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Black erwiderte nichts. Wenn der Hai einen Wutanfall hatte, hielt man sich besser zurück.

Der Mann hinter dem Schreibtisch beruhigte sich schnell wieder und sagte mit der für ihn typischen geschäftsmäßigen Höflichkeit: »Danke, Henry. Halten Sie weiterhin die Augen offen! Ich will über alles sofort unterrichtet werden, was in dieser Nacht geschieht.«

»Natürlich.«

»Bringen Sie die Chinesin zu mir!« verlangte der Hai. »Ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich mich eingehend mit Miß Wang befasse.«

*

»Sie sollten da nicht allein hineingehen, Mr. Adler«, sagte Lieutenant Wannaker mit Blick auf das Golden Crown, das verschwommen hinter dem Regenschleier lag. »Wenn es tatsächlich das Hauptquartier des Hais ist, haben Sie schlechte Karten. Wie man hört, ist der Hai mit allen Wassern des Pazifiks und sonstiger Ozeane gewaschen.«

»Wer ist das nicht in dieser Nacht«, seufzte Jacob und blickte hinauf in den Himmel, der das Wasser noch immer wie aus Kübeln niedergehen ließ.

Die Schwärze der Nacht hatte sich zu einem tiefen Blau verändert. Die Sterne, soweit sie überhaupt zwischen den großen Wolken durchschimmerten, wirkten seltsam blaß: Das erste Anzeichen des hereinbrechenden Morgens.

Nach der brennenden Hölle, die die letzte Nacht gewesen war, erwarteten ihn die Bewohner San Franciscos so sehnsüchtig, wie sie vielleicht noch nie einem anbrechenden Tag entgegengesehen hatten.

»Ich verkenne das Risiko keineswegs«, fuhr der Auswanderer fort. »Aber ich muß es tun, für Miß Wang!«

»Ihnen liegt sehr viel an der jungen Dame, wie?«

»Was soll das heißen?« entgegnete Jacob schroff.

»Mißverstehen Sie mich nicht«, bat der junge Offizier. »Ich habe nichts gegen Chinesen. Ich versuche nur zu ergründen, weshalb Sie unbedingt allein in die Höhle des Löwen - oder des Hais - wollen.«

»Ja, mir liegt sehr viel an Wang Shu-hsien«, nickte Jacob. »An ihr und an zwei anderen Menschen, die vermutlich ebenfalls in diesem Haus Gefangene des Hais sind.«

»Diese Miß Sommer und ihr kleiner Sohn«, meinte der Lieutenant, der von Jacob ins Bild gesetzt worden war.

»Richtig. Für sie alle muß ich es wagen.«

»Aber wenn man Sie faßt, ist der Hai gewarnt. Unser Angriff würde dann keine Überraschung mehr sein.«

»Das wäre er unter keinen Umständen, Lieutenant. Wenn Sie mit den vierzig Mann, die Sie hier versammelt haben, das Golden Crown stürmen, geht das nicht ohne Lärm und Aufsehen ab. Der Hai wüßte Bescheid, ehe auch nur einer Ihrer Soldaten einen Fuß über seine Schwelle gesetzt hat.«

Wannaker blickte sich um. Hinter ihm kauerte ein Dutzend Soldaten in der schmalen Gasse. Aus dem Himmel und von den Dächern ergoß sich Wasser auf ihre Käppis und Umhänge, unter denen sie schützend die Gewehre verbargen. Drei weitere Gruppen unter dem Kommando von Unteroffizieren waren rund um das Golden Crown am ungewohnt menschenleeren Portsmouth Square verteilt.

Der Lieutenant kam zu dem Schluß, daß Jacob Adler recht hatte. Diese Männer hier waren Soldaten, keine im lautlosen Anschleichen geübten Pfadfinder oder Indianer. Sie würden Lärm machen, und sie würden auffallen. Es würde zu einer Schießerei kommen. Damit wäre der Hai gewarnt - und die Geiseln schwebten in Gefahr.

»All right«, sagte Wannaker. »Sie bekommen Ihre Chance, Mr. Adler. Ich weiß, daß es bei Ihnen Mut ist, keine Dummheit. Und vor Mut habe ich die größte Hochachtung. Wir warten hier, bis wir ein Zeichen von Ihnen erhalten oder bis die Vorgänge im Golden Crown mir ein Eingreifen geraten erscheinen lassen.«

»Danke, Lieutenant«, atmete Jacob auf.

»Und Sie glauben, daß Sie ungehindert hineinkommen? Wenn der Hai noch dort ist, wird er alle Eingänge bewachen lassen.«

»Von Miß Wang weiß ich, wo das Wohngebäude der Chinesen liegt, die für den Hai arbeiten. Ziemlich weit abseits auf dem Hof. Die Chinesen stehen auf unserer Seite, sonst hätten sie Eli und mich nicht befreit. Ich werde versuchen, zu ihnen durchzukommen. Dann sehe ich weiter.«

»Viel Glück!« wünschte der Offizier und streckte die Rechte aus.

Jacob ergriff die Hand und drückte sie.

Dann lief er hinaus auf den Portsmouth Square. Er rannte schnell und in gebückter Haltung über den Platz.

Eine ganze Abteilung Soldaten wäre möglichen Beobachtern im Golden Crown sicher aufgefallen. Aber ein Mann allein hatte in dieser finsteren Nacht die Möglichkeit durchzukommen.

Deshalb hatte Jacob darauf gedrungen, den Angriff auf das Hauptquartier des Hais möglichst rasch durchzuführen, solange es noch dunkel war.

Er versuchte gar nicht erst, den Hinterhof über die große Wageneinfahrt zu erreichen. Wenn der Hai sein Hauptquartier bewachen ließ, standen dort mit Sicherheit Wächter.

Also tauchte der junge Deutsche in eine schmale Gasse ein. Sie führte an einem stabilen, etwa zehn Fuß hohen Lattenzaun entlang, der das Gelände des Golden Crown begrenzte.

Bei der großen Regentonne, die zu einem Nachbargebäude gehörte blieb er stehen.

In dieser Nacht war die Tonne sinnlos. Auf der ganzen Breite der hoffnungslos überlaufenden Dachrinne quoll das Wasser hervor, wie es auch aus der übervollen Tonne lief.

Der große muskulöse Mann stemmte sich gegen die Tonne und warf sie um. Ihr Inhalt ergoß sich auf den aufgeweichten Boden und weichte ihn noch mehr auf. Jetzt war die Tonne leicht genug, daß der Auswanderer sie mühelos umdrehen und an den Lattenzaun stellen konnte.

Er holte noch einmal tief Atem. Daß er dadurch etwas länger im Regen stand, machte keinen Unterschied. Die frische Kleidung - Jacke, Hemd, Hose, Unterwäsche und abgetragene, aber heile Lederstiefel -, die er im Hotel Santa Rosa erhalten hatte, war längst vollkommen durchnäßt.

Auf einen Hut oder eine Mütze hatte er verzichtet. Auch eine Kopfbedeckung hätte den Wassermassen nicht lange widerstanden.

Jacobs sandfarbenes Haar klebte in nassen Strähnen an seinem Kopf. Eine der Strähnen bedeckte den goldenen Ring in seinem rechten Ohr, das Zeichen der Zimmermannszunft.

Wichtig war, daß seine Waffen durch das Wasser keinen Schaden nahmen.

Jeden der beiden erbeuteten Revolver hatte er in ein Stück Ölhaut eingeschlagen. Einer steckte in der rechten, der andere in der linken Jackentasche.

Außerdem trug er das Messer bei sich, das die Spitze von Elihus behelfsmäßiger Harpune gebildet hatte. Es steckte im Schaft seines rechten Stiefels.

Der junge Deutsche stieg auf die umgedrehte Regentonne und konnte mit den Händen ums obere Ende des Lattenzauns greifen. Noch einmal holte er tief Luft. Dann zog er sich hoch, bis er mit dem halben Oberkörper über dem Zaun hing.

Sofort blickte er sich nach allen Seiten um. Er sah keinen Menschen.

Was nicht heißen mußte, daß niemand da war. Aber der schwere Regen und die Dunkelheit begrenzten das Sichtfeld. Das große Tor war ebenso ein verschwommener Fleck wie die meisten Gebäude.

»Dann mal los«, sagte der Mann auf dem Zaun im Flüsterton zu sich selbst. »Auf zur fröhlichen Haifischjagd!«

Er schwang die Beine über den Zaun, um sich in den Hof hinunterzulassen.

Doch der Regen, der den hölzernen Zaun glitschig gemacht hatte, spielte ihm einen Streich. Seine Finger rutschten ab, und der Auswanderer verlor den Halt.

Ein schmerzhaftes Stechen zog durch seinen rechten Fuß, mit dem er unglücklich aufkam. Jacob knickte ein und fiel in den Schlamm, was in dieser Nacht für ihn fast schon zur Gewohnheit geworden war.

Viel mehr Sorgen bereitete ihm das Stechen im Fuß, das nicht nachließ. Ein Mann allein gegen den Hai und seine Bande war schon kein sehr aussichtsreiches Unternehmen. Aber dann noch ein Mann, der nicht mal richtig laufen konnte?