Nun ja, das wäre es also, soweit es Mama angeht; Mama ist nun einmal so; aber Dunja? Dunjetschka, meine Liebe, ich kenne dich doch! Du warst zwanzig Jahre alt, als wir einander das letztemal sahen, und damals schon habe ich dich durchschaut. Mama schreibt: »Dunjetschka kann viel er-tragen.« Das weiß ich. Das wußte ich schon vor zweieinhalb Jahren, und seither, zweieinhalb Jahre lang, habe ich gerade darüber nachgedacht, daß Dunjetschka viel ertragen kann. Wenn sie fähig war, Herrn Swidrigailow mit allem, was dar-aus entsprang, zu ertragen, kann sie wahrhaftig viel er-tragen; und nun sind sie und Mama auf den Gedanken ge-kommen, daß sie auch Herrn Luschin wird ertragen können, einen Mann, der die Theorie vertritt, jenen Frauen sei der Vorzug zu geben, die aus Bettelarmut kommen und in ihrem Mann den Wohltäter sehen, und der diese Theorie fast schon bei der ersten Zusammenkunft zum besten gibt. Nun, neh-men wir an, er habe sich »versprochen«, obwohl er doch ein gescheiter Mensch ist – so daß er sich vielleicht gar nicht ver-sprochen hat, sondern mit voller Absicht möglichst rasch Klarheit schaffen wollte. O Dunja, Dunja! Du mußt diesen Menschen doch bis auf den Grund seiner Seele durchschauen und sollst nun mit ihm leben! Lieber würde sie nur schwarzes Brot essen und dazu Wasser trinken als ihre Seele verkaufen; ihre sittliche Freiheit würde sie für allen Komfort nicht her-geben; für ganz Schleswig-Holstein nicht, geschweige denn für Herrn Luschin! Nein, Dunja war nicht so, soviel weiß ich, und ... inzwischen ist sie bestimmt nicht anders gewor-den! ... Was soll man da sagen! Menschen wie Swidrigailow sind eine Qual; quälend ist es, sich das ganze Leben lang für zweihundert Rubel als Erzieherin in verschiedenen Gouver-nements herumzuschlagen, aber ich bin sicher, daß meine Schwester eher unter die Neger zu einem Plantagenbesitzer ginge oder unter die Letten zu einem Baltendeutschen, als daß sie ihr Gemüt und ihr sittliches Gefühl durch die Verbin-dung mit einem Menschen beschmutzte, den sie nicht achtet und mit dem sie nichts gemein hat – und das für immer, nur des persönlichen Vorteils halber! Und selbst wenn Herr Luschin aus purem Gold wäre, aus einem einzigen Brillanten,
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auch dann würde sie nicht einwilligen, die gesetzmäßige Kon-kubine des Herrn Luschin zu werden! Warum erklärt sie sich also jetzt einverstanden? Was steckt dahinter? Wo liegt des Rätsels Lösung? Die Sache ist klar: für sich selber, für ihr eigenes Behagen, ja, selbst um sich vom Tode zu erretten, würde sie sich nicht verkaufen, aber für einen anderen ver-kauft sie sich! Für einen lieben, vergötterten Menschen kann sie sich verkaufen! Das ist des Pudels Kern: für den Bruder, für die Mutter verkauft sie sich! Alles verkauft sie! Dafür kann sie, wenn nötig, auch ihr sittliches Gefühl unterdrük-ken, dafür ist sie bereit, ihre Freiheit, ihre Ruhe, sogar ihr Gewissen, alles, alles, auf den Trödelmarkt zu tragen. Ade, Leben, wenn nur diese geliebten Wesen glücklich werden! Nicht genug damit, legt sie sich auch eine eigene Kasuistik zurecht; sie geht bei den Jesuiten in die Schule und wird sich wohl mit der Zeit selbst beruhigen und sich einreden, es müsse so sein; es sei wirklich notwendig, denn es geschehe ja für einen guten Zweck. So ist sie eben, alles ist sonnenklar. Es ist klar, daß niemand anders dahintersteckt als Rodion Romano-witsch Raskolnikow; um ihn dreht sich alles. Natürlich, sie kann sein Glück machen, ihn sein Studium an der Universität fortsetzen lassen, ihn zum Partner in der Kanzlei machen, sein ganzes Leben auf eine sichere Grundlage stellen; viel-leicht wird er eines Tages sogar noch reich, angesehen und geehrt und ist am Ende seines Lebens gar ein berühmter Mann! Und die Mutter? Oh, es handelt sich doch um Rodja, den kostbaren Rodja, den Erstgebornen! Für einen solchen Erstgebornen muß sie auch eine solche Tochter opfern! Ach, ihr lieben, ungerechten Herzen! Für ein solches Ziel nehmen wir sogar das Los Sonjetschkas in Kauf! Sonjetschka, So-njetschka Marmeladowa, die ewige Sonjetschka, seit die Welt steht! Habt ihr beide euer Opfer, dieses Opfer völlig ermes-sen? Ist es so? Reichen eure Kräfte dazu aus? Und bringt es Nutzen? Ist es vernünftig? Weißt du, Dunjetschka, daß So-njetschkas Schicksal in keiner Weise schrecklicher ist als das deine an der Seite des Herrn Luschin? »Natürlich ist weder er noch sie besonders verliebt«, schreibt Mama. Wie aber, wenn, abgesehen von Liebe, auch von Achtung keine Rede sein kann,
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sondern im Gegenteil jetzt schon Abscheu herrscht, Verach-tung, Ekel – was dann? Dann kommen wir zu dem Ergeb-nis, daß wir auch hier »auf Sauberkeit halten« müssen. Ist's nicht so? Versteht ihr, versteht ihr denn, was diese Sauber-keit bedeutet? Versteht ihr denn nicht, daß die Sauberkeit an der Seite Luschins haargenau das gleiche ist wie die Sauber-keit Sonjetschkas? Ja, daß sie vielleicht noch schlimmer, wider-licher, gemeiner ist, weil bei dir, Dunjetschka, immerhin die Hoffnung auf ein wenig Wohlstand gegeben ist, während es dort schlicht und einfach um den Hungertod geht? Teuer ist diese Sauberkeit, teuer, Dunjetschka! Und wenn sie deine Kräfte zum Schluß übersteigt? Wenn du bereust? Wieviel Leid, Trauer, Flüche, Tränen wird es geben, vor allen ver-borgen gehalten, weil du doch keine Marfa Petrowna bist! Und was wird dann aus Mutter? Sie ist doch jetzt schon un-ruhig und quält sich; aber dann, wenn sie das alles in voller Klarheit erkennt? ... Und was wird mit mir? ... Was habt ihr denn eigentlich von mir gedacht? Ich will dein Opfer nicht, Dunjetschka, ich will es nicht, Mama! Das darf nicht geschehen, solange ich lebe; das wird nicht geschehen, das wird nicht geschehen! Ich nehme dein Opfer nicht an!
Plötzlich kam er zu sich und blieb stehen.
Das wird nicht geschehen? Und was kannst du tun, damit es nicht geschieht? Willst du es verbieten? Mit welchem Recht? Was kannst du ihnen deinerseits versprechen, um dir dieses Recht anzumaßen? Daß du ihnen dein ganzes Leben, deine Zukunft weihen wirst, wenn du die Universität absolviert und eine Stellung erhalten hast? Das haben wir schon gehört, das sind Phantastereien, aber was ist jetzt? Du mußt schon jetzt etwas unternehmen, verstehst du? Und was tust du? Du plünderst sie aus. Denn sie haben die hundert Rubel Pension und das Geld von den Herrschaften Swidrigailow verpfän-det. Womit willst du sie vor den Swidrigailows, vor den Afanasij Iwanowitsch Wachruschins schützen, du zukünftiger Millionär, du Zeus, der über ihr Schicksal verfügt? Nach etwa zehn Jahren wird Mutter vom Kopftuchhäkeln und viel-leicht auch vom Weinen erblindet und vom Hungern abge-zehrt sein – und deine Schwester? Nun, denk einmal dar-