— Das ist alles nicht wirklich, Satina. Das sind nur Illusionen. Nichts davon geschieht wirklich.
Ja, sagt sie, ja, ich weiß. Aber trotzdem vibriert sie vor Angst, ihre Muskeln zucken wahllos, ihr Gesicht ist stark gerötet und verschwitzt, ihre Augen flattern unter den Lidern. Der Traum geht weiter. Wieviel kann sie noch aushalten?
— Gib ihn mir, sagt er zu ihr. Gib mir den Traum.
Sie begreift nicht. Egal. Mookherji weiß, wie er es machen muß. Er ist so müde, daß die Erschöpfung unwichtig wird; irgendwo im Bereich jenseits des Zusammenbruchs entdeckt er unerwartete Kräfte, greift in ihre betäubte Seele und zieht die Halluzinationen heraus, als seien sie Spinnwebfäden. Sie überwältigen ihn. Nun erlebt er sie nicht mehr indirekt, nun sind alle Phantome in seinem Schädel freigelassen, und während er noch spürt, daß Satina sich entspannt, stemmt er sich gegen den Ansturm der Unwirklichkeit, den er zu sich eingeladen hat. Und er wird fertig damit. Er zieht das Übermaß an Irrationalem aus ihr und windet es um sein Bewußtsein, paßt sich an, lernt, mit der entsetzlichen Flut von Bildern zu leben. Er und Satina übernehmen gemeinsam, was kommt. Gemeinsam können sie die Belastung ertragen; er schleppt mehr als sie, aber sie leistet ihren Beitrag, und jetzt werden sie beide von der Parade der Schrecknisse nicht mehr überwältigt. Sie können über die Traum-Ungeheuer lachen, sie können sie sogar bewundern, weil sie so prachtvoll phantastisch sind. Diese Bestien mit hundert Köpfen, dieses Bündel lebendiger Kupferdrähte, diese Grube mit Drachen, diese wimmelnde Masse spitzer Zähne — wer fürchtet, was es nicht gibt?
Über dem Getümmel bizarrer Bilder schickt Mookherji einen klaren Gedanken hinaus, schiebt ihn durch Satina weiter:
— Kannst du die Alpträume abschalten?
— Nein, antwortet etwas. Sie sind in euch, nicht in mir. Ich liefere nur den Auslöser. Die Bilder erzeugt ihr.
— Gut. Wer bist du, und was willst du hier?
— Ich bin ein Vsiir.
— Ein was?
— Einheimische Lebensform des Planeten, wo ihr die Grünfeueräste holt. Durch meine eigene Nachlässigkeit bin ich zu eurem Planeten befördert worden. Die Botschaft wird begleitet von einer überwältigenden Traurigkeit, einem Gemisch von Pathos, Selbstmitleid, Unbehagen, Erschöpfung. Darüber strömten noch immer die Alptraumerscheinungen, aber jetzt sind sie bedeutungslos. Der Vsiir sagt: Ich möchte nur nach Hause geschickt werden. Ich wollte nicht hierherkommen.
Und das ist unser fremdes Monster? denkt Mookherji. Das ist unsere gräßliche Bestie von den Sternen?
— Warum verbreitest du Halluzinationen?
— Das war nicht meine Absicht. Ich habe nur versucht, geistigen Kontakt aufzunehmen. Vielleicht ist das ein Defekt im menschlichen Aufnahmevermögen — ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich bin so müde. Könnt ihr mir helfen?
— Wir schicken dich nach Hause, ja, verspricht Mookherji. Wo bist du? Kannst du dich mir zeigen? Erklär mir, wie ich dich finden kann, und ich verständige die Behörden im Raumflughafen, wo man dafür sorgen wird, daß du mit dem ersten Schiff heimgebracht wirst.
Zögern. Stille. Der Kontakt schwankt und zerreißt vielleicht.
— Also? sagt Mookherji nach einer Pause. Was ist los. Wo bist du?
— Wie kann ich euch trauen? Vielleicht wollt ihr mich nur vernichten. Wenn ich mich zeige —
Mookherji beißt sich vor Wut auf die Unterlippe. Seine Kraftreserven sind fast erschöpft; er kann den Kontakt kaum noch aufrechterhalten. Und wenn er jetzt noch eine Methode finden muß, ein argwöhnisches fremdes Wesen zur Übergabe zu überreden, geht ihm vielleicht die Kraft aus, bevor er das Ganze klären kann. Die Lage verlangt verzweifelte Maßnahmen.
Paß auf, Vsiir. Ich bin nicht stark genug, um noch lange reden zu können, und das Mädchen, das ich benutze, auch nicht. Ich lade dich in meinen Kopf ein. Ich gebe jede Abwehr auf. Wenn du sehen kannst, wer ich bin, schau genau hin und entscheide selbst, ob du mir trauen kannst. Danach hängt es von dir ab. Ich kann dir helfen, nach Hause zu kommen, aber nur, wenn du dich sofort zeigst. Er öffnet sich weit. Er steht seelisch nackt da.
Der Vsiir stürmt in Mookherjis Gehirn.
Eine Hand berührte Mookherjis Schulter. Er war blitzschnell wach, blinzelte, versuchte sich zurechtzufinden. Lee Nakadai stand vor ihm. Sie waren in — wo? — in Satina Ransoms Zimmer. Das blasse Morgenlicht drang durch das Fenster; er mußte nur ein paar Minuten eingeschlafen sein. Sein Kopf schien zerspringen zu wollen.
»Wir haben dich überall gesucht, Pete«, sagte Nakadai.
»Es ist gut«, murmelte Mookherji. »Es ist alles gut.« Er schüttelte den Kopf, um klarer denken zu können. Er erinnerte sich. Ja. Am Boden, neben Satinas Bett, hockte etwas von der Größe eines Frosches, aber in Form, Farbe und Stoff völlig anders als alle Frösche, die Mookherji je gesehen hatte. Er zeigte ihn Nakadai. »Das ist der Vsiir«, sagte er. »Das fremde Ungeheuer. Wir haben es dazu überredet, sich zu zeigen. Satina und ich haben Freundschaft mit ihm geschlossen. Hör zu, es fühlt sich hier nicht wohl. Würdest du sofort einen Beamten des Flughafens verständigen und ihm erklären, daß wir hier einen Organismus haben, der augenblicklich zu Nortons Stern zurückgebracht werden muß, und — «
»Sind Sie Doktor Mookherji?« fragte Satina.
»Richtig. Ich hätte mich eigentlich vorstellen sollen, als ich — du bist wach!«
»Es ist Morgen, nicht wahr?« Das Mädchen setzte sich auf und lachte. »Sie sind jünger, als ich dachte. Und so ernst. Und Ihre Hautfarbe finde ich herrlich. Ich — «
»Du bist wach?«
»Ich hatte einen schlimmen Traum«, sagte sie. »Oder vielleicht einen schlimmen Traum in einem schlimmen Traum — ich weiß es nicht. Was es auch gewesen sein mag, es war furchtbar, aber als es aufhörte, fühlte ich mich so unendlich viel wohler — ich hatte einfach das Gefühl, wenn ich weiterschliefe, würde ich viele schöne Dinge versäumen. Ich mußte einfach aufstehen und sehen, was in der Welt geschieht — verstehen Sie das, Doktor?«
Mookherji bemerkte, daß seine Knie zitterten.
»Schocktherapie«, murmelte er. »Wir haben sie aus dem Koma gesprengt — ohne überhaupt zu wissen, was wir taten.« Er ging auf das Bett zu. »Hör zu, Satina, ich bin seit ungefähr tausend Jahren wach und werde gleich umkippen. Und ich habe hunderttausend Dinge mit dir zu besprechen, nur nicht jetzt. Okay? Nicht jetzt. Ich schicke dir Doktor Bailey — das ist mein Chef —, und wenn ich geschlafen habe, komme ich wieder, dann bereden wir alles, ja? Sagen wir, heute abend gegen fünf oder sechs Uhr. Einverstanden?«
»Natürlich bin ich einverstanden«, sagte Satina lächelnd. »Wenn Sie glauben, daß Sie wirklich gehen müssen, gerade, wenn ich — sicher. Gehen Sie. Gehen Sie nur. Sie sehen schrecklich müde aus, Doktor.«