Er lachte.»Und Sie?«
«Auf das kommt’s dann auch nicht mehr an.«
Kapitel 16
Fast dreißig Stunden lang hockte ich in der gebirgigen Wüste Arizonas und schaute Matt Clive zu, wie er sich langweilte.
Er war genauso tüchtig, flink und geschickt wie seine Schwester. Er tränkte das Vieh und flickte einen Zaun, fegte das Haus und fütterte die Hühner. Viel Zeit verbrachte er im größten Stall der Farm.
Ich hatte zwischen den Felsen am Ostrand des Tals einen guten Beobachtungsposten gefunden, eine halbe Meile von der staubigen Straße entfernt, die zur Farm führte. Hier, fast tausend Meter über dem Meeresspiegel, war die Hitze erträglich, aber um die Mittagszeit stach die Sonne senkrecht vom Himmel herab; wenn ein Bürgersteig dagewesen wäre, hätte man darauf Spiegeleier braten können. Wüstenpflanzen erhalten nur sich selbst und niemand sonst. Hinter meinem Rücken wuchs eine große Agave. Ihr Hauptstamm erhob sich mannshoch und endete in waagerechten Blüten von einem herrlichen Feuerrot bis zum strahlendsten Gelb. Als Blätter hatte die Agave messerscharfe Spitzen, die dicht über dem Boden büschelweise hervor standen. Sie waren hart und eckig und boten nicht viel Schatten. Spindeldürres Hirschhorn und die flachen Teufelsfinger hätten auch keinem Zwerg Schutz geboten. So kroch ich unter einen überhängenden Felsen und rutschte dem Schatten nach, bis die Sonne im Westen unterging.
Showman und Allyx mußten in dem großen Stall stehen. Allerdings bemerkte ich am ersten Nachmittag weder von ihnen noch von anderen Pferden etwas.
Für den Flug nach Las Vegas und die Fahrt im Mietwagen nach Kingman hatte ich fast den ganzen Vormittag gebraucht.
An der letzten Abzweigung von der Straße, die zur Farm führte, mußte ich mich entscheiden: Entweder riskierte ich, mit Matt mitten auf der Straße zusammenzustoßen, oder ich mußte zehn Meilen marschieren. Ich wagte es. Zehn Meilen hin waren auch zehn Meilen zurück. Zwei Meilen vor der Farm war der Wagen protestierend von der Straße gerollt und stand nun gut geschützt in einer Mulde.
Durch den Feldstecher konnte ich jede Einzelheit auf der ärmlichen Farm klar und deutlich erkennen. Links lag das kleine, baufällige Haus, auf der anderen Seite des großen, staubigen Hofs der mächtige Stall. Den größten Teil des ungefähr quadratischen Platzes säumte auf der dritten Seite eine Reihe von niedrigen schlichten Steingebäuden. Dahinter rosteten zwei alte Autos unter freiem Himmel vor sich hin.
Alles war verwahrlost. Hier konnte kein Wohlstand ausbrechen. Die Besitzer konnten hier in dem kleinen Tal zwischen den Bergen Arizonas nur existieren, weil eine Laune der Natur an einer Stelle zwischen den Felsen das Grundwasser in einer Quelle zutage treten ließ. Von meinem Beobachtungspunkt aus konnte ich den kleinen Bach leicht mit den Blicken verfolgen. Wo er entsprang, gab es Gras und ein paar Bäume, am Oberlauf folgten ihm links und rechts schlecht gebaute Koppeln und windschiefe Zäune, in der Nähe des Farmhauses wuchs ein wenig Mais, und in der Ferne verlor er sich in einer weiten, trockenen Mulde in der Wüste. Schwerer Regen verwandelte ihn gewiß jedesmal in einen reißenden Strom, ebenso vernichtend wie lebensnotwendig. Hoch über dem Haus erhob sich dominierend ein riesiger, zwiebelförmiger Wassertank auf einem gebrechlich wirkenden Gerüst.
Meilenweit folgten schwarze Masten dem Lauf der Straße. Sie trugen die Drähte für elektrischen Strom und Telefon, aber die Zivilisation machte sich sonst kaum bemerkbar. Auf der einen Seite des großen Stalles sah ich auf dem
Schuttabladeplatz eine eiserne Bettstelle, einen halben Traktor, eine bodenlose Zinnbadewanne, das Gerippe eines alten Wagens und einen Haufen rostigen Metalls, dazu etwa fünfzig abgefahrene Autoreifen verschiedenster Größe. Jedes Loch weit und breit war mit leeren Flaschen und Konservendosen ausgefüllt. Die Etiketts blätterten ab, und die Deckel gähnten mit ausgezackten Mündern. Über allem flimmerte die Luft vor Hitze.
Matt verbrachte schon mindestens eine Woche in dieser häßlichen Oase. Es sollte Walt nicht allzu schwer fallen, ihn zu einem abendlichen Besuch in Las Vegas zu überreden.
Ich beobachtete die Farm bis lange nach Einbruch der Dunkelheit. Im Haus gingen Lichter an und wieder aus, Matt ging hin und her, tauchte mal hinter diesem, mal hinter jenem Fliegengitter auf, hatte aber keine Vorhänge zugezogen. Ich bezweifelte, daß es hier überhaupt welche gab.
Nach ein Uhr nachts, nachdem alle von hier aus sichtbaren Lichter im Haus seit mindestens zwei Stunden verloschen waren, schlich ich vorsichtig zur Farm hinunter. Die Nacht war immer noch sehr warm. Das einzige Licht stammte von den Sternen, und in Bodennähe war es stockfinster. Da ich immer an die stacheligen Agavenbüsche denken mußte, erschien mir der Gebrauch meiner Taschenlampe als das geringere Risiko.
Ich erreichte den Hof. Nichts rührte sich. Leise und behutsam tastete ich mich hinüber zum Stall. Matt schlief im Haus weiter.
Keine Schlösser, nicht einmal Riegel gab es. Das breite Tor des Stalls stand weit offen. Dieser Einladung konnte ich nicht widerstehen. Das Innere des Stalls war in sechs Boxen auf der einen Seite und Behälter für Futter und Zaumzeug auf der anderen Seite aufgeteilt. Auch hier sah alles nach Verfall aus. Wohin der Strahl meiner Lampe auch fiel, alles hätte dringend eine Reparatur nötig gehabt.
Vier Boxen waren leer, aber in den beiden mittleren standen nebeneinander zwei Pferde. Leise, um sie nicht aufzuregen, ging ich auf sie zu, murmelte beruhigende Worte und leuchtete mit meiner Lampe auf die Mauer vor ihren Köpfen. Sie rollten fragend ihre Augen, aber keins der Pferde stampfte oder zeigte andere Anzeichen von Erregung.
Als ich dem ersten Hengst mit der Lampe ins Maul leuchten wollte, scheute er ein wenig zurück, doch das ungewöhnlich kräftige Halfter und eine ganz neue Kette gaben ihm nicht viel Spielraum. Ich tätschelte ihm den Hals und redete ihm begütigend zu, und schließlich sah ich die eintätowierte Nummer, nicht allzu deutlich, aber immerhin lesbar: 752-07. Die Zuchtbuchnummer von Moviemaker.
Die Tätowierung des anderen Pferdes war neueren Datums und besser leserlich. Es war die eingetragene Nummer von Centigrade.
Zufrieden gab ich ihnen je einen freundschaftlichen Klaps und verließ außerordentlich vorsichtig den Stall. Matt schlief immer noch. Ich zögerte, weil ich mir sagte, das müßte genug sein, aber dann nutzte ich doch die Gelegenheit und sah mir die anderen Baulichkeiten an, die den Hof säumten. Nur eins enthielt etwas von Interesse: einen Wagen.
Es war nicht Matts hellblaues Cabrio, sondern ein blecherner, schwarzer Sedan, drei oder vier Jahre alt. Im Schein meiner Lampe sah ich auf dem Vordersitz ein Stück Papier liegen. Ich öffnete die Tür und sah es mir an. Es war der Durchschlag eines Auftragszettels von einer Garage und Tankstelle in Kingman. Name des Kunden: Clive. Auftrag: gelbe Farbe von Ford-Cabrio beseitigen. Nähere Anweisungen: schnellstmöglich.
Ich legte das Papier wieder auf den Sitz und leuchtete unter das Armaturenbrett. Ein kleines, blankes Metallschild sagte mir Namen und Anschrift der Tankstelle in Kingman. Matt hatte
sich den Wagen geliehen, bis sein eigener fertig war.
Draußen war es totenstill. Ich kam mir vor wie ein Schatten unter Schatten, verließ lautlos den Hof und ging ein Stück die Straße entlang. Der Weg bis zu meinem Wagen kam mir viel länger vor als nur zwei Meilen. Ich hatte drei flache Steine als Markierung aufgebaut, um die Stelle nicht zu übersehen, aber selbst dann brauchte ich noch eine ganze Weile, bis ich den versteckten Wagen gefunden hatte und wieder auf die Straße zurückkehrte.
Nach drei Uhr rief ich Walt an. Seine Stimme klang resigniert, aber er mußte doch wissen, daß mein Anruf irgendwann im Laufe der Nacht kommen mußte.
«Sind sie dort?«fragte er.
«Ja. Fast unbewacht, und auf der ganzen Farm ist niemand außer Matt. Wie sieht’s bei Ihnen aus?«