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»Macht nichts!« antwortete Ilja Petrowitsch in eigen-artigem Tonfall. Nikodim Fomitsch wollte noch etwas ent-gegnen, doch dann sah er zu dem Schriftführer hin, der ihn ebenfalls ganz starr anblickte, und schwieg. Alle waren plötz-lich verstummt. Es war seltsam.

»Nun schön, mein Herr«, sagte Ilja Petrowitsch plötzlich. »Wir wollen Sie nicht länger aufhalten.«

Raskolnikow verließ das Zimmer. Er konnte beim Weg-gehen noch hören, wie sich plötzlich wieder ein lebhaftes Ge-spräch entspann, in dem am deutlichsten die fragende Stimme Nikodim Fomitschs zu vernehmen war ... Auf der Straße kam er völlig zu sich.

Eine Haussuchung, eine Haussuchung ... gleich werden sie

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alles durchsuchen! sagte er sich immer wieder, während er sich beeilte, nach Hause zu kommen. Diese Banditen! Sie ver-dächtigen mich!

Die Furcht von vorhin packte ihn plötzlich wieder am gan-zen Leib, vom Kopf bis zu den Füßen.

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Wie aber, wenn schon eine Haussuchung war? wenn ich die Leute zu Hause antreffe?

Doch da war schon sein Zimmer. Nichts und niemand; niemand war dagewesen. Sogar Nastasja hatte nichts ange-rührt. Aber du lieber Gott! Wie hatte er nur all die Sachen in diesem Loch unter der Tapete lassen können!

Er lief in die Ecke, griff unter die Tapete, zog das ganze Zeug heraus und stopfte es sich in die Taschen. Insgesamt waren es acht Gegenstände: zwei Schächtelchen mit Ohrrin-gen oder etwas Ähnlichem – er sah es nicht genau an –, vier kleine Etuis aus Saffianleder, eine Kette, die einfach in Zeitungspapier eingewickelt war, und schließlich noch irgend etwas, das ebenfalls in Zeitungspapier eingewickelt war, an-scheinend ein Orden ...

Er steckte das alles in verschiedene Taschen, in den Mantel und in die übriggebliebene rechte Hosentasche, wobei er sich Mühe gab, alles so zu verstauen, daß es möglichst wenig auf-fiel. Auch den Geldbeutel steckte er zu sich. Hierauf verließ er das Zimmer und ließ die Tür diesmal weit offenstehen.

Er ging rasch und festen Schrittes, und obgleich er sich am ganzen Körper wie zerschlagen fühlte, war er bei vollem Bewußtsein. Er fürchtete, daß er verfolgt würde; er fürch-tete, daß in einer halben Stunde, vielleicht schon in einer Viertelstunde die Weisung ergehen würde, ihn zu beobachten; daher mußte er um jeden Preis noch rechtzeitig alle Spuren beseitigen. Er mußte damit fertigwerden, solange er noch irgendwie bei Kräften war und noch einen Rest von Denk-vermögen besaß ... Wohin sollte er gehen?

Das war schon lange entschieden: alles in einen Kanal

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werfen; dann liegt das Beweismaterial samt und sonders im Wasser, und die Sache hat ein Ende. Das hatte er noch nachts beschlossen, im Fieber, sooft ihm die Sachen wieder einge-fallen waren und er einige Male hatte aufstehen und weg-gehen wollen; nur rasch, nur rasch, und alles fortwerfen! Es stellte sich aber als sehr schwierig heraus, die Sachen weg-zuwerfen.

Er schlenderte über den Kai des Jekaterinenkanals – schon eine halbe Stunde, vielleicht auch länger – und be-trachtete die Treppen, die zum Wasser hinabführten. Aber es war gar nicht daran zu denken, daß er seine Absicht hatte verwirklichen können: entweder hatten Flöße gerade bei der Treppe festgemacht, oder Frauen wuschen ihre Wäsche dort, oder Kähne hatten angelegt; überall aber wimmelte es nur so von Menschen; von überallher, vom Kai, von allen Sei-ten konnte man ihn sehen und beobachten. Es war doch ver-dächtig, wenn jemand zum Wasser hinabstieg, stehenblieb und etwas in den Kanal warf! Und am Ende sanken die Etuis gar nicht unter, sondern schwammen auf dem Wasser? Natürlich mußte es so sein. Jeder konnte es sehen. Ohnedies schauten sie ihn jetzt schon alle an, wenn sie ihm begegneten, und musterten ihn, als hätten sie sich um nichts anderes zu kümmern als um ihn. Warum sie das nur tun, oder kommt es mir vielleicht nur so vor? dachte er.

Schließlich fiel ihm ein, ob es nicht besser wäre, irgendwohin an die Newa zu gehen. Dort gab es weniger Leute, und das Ganze fiel auch nicht so auf; jedenfalls war es bequemer, und – die Hauptsache – es war recht weit weg von hier. Und plötzlich wunderte er sich, daß er sich eine geschlagene halbe Stunde bekümmert und beunruhigt in dieser gefährlichen Ge-gend herumgetrieben hatte und daß ihm das nicht früher eingefallen war. Und einzig deswegen hatte er diese geschla-gene halbe Stunde an ein sinnloses Vorhaben verschwendet, weil es einmal so beschlossen war, im Schlafe, im Fieber! Er war jetzt außerordentlich zerstreut und vergeßlich geworden und wußte das. Er mußte sich ganz entschieden beeilen!

Er ging über den W.-Prospekt zur Newa; unterwegs kam ihm plötzlich ein neuer Gedanke. Weshalb zur Newa? Wozu

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ins Wasser werfen? Ist es nicht besser, irgendwohin zu gehen, sehr weit fort, meinetwegen wieder auf die Inseln, und dort alles an irgendeiner einsamen Stelle im Wald, unter einem Strauch zu vergraben und sich vielleicht den Baum zu mer-ken? Und obwohl er fühlte, daß er nicht imstande war, in diesem Augenblick alles klar und vernünftig zu erwägen, schien ihm dieser letzte Gedanke doch der einzig richtige.

Aber es war ihm auch nicht beschieden, zu den Inseln zu kommen, sondern es geschah etwas ganz anderes. Als er vom W.-Prospekt auf einen Platz einbog, sah er plötzlich links den Eingang zu einem Hof, den Mauern ganz ohne Fenster und Türen umgaben. Gleich rechts vom Eingang zog sich tief in den Hof hinein eine lange ungetünchte Mauer, die zu dem dreistöckigen Nebenhaus gehörte. Linker Hand, parallel zu der fensterlosen Mauer, begann ebenfalls gleich hinter dem Tor eine Bretterplanke, führte etwa zwanzig Schritt tief in den Hof und machte dann eine Biegung nach links. Auf dem umzäunten Raum lag allerlei Altmaterial. Etwas weiter in der Tiefe des Hofes sah die Ecke einer niedrigen, verräucher-ten, steinernen Scheune über die Planke, die offenbar zu einer Werkstätte gehörte. Hier war sicherlich irgendeine Fabrik untergebracht, eine Wagnerei oder Schlosserei oder so etwas; überall, fast gleich vom Tor an, lag schwarzer Kohlenstaub. Hier sollte ich die Sachen hinwerfen und dann gehen, dachte er plötzlich. Da er niemanden auf dem Hof bemerkte, schritt er durch das Tor. Gleich daneben entdeckte er eine Rinne, die an der Planke angebracht war, wie man sie oft in Häusern findet, in denen viele Fabrikarbeiter, Handwerker, Kutscher und dergleichen Leute aus und ein gehen, und über der Rinne prangte auf den Brettern die in solchen Fällen immer zu findende scherzhafte Kreideaufschrift: »Stehenbleiben ver-boten.« Also war diese Stelle auch deshalb günstig, weil es keinerlei Verdacht erregen konnte, wenn er eintrat und ste-henblieb. Hier will ich alles wegwerfen, auf einen Haufen, und dann gehen!

Er blickte sich noch einmal um und griff schon in die Tasche, als er plötzlich dicht an der Außenmauer, zwischen dem Tor und der Rinne, zwischen denen nur etwa ein Arschin

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Zwischenraum war, einen großen unbehauenen Stein bemerkte, der vielleicht etwa anderthalb Pud schwer sein mochte und gerade an der steinernen Mauer zur Straße lag. Hinter dieser Mauer war die Straße, der Bürgersteig; er hörte die Leute vorübergehen, und hier herrschte immer ziemlich starker Ver-kehr; doch durch das Tor konnte ihn niemand sehen, es sei denn, daß jemand von der Straße hereinkäme. Das war übrigens sehr leicht möglich, und darum mußte er sich be-eilen.

Er bückte sich zu dem Stein, packte ihn oben fest mit beiden Händen und drehte ihn mit aller Kraft um. Unter dem Stein hatte sich eine kleine Vertiefung gebildet; er warf sofort den Inhalt seiner Taschen hinein. Ganz obenauf kam die Geldbörse zu liegen, und trotzdem blieb in der Vertie-fung noch Platz. Dann packte er den Stein wieder und brachte ihn mit einem Ruck in die frühere Lage zurück; der Stein lag jetzt genauso da wie vorher, nur daß er vielleicht ein ganz klein wenig höher zu sein schien. Raskolnikow scharrte ringsherum Erde zusammen und stampfte sie am Rand mit dem Fuß fest. Es war nichts zu sehen. Dann verließ er den Hof und ging auf den Platz zurück.