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Während dieser Worte zitterte er wie Espenlaub.

Aber was rede ich denn da! dachte er weiter, während er sich wieder erhob, gleichsam in tiefem Staunen. Ich habe doch gewußt, daß ich das nicht über mich bringen werde, warum habe ich mich dann bis jetzt so gequält? Denn schon gestern, gestern, als ich hinging, diese ... diese Probe zu ma-chen ... Schon gestern erkannte ich unbezweifelbar, daß ich es nicht über mich bringen würde ... Was will ich also jetzt? Warum zweifelte ich noch bis zu diesem Augenblick? Denn schon gestern, als ich die Treppe hinunterlief, sagte ich mir selbst, daß es abscheulich sei, niedrig und gemein ... Und bei dem bloßen Gedanken wurde mir bei wachen Sinnen übel, die Vorstellung allein jagte mir Entsetzen ein ...

Nein, ich stehe es nicht durch, ich stehe es nicht durch! Mag in allen diesen Berechnungen meinetwegen auch nicht der kleinste Fehler stecken, mag alles, was ich im letzten Monat beschlossen habe, auch sonnenklar sein und richtig wie die Regeln der Arithmetik! . . . O Herr! ich werde mich ja doch nicht dazu entschließen können! Ich werde es nicht

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über mich bringen, nicht über mich bringen! ... Warum also, warum habe ich bis jetzt ...

Er stand auf, sah sich überrascht um, als wunderte er sich darüber, wie er hierhergeraten war, und ging zur T.-Brücke. Er war blaß; seine Augen brannten; in allen seinen Gliedern spürte er Erschöpfung, aber plötzlich atmete er gleichsam leichter. Er fühlte, er hatte diese furchtbare Last, die ihn so lange niedergedrückt hatte, schon abgeworfen, und es wurde ihm mit einemmal unbeschwert und friedlich zumute. O Herr! betete er. Weise mir den richtigen Weg, und ich sage mich los von diesem verfluchten ... Traum!

Als er über die Brücke schritt, betrachtete er still und ruhig die Newa und den Untergang der blendend roten Sonne. Trotz seiner Schwäche fühlte er sich nicht mehr müde. Es war ihm, als wäre ein Geschwür in seinem Herzen, ein Ge-schwür, das ihn den ganzen Monat über gequält hatte, plötz-lich aufgebrochen. Es war die Freiheit, die Freiheit! Er war jetzt frei von solcher Verzauberung, Verlockung, Behexung, Versuchung!

Wenn er sich später dieser Zeit und all dessen, was ihm in diesen Tagen widerfahren war, Minute für Minute, Punkt für Punkt, Strich für Strich, erinnerte, erregte ihn bis zu abergläubischen Vorstellungen stets auf neue ein Umstand, der im Grunde gar nicht sehr ungewöhnlich war, der ihm aber später immer wieder als eine Art Vorausbestimmung seines Schicksals erschien.

Das war folgendes: er konnte sich nicht erklären und nicht begreifen, warum er, obgleich er erschöpft und abgespannt war und es das beste gewesen wäre, auf dem kürzesten, ge-radesten Wege nach Hause zu gehen, den Heimweg über den Heumarkt nahm, über den er gar nicht hätte zu gehen brau-chen. Der Umweg war nicht groß, aber es war ein Umweg, und er war gänzlich unnötig. Natürlich war es schon Dut-zende Male passiert, daß er nach Hause gegangen war, ohne auf die Straßen zu achten, durch die er schritt. Doch wozu, so fragte er sich später immer wieder, wozu hatte sich dieses so wichtige, für ihn so entscheidende und gleichzeitig so über-aus zufällige Zusammentreffen auf dem Heumarkt – über

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den zu gehen er ja keinerlei Anlaß hatte – ereignet, gerade in dieser Stunde, in dieser Minute seines Lebens, gerade, als er in dieser Gemütsverfassung war, und gerade unter Um-ständen, unter denen allein dieses Zusammentreffen den ent-scheidenden und endgültigen Einfluß auf sein ganzes Schick-sal nehmen konnte? Als hätte diese Begegnung geradezu ab-sichtlich hier auf ihn gewartet!

Es war gegen neun Uhr, als er über den Heumarkt ging. Alle Händler hinter ihren Tischen und in den Buden und die Kaufleute in den großen und kleinen Läden machten schon Schluß, sperrten zu oder räumten ihre Waren zusam-men, packten sie weg und schickten sich an, nach Hause zu gehen, genauso wie ihre Kunden es taten. Vor den Gar-küchen in den unteren Stockwerken, auf den schmutzigen, stinkenden Höfen des Platzes, besonders aber vor den Knei-pen hatten sich viele Handwerker und zerlumpte Leute der verschiedensten Art eingefunden. Raskolnikow hatte eine Vorliebe für diese Gegend, ebenso für die Gassen in der näheren Umgebung, wenn er ziellos durch die Straßen wan-derte. Hier erweckten seine Lumpen bei niemandem hoch-mütige Aufmerksamkeit, und er konnte aussehen, wie er wollte, ohne bei irgendwem Anstoß zu erregen. An der Ecke der K.-Gasse hatten ein Kleinbürger und sein Weib auf zwei Ladentischen einen Handel in Betrieb: sie verkauften Garne, Bändchen, Kattuntücher und dergleichen mehr. Auch sie waren aufgestanden, um heimzugehen, verweilten aber noch, da sie mit einer Bekannten, die zu ihnen getreten war, ein Gespräch führten. Diese Bekannte war Lisaweta Iwanowna oder, wie alle sie nannten, einfach Lisaweta, die jüngere Schwester jener alten Aljona Iwanowna, der Kollegien-registratorswitwe und Wucherin, bei der Raskolnikow gestern gewesen war, um seine Uhr zu versetzen und seine Probe anzustellen ... Er wußte schon längst alles über diese Lisa-weta, und auch sie kannte ihn flüchtig. Sie war eine große, plumpe, schüchterne und friedliche alte Jungfer, fast eine Idiotin, zählte fünfunddreißig Jahre, wurde von ihrer Schwester in völliger Sklaverei gehalten, arbeitete Tag und Nacht für sie, zitterte vor ihr und mußte sogar Schläge von

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ihr einstecken. Nachdenklich stand sie jetzt mit einem Bündel unterm Arm vor dem Kleinbürger und dessen Frau und hörte ihnen aufmerksam zu. Die beiden redeten mit auffal-lendem Eifer auf sie ein. Als Raskolnikow sie plötzlich be-merkte, beschlich ihn ein seltsames Gefühl; es bemächtigte sich seiner eine Art tiefsten Staunens, obgleich nichts Ver-wunderliches an dieser Begegnung war.

»Sie sollen das selbst entscheiden, Lisaweta Iwanowna«, sagte der Kleinbürger laut. »Kommen Sie doch morgen gegen sieben Uhr her. Die anderen werden auch kommen.«

»Morgen?« fragte Lisaweta gedehnt und nachdenklich, als könnte sie sich nicht entschließen.

»Aljona Iwanowna jagt Ihnen aber gehörige Angst ein!« warf die Frau des Händlers, ein munteres Weib, ein. »Wenn ich Sie so ansehe, kommen Sie mir vor wie ein kleines Kind. Dabei ist sie nicht einmal Ihre leibliche Schwester, sondern nur Ihre Stiefschwester, und trotzdem nimmt sie sich soviel heraus!«

»Sagen Sie diesmal Aljona Iwanowna lieber nichts«, unter-brach sie ihr Mann, »das ist mein Rat, und kommen Sie ein-fach zu uns, ohne um Erlaubnis zu fragen. Es ist ein vorteil-haftes Geschäft. Ihre Schwester wird das selbst einsehen.«

»Soll ich also kommen?«

»Um sieben Uhr morgen; auch von den andern wird je-mand dasein, und Sie können dann selbst entscheiden.«

»Wir werden auch Tee machen«, fügte die Frau hinzu.

»Schön, ich komme«, erwiderte Lisaweta, noch immer nach-denklich, und machte sich langsam auf den Weg.

Raskolnikow war schon vorbei und hörte nichts mehr. Er war still an ihnen vorübergegangen, unbemerkt, und hatte sich Mühe gegeben, kein einziges Wort zu überhören. Sein ursprüngliches Staunen wandelte sich allmählich in Entsetzen, als wäre ihm ein Frostschauer über den Rücken gelaufen. Er hatte erfahren, er hatte plötzlich, unversehens und ganz und gar unerwartet, erfahren, daß morgen, genau um sieben Uhr abends, Lisaweta, die Schwester und einzige Hausge-nossin der Alten, nicht daheim und daß folglich die Alte mor-gen um sieben Uhr abends allein in der Wohnung sein werde.

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Bis nach Hause waren es nur noch einige Schritt. Er trat ins Haus wie ein zum Tode Verurteilter. Er dachte über nichts nach und war völlig außerstande nachzudenken, doch mit seinem ganzen Wesen fühlte er plötzlich, daß er keine Freiheit des Entschlusses und des Willens mehr hatte und daß plötzlich alles endgültig entschieden war.