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»Kann Wei Chou mit der Armbrust gut genug umgehen, um uns nicht zu verraten?« äußerte der Auswanderer gegenüber Li Fu seine Zweifel.

»Er kann sehr gut damit umgehen. Die Armbrust ist besser als ein Revolver. Sie macht keinen Lärm.«

»Trotzdem«, murmelte Jacob skeptisch. »Ich habe so ein Ding mit gleich drei Bolzen noch nie gesehen.«

»Drei Bolzen sind gut. Wei Chou kann dreimal hintereinander schießen. Selbst wenn er einen Fehlschuß tut, was ich nicht glaube, wird er die beiden Männer erledigen.« Li Fu blickte Jacob ein wenig böse an. »Schon zu der Zeit, als euer Herr Jesus Christus geboren wurde, kannten meine Vorfahren die mehrschüssige Armbrust.«

Jacob seufzte ergeben. Ihm blieb nichts anderes übrig als zu hoffen, daß Li Fu kein Angeber war.

Die vier zurückgebliebenen Chinesen und der Deutsche duckten sich in den Schatten eines Geräteschuppens und starrten zu dem Vorbau hinüber. Sie sahen drei Gestalten.

Die beiden Wächter standen eng beieinander unter dem schräg abflachenden Dach. Beide rauchten jetzt. Zwei glühende Punkte schwebten in Kopfhöhe und tanzten kurz, wenn einer der Männer eine heftige Bewegung machte.

Die dritte Gestalt war Wei Chou. Fünfzehn Yards von den beiden entfernt ging er in die Knie.

Die Beobachter sahen ihn nur von hinten. Jacob stellte sich vor, wie er die Armbrust spannte und anlegte.

Da hörte er auch schon ein leises Sirren, durch den Regen kaum wahrnehmbar. Ein schnell erstickendes Röcheln folgte, einer der glühenden Punkte fiel zu Boden, dann ein dumpfer Aufschlag. Er war noch nicht verklungen, als sich das Ganze wiederholte.

»Weiter!« zischte Li Fu.

Täuschte sich Jacob, oder warf ihm der Chinese einen triumphierenden Blick zu?

Als sie zu dem Vordach kamen, kniete Wei Chou schon neben den Wächtern. Er hatte die abgeschossenen Bolzen wieder an sich genommen.

Jetzt hielt er ein Messer mit blutiger Klinge in der Hand. Er hatte beiden Männern die Kehle durchgeschnitten.

»Die verraten uns nicht mehr«, sagte er mit grimmiger Befriedigung.

Jacob schluckte. Er war nicht einverstanden damit, wie die Chinesen vorgingen. Einen Menschen zu töten, wenn es nicht unbedingt notwendig war, war mit seinem Gewissen nicht vereinbar. Aber hier konnte er nichts mehr tun. Außerdem gaben bei dieser Aktion die Chinesen den Ton an.

Es war wirklich eine Nacht des Todes. Auf den nächsten Leichnam stießen sie, kaum daß sie das Haus betreten hatten. Er lag einfach auf dem Gang, als hätte ihn jemand wie einen Sack Kartoffeln dort liegen gelassen.

»Das ist Bremer!« stieß Jacob überrascht hervor, als er das spitze Rattengesicht erkannte.

Der Gangster hatte eine Schußwunde im Rücken. Eine große Lache geronnenen Blutes bedeckte den Fußboden.

»Jemand hat uns die Arbeit abgenommen«, meinte Li Fu ohne ein erkennbares Gefühl.

»Oder die Ratten sind so sehr in Panik, daß sie sich gegenseitig umbringen«, erwiderte Jacob.

»Kann auch sein«, meinte Li Fu. »Hauptsache, er ist tot.«

Sie liefen weiter durch Gänge, die fast ausnahmslos mit großen Spiegeln versehen waren. Selbst in Bereichen, die nur für das Personal bestimmt waren. Das Golden Crown mußte wirklich viel Geld abwerfen, daß es so prunkvoll ausgestattet war.

Die Männer erreichten die große Treppe, die nach Li Fus Worten bis zur Krone führte. Auch hier wimmelte es geradezu von Spiegeln. In einem nahm Jacob eine Bewegung war: ein Schatten, der hinter der Gruppe aufgetaucht war.

Er fuhr herum und sah einen stoppelbärtigen Mann, der ebenso überrascht dreinsah wie der Auswanderer. Er trug lässig einen Karabiner am langen Arm. Einer der Männer des Hais.

Als der Gangster erkannte, daß die Männer am unteren Ende der Treppe nicht zu seinen Leuten gehörte, riß er die Waffe hoch.

Gleichzeitig brachte Wei Chou die Armbrust in den Schulteranschlag und drückte auf den Abzug. Die Sehne riß den Bolzen nach vorn. Der kleine Pfeil zischte durch die Luft, und die Eisenspitze bohrte sich in den Hals des Gangsters.

Der Getroffene brachte keinen Laut hervor. Mit weit aufgerissenen Augen sackte er zu Boden.

Als sein Karabiner hinfiel, löste sich der Schuß. Die Kugel richtete keinen Schaden an, sie klatschte in die Treppenverschalung und blieb dort stecken. Gefährlicher für Jacob und seine Begleiter war die Detonation.

Jetzt waren der Hai und seine Männer gewarnt!

*

Shu-hsien war der Ohnmacht nahe. Aber die Männer, die sie quälten, wollten kein ohnmächtiges Opfer. Sie wollten Antworten von der Frau. Und wenn sie schon keine Antworten erhielten, wollten sie die an den Lederschlaufen hängende Chinesin wenigstens leiden sehen.

Also schaffte Buster auf Befehl des Hais einen Eimer Wasser heran, den er über die Gefangene ausgoß. Eiskaltes Wasser. Kälte, die weh tat.

Trotzdem war die Kälte ihr in gewisser Weise willkommen. Sie lenkte Shu-hsien vom brennenden Schmerz der blutigen Striemen auf ihrem Körper ab.

Nicht für lange. Dann schwang Cyrus Stanford wieder die Peitsche. Seine tief in den Höhlen liegenden Augen verfolgten jedes schmerzhafte Zucken des fast nackten Körpers mit sadistischer Freude.

Immer wieder stellte der Mann hinter dem Schreibtisch dieselben Fragen: »Was wissen die Behörden über den Hai von Frisco?«

»Was hast du deinen Landsleuten in Chinatown verraten?«

»Wie weit ist Jacob Adler über mich unterrichtet?«

Aber die einzigen Laute, die über Shu-hsiens Lippen kamen, bestanden aus ihrem qualvollen Stöhnen. Das besänftigte die Folterer nicht, spornte sie eher zur Fortsetzung ihrer Grausamkeiten an.

Mit jeder Sekunde haßte Shu-hsien diese Männer mehr. Daraus wurde ein Haß auf alle, die nicht Shu-hsiens Hautfarbe hatten. War es das nicht, worauf es hinauslief? Weiße gegen Chinesen! Weil sie sich einfach nicht vertrugen.

Plötzlich drang eine Detonation in die Welt ein, die für Shu-hsien nur noch aus Fragen, Schmerzen und Haß bestand. Stanford hörte mit dem Schlagen auf.

»Das war ein Schuß!« sagte ein alarmierter Henry Black.

Die Männer spitzten die Ohren. Bald hörten sie weitere Schüsse und Schreie.

»Henry, Stanford, seht nach!« schnarrte der Hai.

Die beiden Angesprochenen verließen den Raum mit gezogenen Revolvern.

*

Die fünfzehn Minuten waren noch längst nicht verstrichen, als die Schüsse über den Portsmouth Square hallten. Obwohl sie möglicherweise etwas Schlimmes bedeuteten, empfand Lieutenant Wannaker sie als Erlösung.

Er sprang auf, zog seinen Army Colt und rief: »Vorwärts, Männer, zum Angriff!«

Der Offizier lief auf den großen Platz hinaus. Seine Abteilung folgte ihm, die zuvor unter den Umhängen verborgenen Gewehre im Anschlag.

Weitere Abteilungen stürmten aus anderen Gassen auf das Gelände des Golden Crown zu, eine direkt zur Hofeinfahrt.

Das Abwehrfeuer, das den Soldaten entgegenschlug, war erstaunlich schwach. Offenbar hielten sich weniger Männer im Golden Crown auf, als Wannaker gedacht hatte. Vielleicht verwirrte die Verteidiger auch die Vielzahl der Angreifer: mehrere Abteilungen Soldaten von draußen und dann noch die Gegner drinnen, wer immer auch in Jacob Adlers Begleitung sein mochte.

Nur ein Mann aus Wannakers Abteilung sank verwundet in den Schlamm. Dann erreichten seine Männer das große Portal an der Vorderseite des Vergnügungspalastes.

Daß es verschlossen war, hielt die Soldaten nicht lange auf. Kräftige Axthiebe machten den Weg frei.

Wannaker drang als erster ins Golden Crown ein und war gespannt auf das, was er dort vorfinden würde.

*

Als Jacob und die Chinesen das erste Stockwerk erreichten, tauchten drei Gangster vor ihnen auf und eröffneten das Feuer.

Ein Chinese, der mit einem Nunchaku bewaffnet war, wurde in den Kopf getroffen. Er fiel die Treppe bis nach unten.

Wei Chou erledigte einen Gegner mit seiner Armbrust.