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Schon wieder befiel ihn für einen Augenblick eine heftige, kaum erträgliche Freude, so wie vorhin in dem Revier. Alle Spuren sind verwischt! Und wem, wem könnte es in den Sinn kommen, unter diesem Stein nachzusuchen? Der liegt hier vielleicht schon, seit die Mauer gebaut worden ist, und wird wohl noch ebenso lange liegenbleiben. Und selbst wenn man die Sachen findet, wer wird an mich denken? Alles ist jetzt erledigt! Es gibt keine Beweise mehr! Und er lachte auf. Ja, er entsann sich später, daß er, ohne aufzuhören, nervös, rasch und lautlos lachte; noch während er über den Platz ging, lachte er. Doch als er auf den K.-Boulevard kam, wo er vor-gestern jenem Mädchen begegnet war, verging ihm mit einem-mal das Lachen. Andere Gedanken stiegen in ihm auf. Er hatte plötzlich das Gefühl, als wäre es ihm unmöglich, an je-ner Bank vorbeizugehen, auf der er damals, nachdem das Mädchen gegangen war, in Gedanken versunken gesessen hatte; als wäre es ihm entsetzlich, abermals jenem schnurr-

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bärtigen Schutzmann zu begegnen, dem er die zwanzig Ko-peken gegeben hatte. Hol ihn der Teufel!

Unterwegs blickte er zerstreut und böse um sich. Alle seine Gedanken kreisten jetzt um einen einzigen wichtigen Punkt; und er spürte selbst, daß das wirklich ein höchst wichtiger Punkt war und daß er jetzt, gerade jetzt, ganz allein, diesem wichtigen Punkt gegenüberstand – zum erstenmal seit den letzten zwei Monaten.

Der Teufel hole das alles! dachte er plötzlich in einem Anfall blinder Wut. Wenn es angefangen hat, hat es eben angefangen; der Teufel hole das neue Leben! O Gott, wie dumm das ist! ... Und wieviel habe ich heute gelogen, wie-viel gemeine Dinge geredet! Wie abscheulich habe ich vorhin vor diesem Vieh Ilja Petrowitsch scharwenzelt und ihm ge-schmeichelt! Übrigens ist auch das Unsinn! Ich pfeife auf sie alle; ich pfeife auch darauf, daß ich geschmeichelt und schar-wenzelt habe! Es geht um etwas anderes! Es geht um etwas ganz anderes! ...

Er blieb stehen; eine neue, völlig unerwartete und höchst einfache Frage hatte ihn plötzlich aus seinem Gedankengang gerissen und ihn in bitteres Erstaunen versetzt.

Wenn diese Tat wirklich bewußt geschehen ist und nicht in einem Anfall von Verrücktheit, wenn du wirklich ein be-stimmtes, festes Ziel gehabt hast, warum hast du dann bis jetzt nicht ein einziges Mal in den Geldbeutel hineingesehen? Du weißt also nicht einmal, was dir dafür zugefallen ist, daß du alle diese Qualen auf dich genommen hast und dich zu einer so gemeinen, abscheulichen, niedrigen Tat hast hin-reißen lassen! Und dabei wolltest du eben noch diesen Geld-beutel samt den anderen Sachen, die du gleichfalls noch nicht einmal angesehen hast, ins Wasser werfen! ... Wie kommt das nur?

Ja, so war es; so war es. Übrigens hatte er das schon vor-her gewußt, und es war für ihn überhaupt keine neue Frage; bereits als er nachts beschlossen hatte, die Sachen ins Wasser zu werfen, hatte er diesen Entschluß ohne jegliches Zaudern und ohne Einwand gefaßt, vielmehr so, als ob das so sein müßte, als ob es anders gar nicht sein könnte ... Ja, er wußte

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das alles und erinnerte sich daran; und vielleicht war es schon gestern so beschlossen gewesen, in dem Augenblick, da er vor dem Koffer gekauert und die Etuis herausgezogen hatte ... So war es! ...

Das kommt daher, daß ich sehr krank bin, entschied er schließlich finster. – Ich habe mich gequält und gepeinigt und weiß selber nicht, was ich tue ... Gestern und vorgestern und die ganze Zeit über habe ich mich gequält .. . Ich werde gesund werden und ... mich nicht mehr quälen ... Wie aber, wenn ich überhaupt nicht gesund werde? O Gott! Wie satt ich das alles habe! ... Er ging weiter, ohne stehenzubleiben. Er hatte die größte Lust, sich irgendwie zu zerstreuen, doch er wußte nicht, was er tun und was er unternehmen sollte. Eine neue, unbezwingbare Empfindung bemächtigte sich seiner, von Minute zu Minute mehr; es war ein merkwürdiger, grenzenloser, fast physischer Abscheu vor allem, dem er be-gegnete und das ihn umgab, ein Abscheu voll Starrsinn, Zorn und Haß. Alle Menschen, die ihm entgegenkamen, waren ihm widerlich; widerlich waren ihm sogar ihre Gesichter, ihr Gang, ihre Bewegungen. Wenn ihn jetzt jemand angespro-chen hätte, wäre er ohne weiteres imstande gewesen, ihn an-zuspucken, ja, ihn zu beißen ...

Er blieb stehen, als er in der Nähe der Brücke den Kai der Kleinen Newa auf der Wasilij-Insel erreicht hatte. Hier wohnt er ja, in diesem Haus, dachte er. Was soll das heißen? Bin ich wirklich von allein zu Rasumichin gegangen? Schon wieder die gleiche Geschichte wie damals ... Es wäre wahr-haftig interessant zu erfahren, ob ich mit Absicht hier-hergegangen bin oder nur aus Zufall hierhergeriet. Aber mag dem sein, wie ihm wolle: ich habe doch ... vorgestern gesagt ... daß ich am Tage danach zu ihm gehen würde! Also gehe ich jetzt eben zu ihm! Weshalb sollte ich auch nicht? ...

Er stieg in das fünfte Stockwerk zu Rasumichin hinauf.

Der war zu Hause, in seinem Zimmer, und arbeitete; er schrieb und öffnete ihm selbst die Tür. Es war vier Monate her, daß sie einander nicht gesehen hatten. Rasumichin saß in einem ganz zerrissenen Schlafrock da, mit Pantoffeln an

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den nackten Füßen, zerzaust, unrasiert und ungewaschen. Er sah höchst erstaunt aus.

»Nein, so etwas! Du?« rief er, während er Raskolnikow, der inzwischen eingetreten war, vom Kopf bis zu den Füßen musterte; dann verstummte er und stieß einen Pfiff aus.

»Geht es dir wirklich schon so schlecht? Du übertriffst ja sogar unsereinen an Vornehmheit«, sagte er dann und be-trachtete Raskolnikows Lumpen. »So setz dich doch, du bist sicher müde!«

Und während sich der Besucher auf den mit Wachstuch bezogenen türkischen Diwan sinken ließ, der noch schlechter war als sein eigener, erkannte Rasumichin plötzlich, daß Raskolnikow krank war.

»Aber du bist doch ernsthaft krank! Weißt du das?«

Er fühlte ihm den Puls; Raskolnikow riß seine Hand zurück.

»Laß das«, sagte er. »Ich bin gekommen ... Es handelt sich darum: ich habe keine Stunden mehr ... und da wollte ich ... übrigens brauche ich gar keine Stunden ...«

»Weißt du was, du redest ja im Fieber!« bemerkte Rasumi-chin, der ihn aufmerksam beobachtet hatte.

»Nein, ich rede nicht im Fieber ...«

Raskolnikow stand auf. Als er zu Rasumichin hinaufge-stiegen war, hatte er nicht daran gedacht, daß er dem anderen von Angesicht zu Angesicht werde gegenüberstehen müssen. Jetzt aber wußte er sofort, wußte er aus dieser Erfahrung heraus, daß er in dieser Minute am allerwenigsten fähig war, irgend jemandem auf der ganzen Welt von Angesicht zu An-gesicht gegenüberzustehen. Die Galle stieg ihm hoch. Er er-stickte beinahe vor Zorn auf sich selbst, daß er Rasumichins Schwelle überschritten hatte.

»Leb wohl!« sagte er plötzlich und wandte sich zur Tür.

»So bleib doch, bleib doch, du sonderbarer Kauz!«

»Ich brauche nichts! ...« wiederholte Raskolnikow, der seine Hand zum zweitenmal zurückzog.

»Warum zum Teufel bist du dann gekommen?! Bist du am Ende verrückt, wie? Das ist ja . . . fast beleidigend. So lasse ich dich nicht weg.«

»Ach, höre: ich kam zu dir, weil ich außer dir niemanden

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kenne, der mir helfen könnte ... neu zu beginnen ... weil du besser, das heißt klüger bist als sie alle und denken kannst ... Aber jetzt sehe ich, daß ich nichts brauche, hörst du? gar nichts brauche ... niemandes Dienste und niemandes An-teilnahme ... Ich werde selber ... allein ... Ach, Schluß damit! Laßt mich alle in Ruhe!«