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Aber jetzt genug; zwei Bogen habe ich schon vollgeschrieben, und es bleibt mir kein Platz mehr; es ist unsere ganze Ge-schichte. Nun, es sind ja auch so viele Ereignisse zusammen-gekommen! Und jetzt umarme ich Dich, mein lieber Rodja, bis zu unserem nächsten Wiedersehen und segne Dich mit meinem mütterlichen Segen. Du sollst Deine Schwester Du-nja lieben, Rodja; liebe sie so sehr, wie sie Dich liebt, und wisse, daß sie Dich grenzenlos liebhat, mehr als sich selbst. Sie ist ein Engel, und Du, Rodja, bist unser alles – unsere ganze Hoffnung und unsere ganze Zuversicht. Wenn nur Du glücklich wirst, dann werden auch wir glücklich sein. Betest Du auch noch wie früher, Rodja, und glaubst Du an die Gnade des Schöpfers und unseres Erlösers? Ich fürchte im tiefsten Herzen, daß Dich der neue moderne Unglauben heimgesucht hat. Wenn dem so ist, will ich für Dich beten. Erinnere Dich, Lieber, wie Du als Kind, noch zu Lebzeiten Deines Vaters, auf meinen Knien Deine Gebete gelispelt hast und wie glücklich wir alle damals waren! Leb wohl, oder

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besser gesagt: auf Wiedersehen! Ich umarme Dich innig, in-nig, und küsse Dich unzählige Male.

Die Deine bis zum Grab Pulcheria Raskolnikowa«

Während Raskolnikow diesen Brief las, die ganze Zeit über, schon von der ersten Zeile an, war sein Gesicht naß von Tränen; doch als er zu Ende gelesen hatte, war es bleich, ver-krampft, und ein gequältes, galliges, böses Lächeln kräuselte seine Lippen. Er preßte den Kopf auf sein dünnes, schäbiges Kissen und dachte nach, dachte lange nach. Heftig schlug ihm das Herz, und heftig waren seine Gedanken erregt. Schließ-lich wurde ihm in dieser gelben Kammer, die eher einem Schrank oder einer Truhe glich, schwül und enge. Sein Blick und sein Denken verlangten nach Freiheit und Weite. Er nahm seinen Hut und ging weg, diesmal ohne die Furcht, auf der Treppe jemandem zu begegnen; das hatte er verges-sen. Er schlug die Richtung zur Wasilij-Insel ein, über den W.-Prospekt, als eilte er in Geschäften dorthin; aber nach seiner Gewohnheit ging er, ohne auf den Weg zu achten. Er flüsterte vor sich hin und sprach sogar laut mit sich selber, wodurch er alle, die ihm begegneten, in großes Erstaunen setzte. Viele hielten ihn für betrunken.

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Das Schreiben seiner Mutter quälte ihn. Aber in der Hauptsache, im wichtigsten Punkt gab es für ihn keine Minute lang einen Zweifel, nicht einmal während er den Brief las. Das Wesentliche an der Sache war für ihn schon entschieden, endgültig entschieden: diese Ehe wird nicht zustande kom-men, solange ich lebe; zum Teufel mit Herrn Luschin!

Die Sache liegt ja klar zutage, murmelte er vor sich hin und feierte jetzt schon, grinsend und böse, den Erfolg seines Ent-schlusses. Nein, liebe Mama, nein, Dunja, ihr könnt mich nicht hinters Licht führen! ... Und sie entschuldigen sich noch, daß sie meinen Rat nicht eingeholt und die Sache ohne

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mich erledigt haben! Das will ich meinen! Sie glauben, jetzt wäre es nicht mehr möglich, die Verlobung zu lösen; aber wir wollen sehen, ob es möglich ist oder nicht! Wahrhaftig eine glänzende Entschuldigung: »Er ist eben ein so sachlicher Mensch, dieser Pjotr Petrowitsch, daß er gar nicht anders heiraten kann als mit der Eilpost, ja, geradezu mit der Eisen-bahn.« Nein, Dunjetschka, ich sehe alles, ich weiß, worüber du mit mir soviel sprechen willst; ich weiß auch, worüber du die ganze Nacht nachgedacht hast, als du in deinem Zim-mer auf und ab gingst, und worum du zur Muttergottes von Kasan gebetet hast, die in Mamas Schlafzimmer hängt. Es ist ein schwerer Weg nach Golgatha. Hm! ... Es ist also schon alles endgültig beschlossen: Sie gedenken einen sachlichen, vernünftigen Mann zu heiraten, Awdotja Romanowna, einen Mann, der ein eigenes Kapital hat – bereits ein eigenes Kapi-tal hat; das klingt solider, eindrucksvoller! –, der in zwei Ämtern dient, die Überzeugungen unserer jüngsten Generation teilt, wie die liebe Mama schreibt, und anscheinend gut ist, wie Dunjetschka festgestellt hat. Dieses »anscheinend« ist am prächtigsten an der ganzen Sache. Um dieses »anscheinend« willen heiratet ihn Dunjetschka! ... Großartig! Großartig!

Dennoch wäre es interessant zu wissen, warum mir Mama das von der »jüngeren Generation« geschrieben hat. Nur um den Herrn deutlicher zu charakterisieren, oder mit der Ab-sicht, mich für Herrn Luschin einzunehmen? Oh, Schlau-heit! Interessant wäre es auch, eine zweite Sache zu klären: bis zu welchem Grad die zwei, Mama und Awdotja, gegen-einander aufrichtig waren an jenem Tag und in jener Nacht und in der ganzen darauffolgenden Zeit. Ist alles, was zwischen ihnen gesprochen wurde, ohne Rückhalt gesagt wor-den, oder erkannten sie, daß sie beide, die eine so gut wie die andere, nur eines im Herzen und im Sinn hatten, so daß es gar nicht notwendig war, alles laut auszusprechen, und daß jedes Reden sich erübrigte? Wahrscheinlich war es zum guten Teil so; aus dem Brief ersehe ich: Mama hielt ihn für schroff, für ein wenig schroff, und die liebe Mama ging zu Dunja und machte ihre Bemerkungen darüber. Die aber wurde natürlich zornig und antwortete gereizt. Das will ich meinen!

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Wen bringt man durch so etwas nicht in Wut, wenn eine Sache auch ohne naive Fragen klar ist und man bereits be-schlossen hat, daß es darüber nichts mehr zu reden gibt! Und was schreibt sie mir da? »Du sollst Dunja lieben, Rodja; sie liebt Dich mehr als sich selbst.« Ob nicht insgeheim Gewis-sensbisse sie quälen, weil sie damit einverstanden war, die Tochter dem Sohn zu opfern? »Du bist unsere ganze Zuver-sicht, Du bist unser alles!« O Mama! ... Er kochte vor Zorn, und wäre ihm jetzt Herr Luschin untergekommen, er hätte ihn bestimmt umgebracht.

Hm! ... das ist wahr, dachte er weiter, während ihm die Gedanken wie ein Wirbelsturm durch den Kopf jagten, es ist wahr, daß man »allmählich und behutsam an einen Menschen herangehen muß, um ihn kennenzulernen« – aber Herrn Luschin habe ich durchschaut. Die Hauptsache ist: »Er ist ein sachlicher Mensch und anscheinend gut«; es ist doch keine Kleinigkeit, daß er die Sorge für das Gepäck auf sich nimmt und auf eigene Rechnung einen großen Koffer befördern läßt! Da muß er doch gut sein! Die beiden aber, seine Braut und ihre Mutter, mieten ein Bauernfuhrwerk und fahren in einem Wagen, der mit einer Bastmatte ausgelegt ist – ich bin doch schon oft so gefahren! Macht nichts! Es sind ja nur neunzig Werst; »und dann werden wir sehr bequem in der dritten Klasse Weiterreisen« – tausend Werst! Und das ist vernünftig: man muß sich nach der Decke strecken; aber was denken Sie sich eigentlich dabei, Herr Luschin? Es handelt sich doch um Ihre Braut ... Und wissen Sie etwa nicht, daß Mutter die Reisekosten als Vorschuß auf ihre Pension nimmt? Natürlich, Sie haben da ein wechselseitiges Geschäft vor, ein Unternehmen auf gegenseitigen Vorteil und mit gleichen Anteilen; folglich müssen auch die Kosten richtig geteilt werden – Brot und Salz gemeinsam, Tabak jedoch extra, wie es im Sprichwort heißt. Und trotzdem hat hier der »sach-liche« Mensch die beiden ein wenig übers Ohr gehauen: das Gepäck kostet weit weniger als die Reise, und vielleicht kostet es ihn überhaupt nichts. Sehen denn Mutter und Dunja das nicht, oder wollen sie es absichtlich nicht sehen? Aber sie sind ja zufrieden, zufrieden! Und wenn man bedenkt, daß das

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nur die Blüten sind und die richtigen Früchte erst noch nach-kommen! Denn das ist der springende Punkt: es dreht sich nicht um seinen Geiz, um die Knickerei, sondern um den Ton des Ganzen. Da kündigt sich geradezu prophetisch der Ton an, der in ihrer Ehe herrschen wird ... Und wovon soll Mama denn leben? Mit wieviel Geld wird sie nach Petersburg kommen? Mit drei Silberrubeln oder zwei »Scheinchen«, wie jene Frau sagt . . . die Alte ...? Wovon will Mama denn später in Petersburg leben? Es ist ihr ja schon an irgendwel-chen Dingen aufgegangen, daß sie nach der Heirat nicht mit Dunja wird leben können, nicht einmal in der ersten Zeit! Der liebe Mensch hat sich sicherlich verplappert, hat sich zu erkennen gegeben, wiewohl sich Mamachen mit beiden Händen dagegen wehrt: »Ich selber will einen solchen Vor-schlag ablehnen.« Aber worauf und auf wen rechnet sie dann: auf die hundertzwanzig Rubel Pension, von der noch abge-zogen wird, was sie an Afanasij Iwanowitsch zurückzahlen muß? Sie strickt warme Tücher und stickt Ärmelschützer und verdirbt sich damit ihre alten Augen. Aber diese Tücher tragen ihr im Jahr nur zwanzig Rubel zu ihren hundert-zwanzig ein; das weiß ich. Also rechnen die beiden ja doch auf die edlen Gefühle des Herrn Luschin. »Er wird mir von sich aus den Vorschlag machen.« Der Knicker! Doch so geht es immer bei diesen Schillerschen Schönen Seelen: bis zum letz-ten Augenblick schmücken sie einen Menschen mit Pfauen-federn; bis zum letzten Augenblick glauben sie an das Gute im Menschen und nicht an das Schlechte; und obgleich sie die Kehrseite der Medaille ahnen, wollen sie sich doch vorher um keinen Preis die Wahrheit eingestehen – es graut ihnen bei dem bloßen Gedanken daran; mit beiden Händen wehren sie sich gegen die Wahrheit, bis sie der so schön aufgeputzte Mensch schließlich eigenhändig mit der Nase darauf stößt. Ich wüßte gerne, ob Herr Luschin irgendwelche Orden be-sitzt; ich möchte darauf schwören, daß er den Annenorden im Knopfloch trägt und daß er ihn anlegt, wenn er bei Unter-nehmern und Kaufleuten speist. Er wird ihn wohl auch bei seiner Hochzeit tragen ... Übrigens soll ihn der Teufel holen! ...