Der Abfallhaufen genau vor uns warf surrealistische Schatten über den staubigen Boden, und Verwesungsgeruch stieg uns in die Nasen.
Sam überflog alles mit dem Blick eines erfahrenen Mannes.»Nicht viel wert. «Seine Stimme war nur ein Flüstern.
«Nein — lassen Sie bitte die Rampe herunter, ich hole jetzt die Pferde. Eines nach dem anderen, denke ich.«
«Okay. «Er atmete etwas rascher und ballte die Fäuste. Er war es doch nicht gewöhnt.
Ich lief schnell zum Stall hinüber. Es war nicht weit, nur etwa vierzig Schritte. Jetzt, wo wir nicht mehr zurückkonnten, drängte alles in mir nach Eile. Nur weg von hier, zurück nach Kingman, weit fort, bevor Matt zurückkam. Vielleicht war er schon irgendwo hinter uns auf der Straße, vielleicht brauste er irgendwo in diesem Augenblick durch die Wüste auf seine Farm zu.
Von diesem Augenblick an geschah alles furchtbar schnell, wie in einem verwischten, zu rasch ablaufenden Film.
Ich hörte einen Schrei hinter mir.
«Gene!«
Ich fuhr herum. Zwei Scheinwerferpaare, wo nur eines sein durfte.
Matt.
Wieder die Stimme.»Gene, aufpassen!«
Eine Gestalt rannte über den Hof auf mich zu.
Dann dröhnte etwas hinter mir auf. Ich drehte mich wieder um und wurde von einem dritten Scheinwerferpaar geblendet. Die Lichter waren näher, sehr viel näher.
Sie bewegten sich auf mich zu.
Ich war benommen, schwankte und wäre niemals weggekommen. Die Gestalt stürzte auf mich zu, warf sich mit ausgestreckten Armen gegen mich und stieß mich aus der Bahn, dann krachte der aufheulende Wagen gegen den Körper, der sich noch im Sprung befand. Schlaff und zerschmettert blieb er auf meinen Beinen liegen.
Der Wagen, der ihn zu Boden geschleudert hatte, wendete auf der anderen Seite des Hofes in weitem Bogen und kam zurück. Die Scheinwerfer richteten sich wie zwei Sonnen auf ihr Ziel. Unwillkürlich schoß mir ein Gedanke durch den Kopf: Ausgerechnet jetzt, wo ich beschlossen hatte, nicht zu sterben, sollte es doch sein.
Halb sitzend, halb kniend riß ich meine Pistole aus der Tasche und jagte alle acht Kugeln in die Windschutzscheibe. Ich sah nicht genug, um richtig zielen zu können, meine Augen schmerzten von dem grellen Licht, und außerdem nutzten die Kugeln nichts — der Winkel war zu ungünstig. Sie konnten den Fahrer nicht treffen. Als ich meine letzte Patrone verschossen hatte, war der linke Scheinwerfer noch zwei Schritte entfernt. Ich preßte die Zähne zusammen und wappnete mich für den Aufprall, das Krachen, Brechen, Verstümmeln… Dann, in der allerletzten Zehntelsekunde kam der Wagen vom Kurs ab. Ein Kotflügel traf mich an der Schulter, das eine Vorderrad rollte über eine Falte meines Hemdärmels, vom Hinterrad war ich nur einen Zoll entfernt.
Noch bevor mir recht klar wurde, daß der Wagen mich verfehlt hatte, krachte er mit lautem Kreischen von zertrümmertem Holz und Metall in eines der Gebäude hinter mir. Die Karosserie wurde regelrecht zerknittert. Die Lichter gingen aus, der Motor blieb stehen. Wütend zischte die Luft aus einem durchstoßenen Reifen.
Keuchend aus Angst vor dem, was ich nun sehen würde, beugte ich mich über die schwere Gestalt, die auf meinen Beinen lag. Ich hörte wieder Schritte auf dem Hof, blickte ohne Hoffnung auf, konnte nichts mehr tun. Ich hatte alle Kugeln verschossen, ich hatte keine mehr übrig.
«Sie leben«, hörte ich eine Stimme dicht neben meinem Ohr rufen. Sam Hengelman kniete neben mir. Ich sah ihn nur verschwommen.
«Ich dachte…«stotterte ich atemlos.»Ich dachte, Sie sind das?«
Er schüttelte den Kopf.»Nein.«
Gemeinsam hoben wir den Mann auf, der mein Leben gerettet hatte, und drehten ihn auf den Rücken. Als ich sein Gesicht erblickte, packten mich Übelkeit und unerträgliche Traurigkeit.
Walt.
Wir legten ihn vorsichtig in den Staub.
«Sehen Sie dort in dem Auto nach«, sagte ich.
Sam stand schweigend auf und ging weg. Ich hörte, wie seine Schritte verhallten und dann zurückkamen.
Walt schlug die Augen auf. Ich beugte mich über ihn, hob seine Hand, tastete mit neuer Hoffnung nach seinem Puls.
«Gene?«murmelte er.
«Ja.«
«Er kam nicht.«
«Was?«
«Ich wollte — helfen.«
«Ja«, sagte ich.»Danke, Walt.«
Dann glitt sein Blick von meinem Gesicht ab.
«Christus«, sagte er deutlich.»Das war’s. Ja, wirklich — das war’s dann.«
«Walt…«Seine Hand in meiner war noch warm, aber sie regte sich nicht.
«Vorbei«, sagte er.»Ich wollte… ich wollte.«
Seine Stimme verstummte. Ich fühlte keinen Puls, keinen
Herzschlag. Nichts, überhaupt nichts.
Behutsam legte ich die warme Hand mit den runden Fingerkuppen auf den Boden und schloß ihm die Augen. Ich hätte hier liegen sollen, nicht Walt. Bei diesem Gedanken, daß nicht ich es war, sondern daß Walt mir das gestohlen hatte, was ich wollte — meinen eigenen Tod —, bei diesem Gedanken schüttelte mich plötzlich hilflose Wut. Es hätte mir so wenig ausgemacht, wenn ich es gewesen wäre. Es hätte mir überhaupt nichts ausgemacht.
Walt. Walt.
Sam Hengelman fragte:»Ist er tot?«
Ich nickte, ohne hochzublicken.
«Im Auto sitzt ein junger Kerl«, sagte er.»Der ist auch tot.«
Langsam erhob ich mich, um nachzusehen. Alle Knochen taten mir weh. Es war das blaue Ford-Cabrio, und der junge Kerl war Matt.
Gleichgültig und mechanisch stellte ich fest, daß der Wagen das rechte Garagentor zerschmettert hatte und gegen die dahinterliegende Wand geprallt war. Der größte Teil der Windschutzscheibe lag in winzigen Splitterchen im Innern des Autos, aber in einer Ecke, die noch im Rahmen hing, sah ich ein fingergroßes Loch.
Matt hing mit baumelnden Armen über dem Lenkrad und hatte die Augen offen. Über der linken Augenbraue war der Schädelknochen eingedrückt, und an der Chromstrebe der Windschutzscheibe klebten Blut und Haare. Ich berührte ihn nicht. Nach einer Weile kehrte ich zu Walt zurück.
«Was machen wir jetzt?«fragte Sam Hengelman.
«Lassen Sie mich nachdenken.«
Er wartete, ohne ein Wort zu sagen. Ich überblickte den Hof. An der Einfahrt leuchteten immer noch zwei Scheinwerferpaare.
«Ist das Walts Wagen da drüben?«
«Ja. Er kam wie der Teufel herangeschossen, sprang aus dem Wagen und lief auf Sie zu…«
Ich drehte mich um und blickte in die dunkle Garage.
«Der Kerl muß die ganze Zeit hier gewesen sein und auf uns gewartet haben«, sagte Sani.»Der Wagen kam herausgeschossen und genau auf Sie zu. Ich konnte nichts machen, war zu weit weg. Walt stand schon halb auf dem Hof.«
Ich nickte. Matt hatte hier auf uns gewartet. Er war gar nicht in Las Vegas. Nicht auf der Straße — hier im Hinterhalt wartete er auf uns.
Auf der Straße hatte er uns nicht überholt, und sonst führte kein anderer Weg zu der Farm. Er mußte wohl lange vor uns zurückgefahren sein. Auf der Straße nach Las Vegas hatte er sicherlich kehrtgemacht und war durch Kingman zurückgekommen, während ich am Busbahnhof saß und auf mein Telefongespräch mit Walt wartete.
Aber warum? Warum war er zurückgekommen?
Er hatte nicht bemerkt, daß ich ihn verfolgte. Ich war viel zu weit hinter ihm. Und ich war auch wieder umgekehrt, als er die Schnellstraße erreicht hatte.
Das >Warum< spielte jetzt keine Rolle. Wichtig war nur, daß er hier auf uns gewartet hatte. Sam Hengelman blickte auf Walt hinunter und erkannte wohl, in welcher Klemme wir saßen.
«Was, zum Teufel, sollen wir jetzt machen?«
Ich holte tief Luft.»Holen Sie mir bitte Ihre Taschenlampe?«Er nickte und brachte sie herbei.
Ich ging hinüber zum Ford und schaute mich genauer um. Es war nicht viel Neues zu sehen, was ich nicht schon wußte. Nur eine Flasche Whisky war beim Aufprall zersplittert. Der Flaschenhals mit der ausgezackten oberen Hälfte der Flasche lag auf dem Boden rechts neben Matt, und mehrere kleinere Splitter schwammen in einer dunklen Flüssigkeit.