viel. Sie müssen bis Kingman, das ist Kentucky genau entgegengesetzt, dann quer durch Arizona. Dieser Staat hat nicht viele gute Straßen, er besteht größtenteils aus Wüste. Die Polizei würde Sie dort allzu leicht finden.«
«Runter nach Phoenix.«
«Die Straße nach Phoenix windet sich in Haarnadelkurven durch die Berge.«
«Ich will aber nicht, daß Sie sich in einem leeren Haus mit Matt Clive treffen.«
Er sah mich ausdruckslos an.»Aber Sie würden hingehen. Ich meine, wenn er Sie nicht kennen würde.«
«Das ist etwas anderes.«
«Inwiefern?«fragte er halb gekränkt, halb herausfordernd.
Ich sah ihn von der Seite an.»Ich wette, ich kann schneller laufen als Sie.«
Die Falten verschwanden von seiner Stirn.»Zugegeben, Sie sind in recht guter körperlicher Verfassung. Trotzdem fahre ich nach Las Vegas.«
Mit Sicherheit konnte ich ihm nun nicht mehr kommen. Von jedem anderen Gesichtspunkt aus war die Idee gut. Am Ende gab ich entgegen meinem Instinkt nach.
«Ich verziehe mich morgen und sehe mir die Farm hinter Kingman an«, sagte ich.»Sie könnten wohl nicht nachsehen, ob sich dort außer den beiden Pferden, hinter denen wir her sind, noch weitere befinden?«
Er hob verdutzt den Kopf.»Meinen Sie, es könnte wieder Schwierigkeiten mit der Identifizierung geben?«
«Vielleicht. Ich möchte allerdings als sicher annehmen, daß unsere beiden Tiere die Zuchtbuchnummern von Moviemaker und Centigrade im Maul eintätowiert haben. Stallmeister, die sie ansehen kommen, würden sich sonst nicht davon überzeugen lassen, daß ihre Stuten von den richtigen Hengsten beschält wurden. Aber ich habe Allyx und Showman noch nie gesehen. Wenn dort noch andere Pferde sind, dann müssen wir einfach von einem zum anderen gehen und ihnen allen ins Maul schauen.«
Walt sandte einen verzweifelten Blick gen Himmel.
«Wenn Sie das sagen, dann klingt alles so verdammt einfach. Zum Gipfel des Everest sind’s schließlich nur gut acht Kilometer oder fünf Meilen — und fünf Meilen kann man bequem Spazierengehen, wie?«
Lächelnd erkundigte ich mich nach der genauen Lage der Farm. Er beschrieb mir den Weg.
«Und nun die andere Seite«, fuhr ich fort.»Haben Sie irgendwelche Beziehungen zum Betrugsdezernat in Los Angeles?«
«Kaum. Ich kenne dort niemanden.«
«Aber die Firma >Buttress< steht doch hinter Ihnen?«
Er seufzte.»Sie möchten also, daß ich hingehe und behutsam vorfühle?«
«Nicht nur das. Sie sollen versuchen, bis zum obersten Boss vorzudringen und ihm klarzumachen, die >Buttress<-Ver-sicherung hege den Verdacht, daß es sich bei Moviemaker und Centigrade um Allyx und Showman handelt. Bringen sie alles hübsch durcheinander. Zwingen Sie Offen dazu, eindeutig nachzuweisen, daß die beiden Pferde auf der Orpheus-Farm tatsächlich Moviemaker und Centigrade sind.«
Er nickte.»Okay, das nehme ich mir gleich heute morgen vor. Dabei muß ich allerdings aufpassen, denn Offen hängt uns sonst eine Klage wegen übler Nachrede an, bevor wir wissen, wie uns geschieht.«
«An so etwas dürften Sie doch gewöhnt sein.«
«Hm — ja.«
Ich gab ihm die Seite, die Miss Britt in Lexington für mich getippt hatte.
«Das sind die Angaben. Die kann niemand anzweifeln, nicht einmal Offen. Das wird Ihnen vielleicht nützlich sein, wenn Sie den Beschützern des Rechts auf die Sprünge helfen.«
Er nickte und schob das Blatt Papier in seine Brieftasche. Kurz danach wuchtete er sich mit seinem üblichen Märtyrerstöhnen aus dem Sessel und marschierte davon.
Ich dachte noch eine Weile nach, aber mir fiel nichts Neues mehr ein. Während der nächsten Tage konnte ich nicht viel mehr tun als warten und die Augen offenhalten, bis Sam Hengelman quer durch den ganzen Kontinent zweitausend Meilen weit angerollt kam.
Als ich zum Mittagessen nach unten ging, saßen Eunice und Lynnie in leichten bunten Sommerkleidern im Schatten der Seeterrasse. Ihr Haar schimmerte sorgsam frisiert, ihre großen Ohrringe wippten sanft, ihre Beine waren glatt und sonnenbraun, das Weiß ihrer Augen konnte einer Waschmittelreklame entstammen.
Ich konnte ihnen nicht die Aufmerksamkeit widmen, die ihnen eigentlich gebührte; denn neben ihnen saß — genauso gepflegt und gelassen wie die beiden — Culham James Offen alias Onkel Bark.
Alle drei waren leicht betroffen, als ich mich auf dem vierten Stuhl an dem kleinen runden Tisch niederließ, auf dem ihre kalten Getränke in beschlagenen Gläsern standen.
Offen und ich nickten einander kurz zu. Er hatte immer noch die überlegene, leicht amüsierte Art an sich, mit der er mich in seinem Haus behandelt hatte. Lynnie lächelte mir ermutigend zu, allerdings erst nach einem raschen Seitenblick auf Eunice, um festzustellen, daß diese den winzigen Verrat nicht wahrnahm. Aber Eunice begegnete mir mit einem Ausdruck, der deutlich sagte: Ich bin die Frau deines Brötchengebers. Sie hatte den Abend im rosa Bademantel wohl nicht vergessen, nahm ich an. Ich auch nicht.
«Wir haben gedacht, Sie seien mit Walt nach Los Angeles gefahren«, sagte Lynnie.
Eunices durchdringender Seitenblick entging ihr.»Wir haben Mr. Offen rein zufällig hier in der Halle getroffen. Ist das nicht seltsam?«
«Sehr seltsam«, stimmte ich ihr zu.
Offen hob und senkte flüchtig die weißen Augenbrauen. So ganz konnte er seine Verlegenheit doch nicht meistern.
«Es war mir auf jeden Fall ein Vergnügen«, sagte er,»Sie alle etwas näher kennenzulernen. «Damit wandte er sich jedoch ausschließlich an Eunice.
Sie erwärmte sich rasch wieder an dem Charme, den er eigens für sie hervorzauberte. Für mich hatte sie nur die Andeutung eines verächtlichen Blickes übrig, der mir deutlich sagte: Wie konnte ich es nur wagen, einen so netten und einflußreichen Ehrenmann für einen Gauner zu halten?
«Wie geht’s eigentlich Matt und Yola?«erkundigte ich mich im Plauderton.
Offen zuckte sichtlich zusammen. Eine frostige Stimmung breitete sich aus. Ich fuhr in wohlwollendem Ton fort:»Wirklich reizende junge Leute. Ihre Nichte und Ihr Neffe, wie ich annehme?«Dabei bemerkte ich, wie Eunice sich offenbar an das erinnerte, was Dave zugestoßen war, vielleicht sogar an Walts Bericht über das Attentat der beiden auf mich.
Am wenigstens eindrucksvoll in Offens weißgerahmtem, braungebranntem Gesicht waren seine blaßblauen Augen, in denen ich einen Anflug von Müdigkeit las. Ich fragte mich, ob ich sein inneres Gleichgewicht vielleicht zu sehr zerstört hatte, indem ich Eunice an die herbe Wirklichkeit erinnerte.
«Die beiden möchten Sie nur allzu gern wiedersehen«, sagte Offen langsam und mit einem so bösartigen Unterton, daß in Eunice der Glaube an das glatte, menschenfreundliche Äußere dieses Herrn deutlich zerstört wurde.
«Erwarten Sie die beiden in den nächsten Tagen?«fragte ich und ließ eine winzige Spur von Besorgnis erkennen.
Er verneinte. Schlagartig war sein amüsierter Unterton wieder da. Es war mir gelungen, ihn davon zu überzeugen, daß ich seine Pferde nun bald von der Orpheus-Farm entführen wollte. Kurz darauf erhob er sich mit einem energischen Ruck, schenkte Eunice ein strahlendes Lächeln, Lynnie ein etwas verhalteneres und mir ein hinterhältiges. Mit gewichtigen Schritten verließ er die Halle.
Nach einer langen Pause sagte Eunice rundheraus:»Ich fürchte, in diesem Kerl habe ich mich doch getäuscht.«
Wir aßen schön zu Mittag und verbrachten den Nachmittag am Strand unter einem fransenbesetzten Sonnenschirm. Der blaue Pazifik rauschte zu unseren Füßen auf den Strand. Draußen auf der Dünung ritten Jungen auf ihren Wellenbrettern, und neben mir lag die kleine Lynnie flach auf dem Bauch und stöhnte vor Wohlbehagen.