Jede Freundlichkeit war aus seiner Stimme und aus seinen Zügen verschwunden. Seine Augen hatten sich umwölkt. Das angespannte Gesicht wirkte so rasiermesserscharf wie die Stimme.
»Letzte Nacht hätte das Feuer ganz Chinatown zerstört, wäre der Plan nicht an die Feuerwehr verraten worden. Der Wind stand günstig. Aber viel mehr wäre nicht passiert. Heute nacht aber ist es anders. Das hat Bremers Spatzenhirn nicht bedacht. Der Wind treibt das Feuer durch die ganze Stadt. Auch der Portsmouth Square ist in Gefahr. Was nützt mir die Kontrolle über ganz Frisco, wenn die Stadt nur noch ein Haufen Schutt und Asche ist?«
Black blieb keine Gelegenheit zur einer Antwort. Busters spitzer Stiefel trat ihn in die Seite und warf ihn herum. Ein zweiter Tritt des Schwarzen traf die Nieren des Weißen. Gequält stöhnte Black auf.
»Wer wird denn so wehleidig sein?« fragte der Hai mit einem höhnischen Unterton. »Sie hätten es vorhin doch mit Bremer genauso gemacht, hätte der nicht seinen Revolver gezogen!«
Der Revolver!
Der Gedanke, den Black in seinem Büro gehabt hatte, schob sich wieder in den Vordergrund. Wenn es ihm gelang, den Hai zu töten, wäre alles anders. Schließlich steckte in einer Tasche seines Rocks ein sechsschüssiger James Warner Pocket-Revolver.
Aber Buster!
Der Schwarze würde nicht tatenlos mit ansehen, wie Black seinen Herrn niederknallte. Also mußte er auch mit Buster fertigwerden.
Verdammt, nicht so zögerlich, Henry Black! spornte er sich in Gedanken an. Wenn du früher auch so ängstlich gewesen wärst, hättest du es niemals zu Reichtum und zum Golden Crown gebracht. Ohne Risiko kein Gewinn!
Ja, er würde es tun!
Black täuschte ein lautes Stöhnen vor, um die beiden anderen abzulenken. Dabei tat er so, als wälze er sich vor Schmerz auf dem Boden herum.
In Wahrheit wollte er nur auf die linke Seite zu liegen kommen, um den rechts steckenden Taschenrevolver herausziehen zu können. Schon schlossen sich seine Finger um den kühlen, beruhigenden Griff mit der Elfenbeinverschalung.
Nur noch wenige Sekunden. Doch bevor er die rechte Hand mit dem Warner-Revolver herausziehen konnte, fuhr ein stechender Schmerz durch den Unterarm.
Busters Fuß drückte den Arm auf den Fußboden.
Black konnte ihn nicht mehr bewegen. Trotz aller Anstrengung, die Tränen in seine Augen trieb.
Als der Fuß endlich losließ, geschah das nur, um Black einen heftigen Tritt gegen den Kopf zu versetzen.
Für Sekunden sah der massige Geschäftsmann nur Dunkelheit und in ihr tanzende Sterne.
Als er wieder klar sehen konnte, hielt Buster den Warner in der Rechten, hatte den Hahn gespannt und zielte mit der Waffe auf ihren Besitzer.
Black war elend zumute. Fast noch schlimmer als die Lebensgefahr, in der er schwebte, empfand er die Demütigung, dem Hai ein weiteres Mal unterlegen zu sein. Das letzte -entscheidende - Mal?
»Henry, was soll ich nur mit Ihnen machen?« fragte der Hai in gespielter Verzweiflung, nachdem der die Zigarre aus dem Mundwinkel genommen und einen großen Rauchkringel zur hohen Decke hinauf geblasen hatte. »Sie umbringen? Wie Sie es mit mir tun wollten?«
Black wartete darauf, daß der schwarze Zeigefinger von Busters rechter Hand sich um den Abzug krümmte. Daß der Hahn nach vorn schlug. Daß die Kugel, begleitet von einer Feuerzunge, aus dem schwarzen Lauf schoß und ihn mit einem harten, sein Leben auslöschenden Schlag traf.
Aber nichts davon geschah. Unbeweglich wie eine Statue stand der große Schwarze über ihm und bedrohte ihn mit dem Warner. Der Hai schien tatsächlich auf eine Antwort zu warten.
»Ich. ich wollte Sie doch nicht töten«, sagte Black hastig und haßte sich selbst für diese Worte und für ihren entschuldigenden, unterwürfigen Ton.
Er hatte den Hai ein für allemal erledigen wollen, und jetzt machte er sich wieder zu seinem Sklaven.
Ja, im Grunde war er nichts anderes als ein Negersklave. Nur mußte Black nicht unter sengender Sonne Baumwolle pflücken, und er konnte ein Leben in Luxus führen. Aber ein Leben, über das ein anderer bestimmte.
»Was wollten Sie dann mit dem Revolver?« hakte der Mann hinter dem Schreibtisch nach und zog an seiner Zigarre. »Ein paar Löcher in die Wand schießen, weil Ihnen die Luft hier drin zu stickig ist?«
»Es war unüberlegt«, stammelte Black, der in reichlicher unbequemer Haltung auf dem Boden lag.
Aber er wagte nicht, sich zu bewegen. Er wollte Buster zu keiner unüberlegten Handlung verleiten. Nicht zu einem Krümmen des Zeigefingers und auch nicht zu einem neuen schmerzhaften Tritt.
»Ich war verwirrt, als der.« Black hätte fast >Nigger< gesagt, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. »Als Buster über mich herfiel. Ich dachte, er wollte mich umbringen. Nur deshalb habe ich zur Waffe gegriffen.«
Der Hai hielt die Zigarre in der Rechten und starrte den Mann auf dem Boden ein, zwei Minuten prüfend an.
Schließlich fragte er: »Soll ich Ihnen das glauben, Henry?«
»Sie müssen!«
Blacks Stimme zitterte. Er schämte sich dafür, konnte aber nichts dagegen tun. Das Wissen, daß diese Sekunden für ihn die Entscheidung über Leben und Tod brachten, kostete ihn die letzten Nerven.
»Ich muß gar nichts«, belehrte ihn der Hai. »Ich habe die Wahl. Ich kann Sie am Leben lassen und trage damit das Risiko, daß Sie mir in den Rücken fallen. Ich kann Sie aber auch töten und damit sichergehen, daß mir nicht von meinem eigenen Adjutanten Gefahr droht.«
Ein >Adjutant< war Black also für den Hai. Wenn Black es recht überlegte, war die Bezeichnung ziemlich zutreffend. Ein Adjutant sorgte für die Ausführung der Befehle eines kommandierenden Offiziers.
Genauso verhielt es sich. Der Hai traf die Entscheidungen, und nur nach außen hin trat Black als der Mann auf, der die Macht besaß.
Eigentlich ein ziemlich würdeloses Dasein. Aber im Augenblick erschien es dem Mann auf dem Boden überaus erstrebenswert, geradezu verlockend angesichts der Alternative - dem Tod!
»Ihnen droht von mir keine Gefahr«, versicherte Black.
»Worte sind kein Beweis, Henry.«
»Wenn ich es Ihnen doch nur beweisen könnte«, seufzte kläglich der vor Angst schwitzende Geschäftsmann.
»Wissen Sie, wie es die Schlitzaugen machen, Henry?«
Die Frage des Hais verwirrte Black, der nicht wußte, worauf der Mann hinter dem Schreibtisch hinauswollte.
»Die Chinesen?« fragte er deshalb. »Was meinen Sie?«
»Nein, nicht die Chinesen. Ich reden von den anderen, den Japanern. Wissen Sie, wodurch sie ihrem Herrn die Treue beweisen, wenn sie einen Fehler gemacht haben?« »Nein«, lautete Blacks ehrliche Antwort. »Mit den Japanern kenne ich mich nicht aus.«
Zwar gab es auch ein japanisches Viertel in San Francisco, aber ihm kam längst nicht die Bedeutung von Chinatown zu.
»Das ist eine Wissenslücke, Henry«, belehrte ihn der Hai.
Sein Tonfall war jetzt nicht mehr schneidend scharf, sondern hatte etwas Dozierendes an sich. Black kam sich vor wie in der Schule.
»Man kann von anderen Kulturen eine Menge lernen«, erklärte der Hai. »Die Japaner zum Beispiel beweisen ihre Treue, indem sie sich zur Wiedergutmachung eines Fehlers ein Fingerglied abschneiden. Wie finden Sie das, Henry?«
»Barbarisch«, würgte der Mann auf dem Boden.
Er hatte die Absicht des Hais erkannt und spürte in sich einen starken Drang, sich auf der Stelle zu übergeben.
»Ich sehe das anders, Henry. Ist es nicht eine hübsche Geste? Und mehr als das, das fehlende Fingerglied erinnert den Betreffenden stets daran, in Zukunft sorgfältiger zu sein.«
Nach einer kurzen Pause und einem weiteren Rauchkringel befahl der Hai:
»Stehen Sie doch endlich auf, Henry! Wie Sie da am Fußboden herumkrauchen, das ist barbarisch.«
Zögernd, am ganzen Körper zitternd, befolgte Black den Befehl. Seine Augen wanderten unablässig zwischen dem Hai und dessen dunkelhäutigem Vollstrecker hin und her. Black rechnete mit einer perfiden Falle.