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»Schurke!« flüsterte Dunja entrüstet.

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»Wie Sie meinen; aber merken Sie gut auf: ich habe vorerst nur theoretisch gesprochen. Nach meiner persönlichen Über-zeugung haben Sie völlig recht: eine Vergewaltigung ist eine Schurkerei. Ich sage das nur, damit Ihr Gewissen völlig rein bleibe, selbst wenn Sie ... selbst wenn Sie Ihren Bruder frei-willig retten wollten, wie ich es Ihnen vorschlage. Sie haben sich einfach den Umständen gefügt ... meinethalben auch der Gewalt, wenn es ohne dieses Wort gar nicht geht. Denken Sie darüber nach; das Schicksal Ihres Bruders und Ihrer Mutter liegt in Ihren Händen. Ich werde Ihr Sklave sein ... mein ganzes Leben lang ... Ich warte auf Ihre Entscheidung ...«

Swidrigailow setzte sich auf den Diwan, etwa acht Schritt von Dunja entfernt. Sie hegte nicht den geringsten Zweifel mehr an seiner unerschütterlichen Entschlossenheit. Außerdem kannte sie ihn ...

Plötzlich zog sie einen Revolver aus der Tasche, spannte den Hahn und legte die Hand mit dem Revolver auf das Tischchen. Swidrigailow sprang auf.

»Aha! So ist das also!« rief er erstaunt und mit einem bösen Lächeln. »Nun, das ändert die Dinge von Grund auf! Sie erleichtern mir die Sache außerordentlich, Awdotja Ro-manowna! Und woher haben Sie diesen Revolver? Am Ende von Herrn Rasumichin? Ach nein! Das ist doch mein Revolver! Ein alter Bekannter! Und ich habe ihn damals so gesucht! ... Der Schießunterricht auf dem Lande, den Ihnen zu geben ich die Ehre hatte, ist doch nicht fruchtlos gewesen!«

»Das ist nicht dein Revolver, sondern er gehörte Marfa Petrowna, die du ermordet hast, du Schurke! Du hast nichts in ihrem Haus besessen, nichts. Ich nahm ihn an mich, sobald ich ahnte, wozu du fähig bist. Wage es, auch nur einen einzigen Schritt zu tun, und ich schieße dich nieder, das schwöre ich dir!«

Dunja war völlig außer sich. Den Revolver hielt sie schuß-bereit.

»Und Ihr Bruder? Ich frage nur aus Neugier«, entgegnete Swidrigailow, der noch immer an derselben Stelle stand.

»Zeig ihn an, wenn du willst! Rühr dich nicht vom Fleck!

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Keinen Schritt! Ich schieße! Du hast deine Frau vergiftet, ich weiß es; du bist selbst ein Mörder ...«

»Sind Sie auch ganz sicher, daß ich Marfa Petrowna ver-giftet habe?«

»Ja. Du hast mir selbst Andeutungen darüber gemacht; du hast von Gift gesprochen ... Ich weiß, daß du weggefahren bist, um welches zu holen ... Du hattest alles vorbereitet ... Du warst es ... ohne Zweifel ... du Schurke!«

»Selbst wenn es so wäre, hätte ich es doch nur deinetwegen getan ... du wärst die Ursache gewesen.«

»Du lügst. Ich habe dich immer gehaßt, immer ...«

»Oho, Awdotja Romanowna! Sie vergessen offenbar, wie Sie in der Hitze Ihrer Bekehrungsversuche schon schwankten und weich wurden ... Ich sah es Ihren Augen an; erinnern Sie sich nicht: eines Abends beim Mondenschein, als die Nachtigall schlug? ...«

»Du lügst!« Dunjas Augen funkelten vor Zorn. »Du lügst, Verleumder!«

»Ich lüge? Gut, dann lüge ich eben. Ich habe gelogen. Frauen soll man an derartige Dinge nicht erinnern.« Er grinste. »Ich weiß, daß du schießen wirst, du hübsches wildes Tierchen! Also los, schieß!«

Dunja hob den Revolver und blickte Swidrigailow toten-blaß aus feurig funkelnden, großen schwarzen Augen an; ihre Unterlippe war kreidebleich und zitterte. Sie war entschlos-sen und wartete nur auf die erste Bewegung, die er machen würde. Noch nie hatte er sie so schön gesehen. In dem Augen-blick, da sie den Revolver hob, loderte aus ihren Augen ein Feuer, das ihn gleichsam verbrannte, und sein Herz preßte sich schmerzhaft zusammen. Er tat einen Schritt vorwärts, und der Schuß krachte. Die Kugel streifte Swidrigailows Haar und schlug hinter ihm in die Wand. Er blieb stehen und lachte leise auf.

»Die Wespe hat gestochen! Zielt direkt auf den Kopf ... Was ist das? Blut?« Er zog sein Taschentuch, um sich das Blut wegzuwischen, das ihm in einem dünnen Faden über die rechte Schläfe rann; wahrscheinlich hatte die Kugel die Kopfhaut gestreift. Dunja senkte den Revolver und blickte

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Swidrigailow weniger angstvoll als vielmehr in einem wirren Staunen an. Sie schien selbst nicht zu begreifen, was sie getan hatte und was da vorging!

»Nun ja, ein Fehlschuß! Schießen Sie noch einmal, ich warte«, fuhr Swidrigailow leise und noch immer lächelnd fort, aber sein Lächeln war seltsam düster. »Sonst packe ich Sie, noch ehe Sie den Hahn wieder gespannt haben!«

Dunjetschka schauerte zusammen, spannte den Hahn von neuem und hob den Revolver wieder.

»Lassen Sie mich!« stieß sie verzweifelt hervor. »Ich schwöre Ihnen, ich schieße zum zweitenmal ... Ich töte Sie! ...«

»Nun ja ... auf drei Schritt Entfernung müssen Sie mich ja treffen. Aber wenn Sie mich nicht treffen ... dann ...«

Seine Augen begannen zu funkeln, und er machte noch zwei Schritte. Dunjetschka drückte ab; der Schuß ging nicht los.

»Sie haben nicht richtig geladen. Macht nichts! Sie müssen noch einen Schuß haben. Bringen Sie es in Ordnung, ich warte.«

Er stand zwei Schritt vor ihr, wartete und sah sie in wilder Entschlossenheit aus leidenschaftlich brennenden, gequälten Augen an. Dunja erkannte, daß er lieber sterben würde, als daß er sie freigäbe. Und ... und natürlich mußte sie ihn jetzt niederschießen, aus zwei Schritt Entfernung! ...

Plötzlich warf sie den Revolver weg.

»Du hast ihn weggeworfen?« fragte Swidrigailow verwun-dert und holte tief Atem. Mit einemmal schien etwas von seinem Herzen gewichen zu sein. Vielleicht war es nicht allein die Last der Todesangst, die er in dieser Minute wohl auch kaum empfunden hatte – er war befreit von einem anderen, einem dunkleren, quälenderen Gefühl, das er in seiner gan-zen Tiefe nicht einmal selbst hätte erfassen können.

Er trat auf Dunja zu und legte ihr zart den Arm um die Taille. Sie leistete keinen Widerstand, sondern blickte ihn nur mit flehenden Augen an. Sie zitterte wie Espenlaub. Er wollte etwas sagen, aber seine Lippen zuckten bloß, und er brachte kein Wort hervor.

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»Laß mich!« sagte Dunja flehend.

Swidrigailow fuhr zusammen: dieses du hatte ganz anders geklungen als das von vorhin.

»Du liebst mich also nicht?« fragte er leise.

Dunja schüttelte nur den Kopf.

»Und ... du könntest es auch nicht? ... Niemals?« flüsterte er verzweifelt.

»Niemals!« flüsterte Dunja zurück.

Einen Augenblick lang tobte ein entsetzlicher, stummer Kampf in Swidrigailows Seele. Mit einem unbeschreiblichen Blick sah er sie an. Plötzlich nahm er seinen Arm weg, wandte sich ab, trat rasch zum Fenster und blieb davor stehen.

Es verging noch ein Augenblick.

»Hier ist der Schlüssel!« Er zog ihn aus seiner linken Manteltasche und legte ihn hinter sich auf den Tisch, ohne hinzusehen und ohne sich zu Dunja umzuwenden. »Nehmen Sie ihn, gehen Sie, gehen Sie rasch ...«

Er starrte unverwandt zum Fenster hinaus.

Dunja ging zum Tisch, um den Schlüssel zu nehmen.

»Rasch! Rasch!« wiederholte Swidrigailow, der sich noch immer nicht regte und sich nicht umwandte. Aber in diesem »rasch« war deutlich ein furchtbarer Unterton zu vernehmen.

Dunja erkannte das, ergriff den Schlüssel, lief zur Tür, schloß sie auf und stürzte aus dem Zimmer. Einen Augen-blick später lief sie wie eine Irre, völlig außer sich, den Kanal entlang in Richtung der N.-Brücke.