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»Zweifelst du daran?«

Sie umarmte ihn innig.

»Wenn du jetzt in dein Leid gehst, sühnst du damit nicht schon die Hälfte deines Verbrechens?« fragte sie, während sie ihn fest an sich drückte und küßte.

»Verbrechen? Welches Verbrechen?« schrie er in einem plötzlichen Wutanfall. »Daß ich eine widerliche, schädliche Laus getötet habe, eine alte Wucherin, die niemandem nützte und für deren Ermordung einem vierzig Sünden vergeben werden müßten, ein Weib, das den Armen das Mark aussog ... das soll ein Verbrechen sein? Ich denke nicht daran, das

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als Verbrechen anzusehen, und ich denke auch nicht daran, es zu sühnen. Warum bloß schreit mir alle Welt das Wort ,Ver-brechen, Verbrechen!' entgegen? Erst jetzt erkenne ich klar, wie töricht mein Kleinmut ist, jetzt, da ich schon beschlossen habe, diese unnötige Schande auf mich zu nehmen! Ich ent-schließe mich dazu einfach aus Schwäche und Talentlosigkeit und vielleicht auch noch um des Vorteils willen, den mir die-ser Mensch angeboten hat, dieser ... Porfirij!«

»Bruder, Bruder, was redest du da! Du hast doch Blut vergossen!« rief Dunja verzweifelt.

»Das alle vergießen«, fiel er ihr wie rasend ins Wort; »das auf der ganzen Welt seit jeher vergossen wurde und noch heute vergossen wird wie ein Katarakt, das vergossen wird wie Champagner und für das man einen auf dem Kapitol bekränzt und dann Wohltäter der Menschheit nennt. Sieh die Dinge doch einmal, wie sie sind! Ich selber wollte doch nur Gutes für die Menschen und hätte Hunderte, Tausende guter Werke getan für diese eine einzige Dummheit. Und es war ja nicht einmal eine Dummheit, sondern einfach nur eine Unge-schicklichkeit; denn mein ganzer Plan war keineswegs so dumm, wie es jetzt, nachdem er gescheitert ist, aussieht ... Bei einem Mißerfolg sieht hinterher immer alles dumm aus! Durch diese Dummheit wollte ich mich unabhängig machen; ich wollte den ersten Schritt tun, wollte zu Geldmitteln kom-men, und dann wäre alles durch einen unverhältnismäßig größeren Nutzen ausgeglichen gewesen ... Aber ich, ich hielt nicht einmal den ersten Schritt durch, weil ich ein Schwäch-ling bin! Das ist des Pudels Kern! Aber trotzdem werde ich meine Tat nicht mit euren Augen ansehen; wäre sie mir ge-lungen, hätte man mich bekränzt – jetzt freilich sitze ich in der Falle!«

»Aber das ist doch alles ganz falsch, das ist doch ganz falsch! Bruder, was redest du da!«

»Ach! Ich habe nicht die richtige Form gewählt, keine ästhetisch einwandfreie Form! Nun, ich kann ganz entschieden nicht einsehen, weshalb es eine ehrenwertere Form sein soll, bei einer regelrechten Belagerung Menschen zu bombardieren! Die Scheu vor der Ästhetik ist das erste Anzeichen der Ohn-

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macht! ... Noch nie, noch nie ist mir das klarer zu Bewußt-sein gekommen als jetzt, und weniger denn je kann ich meine Tat für ein Verbrechen halten! Noch nie, noch nie war ich stärker und überzeugter als jetzt! ...«

Röte schoß ihm in das blasse, abgezehrte Antlitz. Doch wäh-rend seiner letzten Worte begegnete er unversehens dem Blick Dunjas, und er fand darin so viel Leid, so viel Leid um ihn, daß er unwillkürlich zur Besinnung kam. Er fühlte, daß er trotz allem diese beiden armen Frauen unglücklich gemacht hatte. Trotz allem war er die Ursache ...

»Dunja, Liebste! Wenn ich schuldig bin, dann vergib mir ... obgleich du mir nicht vergeben kannst, falls ich wirklich schuldig bin! Leb wohl! Wir wollen nicht miteinander streiten! Es ist Zeit, hohe Zeit. Folge mir nicht; ich flehe dich an, ich muß noch ... Geh gleich und bleib bei unserer Mutter. Ich beschwöre dich! Das ist meine letzte, meine größte Bitte an dich. Bleib die ganze Zeit bei ihr; ich habe sie in einer Un-ruhe zurückgelassen, die sie kaum ertragen wird; entweder sie stirbt, oder sie verliert den Verstand. Bleib bei ihr! Rasu-michin wird euch zur Seite stehen; ich habe mit ihm gespro-chen ... Weine nicht um mich: ich will mir Mühe geben, mutig und ehrlich zu sein, mein ganzes Leben lang, obwohl ich ein Mörder bin. Vielleicht hörst du noch einmal von mir. Ich werde euch keine Schande machen, das sollst du sehen; ich will es euch noch beweisen ... Aber jetzt einstweilen auf Wiedersehen«, schloß er hastig; während seiner letzten Worte und Verheißungen hatte er abermals einen sonderbaren Aus-druck in Dunjas Augen bemerkt. »Was weinst du denn so? Weine nicht, weine nicht; wir trennen uns ja nicht für immer! ... Ach ja! Warte, ich habe etwas vergessen!...«

Er trat zum Tisch, nahm ein dickes, verstaubtes Buch zur Hand, öffnete es und zog zwischen den Blättern ein kleines Porträt hervor, ein Aquarell auf Elfenbein. Es zeigte seine ehemalige Braut, die am Nervenfieber gestorben war, die Tochter seiner Wirtin, jenes merkwürdige Mädchen, das ins Kloster hatte gehen wollen. Etwa eine Minute lang starrte er das ausdrucksvolle, kranke Gesichtchen an, küßte das Bild dann und reichte es Dunjetschka.

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»Mit ihr habe ich auch viel über diese Dinge gesprochen, mit ihr allein«, sagte er nachdenklich. »Ihrem Herzen habe ich vieles von dem anvertraut, was später so häßlich Wirk-lichkeit wurde. Sei unbesorgt«, wandte er sich wieder an Du-nja, »sie gab mir ebensowenig recht wie du, und ich bin froh, daß sie nicht mehr am Leben ist. Die Hauptsache, die Haupt-sache ist, daß alles jetzt einen neuen Anfang nimmt, daß alles entzweigebrochen wird«, rief er dann plötzlich; von neu-em hatte ihn sein Jammer überwältigt; »alles, alles ... Bin ich aber auch dafür bereit? Will ich es selber? Man sagt, daß diese Prüfung für mich nötig sei! Wozu all diese sinn-losen Prüfungen, wozu? Werde ich denn nach zwanzig Jah-ren Zwangsarbeit, zermalmt von Mühsal, von Stumpfsinn, von greisenhafter Kraftlosigkeit, weiter sein als heute? Was wird mein Leben dann noch für einen Sinn haben? Wie kann ich mich denn jetzt auf ein solches Leben einlassen? Oh, als ich heute im Morgengrauen an der Newa stand, wußte ich, daß ich ein Schwächling bin!«

Beide gingen schließlich fort. Es war schwer für Dunja, aber sie liebte ihn trotzdem! Sie trennten sich, aber nachdem Dunja etwa fünfzig Schritt weit gegangen war, wandte sie sich um, um ihn noch einmal anzublicken. Er war noch zu sehen. Als er an der Ecke anlangte, drehte auch er sich um; zum letztenmal trafen sich ihre Blicke; doch als er merkte, daß sie ihn ansah, bedeutete er ihr mit einer ungeduldigen, ja geradezu zornigen Handbewegung, sie solle gehen, und bog scharf um die Ecke.

Ich bin böse; das sehe ich, dachte er, als er sich gleich darauf dieser ärgerlichen Gebärde bewußt wurde. Aber weshalb lieben sie mich so sehr, obwohl ich es nicht wert bin? Oh, wenn ich doch allein wäre und niemand mich liebte und ich selbst nie jemanden geliebt hätte! Dann wäre das alles nicht geschehen! Aber ich wüßte gern, ob meine Seele in den kommenden fünfzehn oder zwanzig Jahren wirklich so versklavt werden wird, daß ich andächtig vor den Menschen greine und mich bei jedem Wort einen Räuber nenne. Ja, das ist es, eben das! Deshalb schicken sie mich jetzt in die Verbannung; das gerade wollen sie ... Da rennen die Leute auf der Straße hin und

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her, und es ist doch jeder von ihnen schon von Natur aus ein Schuft und Bandit ... noch schlimmer: ein Idiot! Aber es sollte nur ein Mensch wagen, mir die Verbannung nach Sibi-rien ersparen zu wollen – jeder würde ganz toll werden vor edler Entrüstung! Oh, wie ich sie alle hasse!

Er versank in tiefes Grübeln darüber, wodurch es wohl so weit kommen könnte, daß er sich schließlich ohne Wider-rede vor allen diesen Menschen demütigte, aus Überzeugung demütigte. Aber warum sollte es nicht so weit kommen? Na-türlich, das mußte geschehen – würden denn zwanzig Jahre unablässigen Druckes ihn nicht endgültig niederzwingen? Ste-ter Tropfen höhlt den Stein! Aber wozu, wozu soll ich dann noch leben, wozu gehe ich jetzt dorthin, da ich doch selbst weiß, daß alles genauso sein wird, wie es im Buche steht, um keinen Deut anders?