An diesem Abend gab es eine große Feierlichkeit, und König Rothgar und seine Königin Weilew, in einem Gewand übersät mit Edelsteinen und Gold, saßen den Edlen und Kriegern und Fürsten des Königreiches von Rothgar vor. Diese Edlen waren ein erbärmlicher Haufe; sie waren alte Männer und tranken über die Maßen, und viele waren verkrüppelt oder verwundet. In ihrer aller Augen lag das hohle Starren der Furcht, und also waren sie hohl in ihrer Lustbarkeit.
Überdies war da ein Sohn namens Wiglif, von welchem ich früher gesprochen: der Sohn des Rothgar, welcher drei seiner Brüder gemordet. Dieser Mann war jung und von schlanker Gestalt, mit einem blonden Barte und Augen, welche nirgendwo ruhten, sondern sich beständig hierhin und dorthin bewegten; überdies begegnet er nie dem Blick eines anderen. Herger sah ihn und sagte: »Er ist ein Fuchs.« Hiermit meinte er, daß er ein glatter und unbeständiger Mann von falschem Betragen sei, denn die Nordmenschen glauben, daß der Fuchs ein Tier sei, welches jede Gestalt annehmen kann, die ihm gefällt. Nun, in der Mitte der Festlichkeiten, sandte Rothgar seinen Herold zu den Toren der Hurot-Halle, und dieser Herold berichtete, daß der Dunst nicht herabsinken werde in dieser Nacht. Es gab viel Heiterkeit und Feiern ob dieser Verkündigung, daß die Nacht klar war; alle waren fröhlich, ausgenommen Wiglif.
Zu einer bestimmten Zeit erhob sich der Sohn Wiglif und sagte: »Ich trinke zu Ehren unserer Gäste und besonders des Buliwyf, eines tapferen und wahrhaften Kriegers, welcher gekommen ist, uns in unserem Leid beizustehen - obzwar sich erweisen mag, daß diese Hürde zu hoch für ihn ist.« Herger flüsterte mir diese Worte zu, und ich erfaßte, daß es sich um Lob und Beleidigung in einem Atemzuge handelte. Aller Augen wandten sich Buliwyf ob dessen Erwiderung zu. Buliwyf stand auf und blickte zu Wiglif und sagte: »Furcht habe ich vor nichts, auch vor dem unreifen Unholde nicht, welcher des Nachts umherschleicht, Männer in ihrem Schlafe zu morden.« Dies, so nahm ich an, bezog sich auf die »Wendol«, doch Wiglif erbleichte und unklammerte den Stuhl, auf welchem er saß.
»Sprecht Ihr von mir?« sagte Wiglif mit bebender Zunge. Buliwyf brachte diese Erwiderung vor: »Nein, doch fürchte ich Euch nicht mehr denn die Ungeheuer aus dem Dunst.« Der junge Wiglif harrte aus, obzwar Rothgar, der König, ihm gebot, Platz zu nehmen. Wiglif sagte zu all den versammelten Edlen: »Dieser Buliwyf, eingetroffen von fernen Gestaden, verfügt augenscheinlich über großen Stolz und große Stärke. Doch habe ich Vorbereitungen getroffen, seinen Mut auf die Probe zu stellen, den Stolz vermag eines jeglichen Mannes Auge zu trüben.« Nun sah ich, wie dieses geschah: Ein starker Krieger, welcher hinter Buliwyf an einem Tisch nahe der Tür saß, erhob sich hurtig, ergriff einen Speer und stieß nach dem Rücken des Buliwyf. All dies geschah in geringerer Zeit, als ein Mann zum Einsaugen seines Atems benötigt. Doch ebenso wandte Buliwyf sich um, ergriff einen Speer, und mit diesem traf er den Krieger genau in die Brust und hob ihn mit dem Schaft des Speeres hoch über sein Haupt und schleuderte ihn an die Wand. Dergestalt ward der Krieger auf den Speer gespießt, daß seine Füße zuckend über dem Boden baumelten; der Schaft des Speeres war in die Wand der Halle namens Hurot gegraben. Der Krieger starb mit einem Laut.
Nun erhob sich große Unruhe, und Buliwyf wandte sich dem Wiglif zu und sagte: »So werde ich jeder Drohung begegnen«, und dann sprach unverzüglich und mit überlauter Stimme Herger, und er machte viele Gesten zu meiner Person. Ich war ob dieser Ereignisse sehr verwirrt, und wahrhaft, meine Augen verharrten auf dem an die Wand gehefteten toten Krieger.
Darauf wandte sich Herger an mich und sagte in Latein:
»Ihr sollt für den Hof des Königs Rothgar einen Gesang darbieten. Alle begehren dies.«
Ich befrag ihn: »Was soll ich singen? Ich kenne keinen Gesang.« Er brachte dies als Erwiderung vor: »Ihr werdet etwas singen, welches das Herz erfreut.« Und er fügte hinzu: »Sprecht nicht von Eurem einen Gott. Niemand kümmert sich um solchen Unsinn.« In Wahrheit wußte ich nicht, was ich singen sollte, denn ich bin kein Spielmann. Eine Weile verstrich, unterdes alle auf mich starrten, und es herrschte Schweigen in der Halle. Darauf sagte Herger zu mir: »Tragt einen Gesang von Königen und Kühnheit im Kampfe vor.« Ich sagte, daß ich keinen dergestalten Gesang kannte, daß ich ihnen indes eine Fabel vortragen könnte, welche in meinem Lande als spaßig und erheiternd gelte. Dazu sagte er, daß ich eine weise Wahl getroffen hätte. Darauf erzählte ich ihnen -König Rothgar, seiner Königin Weilew, seinem Sohn Wiglif und all den versammelten Edlen und Kriegern - die Geschichte von Abu Kassims Pantoffeln, welche jedermann kennt. Ich sprach leichthin und lächelte die ganze Zeit, und zunächst waren die Nordmänner erfreut und lachten und klatschten auf ihre Bäuche.
Doch nun trat dieses seltsame Ereignis ein. Als ich mit meiner Erzählung fortfuhr, lachten die Nordmänner nicht länger und wurden zunehmend und immer mehr trübsinnig, und als ich mit der Geschichte geendet hatte, gab es keinerlei Gelächter, sondern dräuendes Schweigen. Herger sagte zu mir: »Ihr konntet es nicht wissen, doch ist dies keine Geschichte zum Lachen, und nun muß ich für Abhilfe sorgen«, und darauf hob er zu einer Rede an, welche, wie ich annahm, ein Scherz zu meinen Lasten war, und es gab allgemeines Gelächter, und endlich ward die Feierlichkeit von neuem aufgenommen.
Die Geschichte von Abu Kassims Pantoffeln ist im arabischen Kulturraum uralt und war Ibn Fadlan und seinen Mitbürgern in Bagdad wohlbekannt.
Von dieser Geschichte gibt es viele Versionen, und sie kann, je nach Lust und Laune des Erzählers, kurz oder ausführlich vorgetragen werden. Abu Kassim ist, kurz gesagt, ein reicher Kaufmann und Geizhals, der seinen Wohlstand verbergen möchte, um in seinem Gewerbe bessere Handelsergebnisse zu erzielen. Um den Anschein von Armut zu erwecken, trägt er in der Hoffnung, die Menschen täuschen zu können, ein Paar besonders geschmackloser, erbärmlicher Pantoffeln. Doch niemand fällt darauf herein. Statt dessen halten ihn sämtliche Menschen für albern und lächerlich. Eines Tages erzielt Abu Kassim beim Einkauf von Gläsern einen besonders günstigen Preis, und er beschließt, dies zu feiern. Doch tut er dies nicht in der üblichen Weise, indem er seinen Freunden ein Fest bereitet, sondern er gönnt sich den kleinen, selbstsüchtigen Luxus eines Besuches in den öffentlichen Bädern. Er läßt seine Kleidung und Schuhe im Vorraum, und ein Freund schilt ihn wegen seiner abgetragenen und unwürdigen Schuhe. Abu Kassim erwidert, sie leisteten ihm noch immer gute Dienste, und betritt mit seinem Freund das Bad.
Später begibt sich auch ein mächtiger Richter zu den Bädern, entkleidet sich und hinterläßt ein Paar eleganter Pantoffeln. Inzwischen möchte Abu Kassim das Bad verlassen, kann aber seine Pantoffeln nicht finden; an ihrer Statt entdeckt er ein Paar neuer und wunderschöner Schuhe, und in der Annahme, diese seien ein Geschenk seines Freundes, zieht er sie an und geht seines Weges.