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Li Fu schleuderte ein Messer, das dem zweiten Gangster in die Brust fuhr.

Den dritten Mann erwischten zwei Kugeln aus Jacobs Revolver.

Die Angreifer liefen weiter nach oben und sahen das oberste Stockwerk schon vor sich, als ihnen erneut Kugeln um die Ohren flogen. Zwei Männer knieten dort oben: Cyrus Stanford und eine große korpulente Gestalt, die Li Fu als Henry Black identifizierte.

Dann traf eine Kugel den Chinesen mit der pfeilförmigen Narbe, und er sank neben dem Auswanderer zusammen.

»Fahr zur Hölle, Schlitzauge!« kreischte Stanford und zielte erneut mit seinem Revolver. »Und du auch, Adler!«

*

Kaum hatten Black und Stanford das Büro verlassen, durchquerte Buster mit eiligen Schritten den Raum und zog an einer von der Decke hängenden Kordel.

Der Hai schwenkte seinen Drehstuhl herum und sah in die Richtung, wo ein Vorhang zur Seite glitt und den Blick auf die langen Reihen kleiner Spiegel freigab.

Durch ein kompliziertes System vieler Verbindungsspiegel wurden die Bilder der überall im Haus angebrachten Spiegel auf die Überwachungsspiegel hier oben geworfen.

Jetzt kannte Shu-hsien das Geheimnis der scheinbaren Allwissenheit des Hais. Fraglich war nur, ob ihr das noch etwas nutzte.

Auf den Spiegeln zeichnete sich in zwar verzerrter, aber noch hinreichend deutlicher Weise ab, was im Haus geschah. Man sah den Kampf auf der Treppe und die blauuniformierten Soldaten, die von überall in den Vergnügungspalast eindrangen.

»Das Golden Crown ist nicht mehr zu halten«, stellte der Hai nüchtern fest. »Wir setzen uns ab.«

Als sich Buster zu der Gefangenen umdrehte, hielt er etwas Metallisches in der Rechten.

Ein Revolver!

Dann sah Shu-hsien auch schon die Stichflamme, die ihr entgegenzüngelte.

Ein ungeheuer starker Schlag traf ihren Kopf, gefolgt von rasenden Schmerzen.

Gnädige Finsternis nahm der Chinesin jedes Gefühl und damit auch den Schmerz.

*

Als Jacob sah, wie Cyrus Stanford auf ihn anlegte, warf er sich zur Seite. Gleichzeitig schoß er die Trommel des Revolvers leer. Achtlos ließ er die Waffe fallen. Er hatte ja noch einen zweiten Revolver bei sich.

Aber den benötigte er nicht mehr. Jedenfalls nicht im Kampf gegen Stanford.

Der sadistische Steuermann fiel die Treppe herunter und blieb dicht bei dem Auswanderer liegen. Stanfords Hand umklammerte noch den Revolver, aber seine tiefliegenden Augen blickten starr und gläsern - tot.

Im Gürtel des Seemannes steckte die unvermeidliche Peitsche. Entsetzen packte Jacob, als er das Blut an der Lederschnur bemerkte. Er fuhr mit dem Finger darüber. Sein Finger war rot. Es war frisches Blut!

Auch Henry Black wehrte sich nicht mehr. Er lag seitlich auf dem obersten Treppenabsatz und blutete aus einer Brustwunde. Ein von Wei Chou abgeschossener Bolzen war ihm tief ins Fleisch gedrungen. Der korpulente Mann lebte noch, atmete aber nur flach.

Li Fu hatte weniger Glück gehabt. Stanfords Kugel hatte sein Leben ausgelöscht.

Oben zückte Wei Chou sein Messer und beugte sich über den reglosen Geschäftsführer.

Jacob riß den Chinesen zurück und sagte: »Nicht, Wei Chou. Diese Nacht hat schon zu viele Tote gesehen. Außerdem könnte Black ein wichtiger Zeuge gegen den Hai werden.«

Nach kurzem Zögern signalisierte der Chinese durch ein kurzes Nicken sein Einverständnis.

Ein Schuß ließ Jacob und die drei übriggebliebenen Chinesen aufhorchen. Zwar wurde auch an anderen Stellen im Haus geschossen, wo die Soldaten auf Widerstand trafen. Aber dieser Schuß kam ganz aus der Nähe. Er mußte hinter einer der Türen gefallen sein, die Jacob auf dem Gang sah.

Sofort hatte der Auswanderer das Gefühl, daß dieser Schuß nichts Gutes für die Gefangenen des Hais zu bedeuten hatte.

»Wißt ihr, aus welcher Tür Black und Stanford gekommen sind?« fragte er hastig die Chinesen.

Ein mit einem langen Stock, einem Bo, bewaffneter Mann zeigte auf eine Tür zur Linken.

»Die dort war es, glaube ich.«

»Dann los!« stieß Jacob gepreßt hervor und rannte auch schon zu der bezeichneten Tür.

Er sprengte sie mit einem Fußtritt auf und stieß den Revolver vor.

Aber er sah nur einen Menschen in dem Raum, der bestimmt keine Gefahr für ihn und seine Begleiter darstellte.

Shu-hsien hing an zweien der überall angebrachten Lederschlaufen. Sie war fast nackt, ihr schöner Körper mit häßlichen Striemen übersät. Jetzt wußte er, woher das Blut an Stanfords Peitsche stammte.

Die Chinesin rührte sich nicht. Ihr blutüberströmter Kopf hin schlaff zur Seite, die Augen waren geschlossen.

»Der Schuß«, murmelte er traurig. »Er hat Shu-hsien gegolten.«

Wei Chou untersuchte die Kopfwunde näher und sagte erregt: »Es ist nur ein Streifschuß. Shu-hsien hat das Bewußtsein verloren, aber sie lebt!«

Der Chinese hatte noch nicht ausgesprochen, da zog Jacob schon das Messer aus dem Stiefelschaft und schnitt die Frau von den Riemen. Er und Wei Chou betteten sie auf eine Ledercouch.

Der Mann mit dem Bo hatte den Raum untersucht und rief jetzt aufgeregt seine Begleiter herbei. Was er entdeckt hatte, war in der Tat sensationell. Und im Augenblick noch wichtiger als die phantastische Spiegelkonstruktion an einer Seite des Raums. Es war ein Loch im Fußboden, eine Art Falltür. Darunter erstreckte sich eine gewundene Rutsche in finstere Tiefe.

»Der Fluchtweg des Hais!« sagte Jacob.

»Wir werden ihm folgen!« rief Wei Chou.

»Ich nicht«, erwiderte der Deutsche. »Ich muß hier noch jemanden suchen.«

Wei Chou nickte nur, sprang auf die Rutsche und verschwand in der Dunkelheit. Die beiden anderen Chinesen folgten ihm.

Jacob vergewisserte sich noch einmal, daß Shu-hsien nicht in Lebensgefahr schwebte. Dann verließ er den Raum und blickte sich suchend um.

Wo waren Irene und Jamie?

*

Immer weiter drehte sich die Rutsche in die dunkle Tiefe. Dann tauchte ein schwacher Lichtschimmer vor den drei Chinesen auf. Das Licht wurde heller und heller, und plötzlich hatte die Rutschpartie ein Ende.

Wei Chou und seine Gefährten landeten auf dem Boden eines großen Raums mit Wänden aus festgestampftem Lehm. Erhellt wurde er von einer unter der Decke hängenden Öllampe. Es war kein Wohnraum, die Einrichtung dafür fehlte. Und es war sehr kalt.

In einer Ecke lag Stroh. Daneben stand ein großer Wasserkübel. Es roch streng nach Pferd.

Die Chinesen hörten dumpf hallendes Hufgeklapper und das Sirren sich drehender Wagenräder.

Sie rannten den Geräuschen hinterher. Es gab nur diesen einen Weg. Der Raum verengte sich zu einem Gang, der steil nach oben führte. Gerade groß genug für eine kleine Kutsche.

Schließlich standen die drei Männer unter freiem Himmel. Sie blickten sich um, um sich zu orientieren. Es war ein Hinterhof auf der anderen Seite des Portsmouth Square. Das Golden Crown lag etwa fünfzig Yards entfernt.

Eine Stelle im Boden war nach unten geklappt. Ein Mechanismus, den der Flüchtende - oder die Flüchtenden, vielleicht waren auch mehrere Männer auf der Flucht - betätigt hatte, hatte den scheinbar normalen Boden wegklappen lassen. Hier war die Kutsche herausgekommen.

Die Chinesen verließen den Hinterhof über die Ausfahrt, die auf eine Seitenstraße führte. Sie sahen nur noch, wie ein leichter Zweispänner mit hoher Geschwindigkeit um die Ecke bog und in die Regennacht verschwand. Viel zu schnell, um ihn zu Fuß einzuholen.

Der Hai von Frisco war entkommen!

*

Jacob sprengte eine Tür nach der anderen auf. Wenn er es nicht mit Fußtritten schaffte, warf er sich mit der Schulter gegen das Holz. Immer wieder rief er laut nach Irene.

Und plötzlich stand er ihr gegenüber. Fast wäre er gegen sie gestürzt, so stark war der Schwung, mit dem er im dritten Anlauf die schwere Tür aufgerammt hatte.