«Wo hat er das Pferd gefunden?«
«Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ist das wichtig?«
«Nein«, meinte er nachdenklich.»Wenn wir die Ware zurückbekommen, stellen wir keine Fragen. Nach diesem
Prinzip arbeiten alle Versicherungsgesellschaften.«
«In Ordnung«, sagte ich.»Seine Provision wird doch sicher an die Witwe ausbezahlt?«
«Äh — ja, natürlich. Walt hatte selbstverständlich bei uns auch eine Lebensversicherung. Ich bin sicher, daß Mrs. Prensela gut versorgt ist.«
Versorgt. Geld. Aber kein Walt. Kein Picknick.
Ich verabschiedete mich von Zeissen und ging langsam zu Lynnie zurück.
Als ich ihr sagte, daß Walt tot war, weinte sie.
Ich ging in Walts Zimmer und packte seine Sachen. Das gerahmte Foto von ihm und seiner Familie hielt ich lange Zeit in der Hand, dann legte ich es in meinen Koffer und nicht in seinen. Es war bestimmt nicht das einzige Foto, das sie besaß, und es machte ihr nichts aus, wenn sie es nicht mit dem Gepäck zurückerstattet bekam.
Eunice kehrte müde und zerstreut aus Santa Monica zurück. Nachdem sie den Schrecken über die Nachricht von Walts Tod verdaut hatte, zeigte sie sich wenig beeindruckt, als Lynnie ihr bei einem frühen Dinner mitteilte, sie wolle mit mir zusammen nach England zurückkehren.
«Es ist immer besser, wenn man auf einer Reise einen Mann bei sich hat, der sich um alles kümmert«, bemerkte Eunice geistesabwesend. Dann streifte sie mich mit einem durchdringenden Blick und fügte hinzu:»Aber laß dich auf keine Tricks ein.«
Lynnie seufzte:»Das versucht er doch nicht.«
«Na«, meinte sie und war nicht recht überzeugt. Dann fragte sie mich:»Werden Sie nach Ihrer Rückkehr mit Dave reden?«
Ich nickte.»Gleich nach der Landung.«
«Dann sagen Sie ihm bitte, daß ich in Santa Monica ein reizendes, kleines Geschäft gefunden habe. Die brauchen einen Partner mit ein wenig Kapital, um ein neues Zweiggeschäft zu eröffnen. Und wenn die Bücher stimmen, möchte ich gern einsteigen. Ich werde ihm natürlich alles schreiben, aber Sie können ihm erklären… Ich glaube, Sie können es ihm besser erklären als sonst jemand.«
«Ja, ich werde es ihm erklären.«
Eunice sagte, sie sei zu müde, um noch einmal mit uns nach Los Angeles zu fahren, so verabschiedeten wir uns in der Halle von ihr, und sie gab Lynnie und mir erstaunlich gerührt einen Kuß auf die Wange.
Als wir wegfuhren, meinte Lynnie:»Ich werde sie vermissen. Das ist doch seltsam. Ja, ich vermisse sie tatsächlich.«
«Sie werden wiederkommen.«
«Dann wird aber alles anders sein.«
Am Flughafen gab ich den Mietwagen zurück, und wir nahmen die Maschine nach Washington. Unterwegs holte ich einen Teil des in drei Nächten versäumten Schlafes nach. In Lexington sagte Lynnie, nun glaube sie allmählich auch, daß ich einen Wecker für die Zwischenlandungen brauche.
Wir fuhren mit einem Taxi zu Jeff Roots. Seine Tochter entführte Lynnie zum Schwimmen, und ich saß mit ihm unter seiner weinberankten Pergola und überlegte, wie kühl und sachlich er in seinem hellen, offenen Sonntagshemd wirkte.
«Sam Hengelman müßte eigentlich heute nachmittag oder am frühen Abend in Lexington ankommen«, sagte ich.»Er ruft Sie dann an, um Sie zu fragen, wohin er die Pferde bringen soll.«
Roots nickte.
«Es ist alles vorbereitet.«
«Würden Sie ihm etwas von mir bestellen?«
«Natürlich, gern.«
«Sagen Sie ihm nur, es ist alles okay. Ich hätte es gesagt.«
«Gut. Aber Sie sind hunderprozentig sicher, daß es sich wirklich um Showman und Allyx handelt?«
«Hundertprozentig. Es kann nicht der leiseste Zweifel bestehen.«
Er seufzte.»Dann werde ich mal die Identifizierung einleiten. Aber wer soll Showman nach zehn Jahren noch kennen? Ein Brauner ohne Merkmale… Und er war erst vier Jahre alt, als er aus England kam. «Er hielt inne, dann fuhr er fort:»Was sollen wir hinsichtlich Offen unternehmen? Eine Anzeige wegen Betrugs und Diebstahls?«
Ich schüttelte den Kopf.»Ich bin nicht bei der Polizei. Mich interessiert nicht die Bestrafung von Verbrechen, sondern ihre Verhinderung. «Ich lächelte.»Mein Auftrag lautete, die Pferde wiederzufinden, sonst nichts. Gut — sie sind wieder da. Ich habe meinen Auftrag erledigt, alles andere geht mich nichts an.«
Er betrachtete mich prüfend.»Dann soll Offen auch weiterhin die Deckgebühren kassieren?«
«Das wird er nicht können«, antwortete ich.»Jedenfalls nicht, wenn jemand das Gerücht in Umlauf setzt, daß sowohl Moviemaker als auch Centigrade von einem geheimnisvollen Virus befallen wurden, der mit Sicherheit ihre Zeugungskraft beeinträchtigt. Man kann die Besitzer von Stuten unter der Hand dahingehend beraten, daß sie Deckgebühren erst bezahlen, wenn die Fohlen ihre Qualitäten unter Beweis gestellt haben. Danach… Nun, Offen ist schließlich ganz legal der Besitzer von Moviemaker und Centigrade, und als solcher hat er ein Anrecht auf Deckgebühren, die die beiden Hengste tatsächlich verdienen.«
«Sie sind ein ungewöhnlicher Mensch«, sagte er.»Sie wollen also nicht, daß Offen hinter Gitter wandert?«
«Nicht unbedingt«, antwortete ich.
Für Offen war das Prestige beinahe wichtiger als sein
Einkommen. Er würde nun beides einbüßen. Und Yola — ohne Matt mußte sie hart arbeiten und wahrscheinlich das teure Haus am Pittsville Boulevard aufgeben. Da erschienen mir Gitter überflüssig.
Jeff Roots schüttelte den Kopf und gab es auf.»Ich bin sicher, daß wir Anzeige erstatten müssen. Ich werde mit unseren Rechtsanwälten darüber reden.«
Er rief seinen Hausboy und bestellte Whisky, aber dann seufzte er nur, als ich sagte, ich würde lieber mit ihm ein Glas von seinem geschmacklosen Sodawasser trinken.
Wir nippten an dem eiskalten, faden Getränk. Er meinte noch einmal, gegen Offen müsse Anzeige erstattet werden, und sei es nur, um damit zu begründen, warum Allyx und Showman so viele Jahre lang verschwunden waren und nun im Maul die falschen Tätowierungen trugen.
«Das kann ich schon verstehen«, sagte ich.»Es wird Ihnen aber sehr schwerfallen zu beweisen, daß die für Moviemaker und Centigrade gebuchten Stuten in Wirklichkeit von Showman oder Allyx gedeckt wurden. Ich habe weder Showman noch Allyx auf Offens Farm gefunden. Es wird auch kaum jemand bezeugen können, daß sie sich dort befanden. Offen wird es bestimmt abstreiten, und zwar bis zum bitteren Ende. Das ist seine einzige Hoffnung. «Ich hielt inne.»Ich konnte einige Bandaufnahmen bekommen, aber selbst wenn man die als Beweismaterial benutzen könnte, bieten sie leider kaum Anhaltspunkte. Offen hat Showman oder Allyx nie beim Namen genannt.«
Roots starrte düster vor sich hin.»Dadurch wird alles schwierig«, sagte er.»Im Grunde genommen sagen Sie damit doch folgendes: Wir wissen, daß Offen die Hengste vertauscht hat, aber wegen der Tätowierungen kann es niemand beweisen.«
Ich blickte hinüber, wie Lynnie zusammen mit Roots Tochter gerade ins Wasser sprang. Ihr fröhliches, sorgloses und sehr junges Lachen klang zu uns herüber.
«Ich würde das nicht versuchen«, sagte ich.»Ob zu Recht oder zu Unrecht, ich habe jedenfalls die gestohlenen Pferde ihrem Besitzer zurückgebracht, indem ich sie wieder stahl. Erstens sollte Offen keine Gelegenheit haben, sie zu töten; und zweitens wollte ich jahrelange Verzögerung vermeiden, die durch den Streit der Anwälte entstehen würde. In diesen Jahren wären die Hengste nutzlos gewesen, und ihr Wert wäre mit jedem Tag gesunken; drittens — und das ist beinahe am wichtigsten — sollte Offen keine Gelegenheit haben, sie zurückzubekommen, sobald einmal Gras über die Sache gewachsen war. Wenn er nämlich klug ist wird er schwören und auch Zeugen dafür beibringen, daß die beiden fraglichen Pferde wertlose Halbblüter ohne Rennerfahrung seien, und er wird die Tätowierungen im Maul damit erklären, daß er eine neue Farbe oder ein neues Verfahren ausprobieren wollte. Und was ist da einleuchtender, als daß er die Nummern seiner beiden besten Hengste nimmt. Das würde viel überzeugender klingen als die Behauptung, er hätte zwei weltberühmte Hengste gestohlen und mit ihnen einen großangelegten Schwindel aufgezogen. Der Mann kann sehr überzeugend wirken.«