Diese Nacht nun war ich, derweil all die Krieger des Buliwyf schliefen, zu bange zum Trinken oder Lachen; ich fürchtete die Rückkehr der Wendol. Doch kehrten sie nicht zurück, und schließlich schlief auch ich, doch unruhig.
Nun herrschte am folgenden Tag kein Wind, und sämtliche Menschen aus dem Königreich des Rothgar arbeiteten mit Hingabe und Furcht; allüberall gab es Gerede ob des Korgon und der Gewißheit, daß er bei Nacht angreifen werde. Die Wunden der Klauenmale in meinem Antlitz peinigten mich nun, denn sie kniffen beim Verheilen und schmerzten, wann immer ich den Mund zum Essen oder Sprechen bewegte. Überdies trifft es zu, daß mein Kampfeseifer mich verlassen hatte. Einmal mehr war mir bange, und ich arbeitete schweigend inmitten der Frauen und alten Männer. Um die mittlere Stunde des Tages ward ich von einem alten und zahnlosen Edlen aufgesucht, mit welchem ich in der Festhalle gesprochen. Dieser alte Edle spürte mich auf und sagte in Latein folgendes: »Ich möchte ein Wort mit Euch wechseln.« Er geleitete mich ein paar Schritte fort von den Arbeitern an den Verteidigungswerken. Nun untersuchte er mit viel Aufhebens meine Wunden, welche in Wahrheit nicht ernst waren, und derweil er diese Risse untersuchte, sagte er: »Ich überbringe eine Warnung für Eure Schar. Es herrscht Unrast im Herzen des Rothgar.« Dies sprach er in Latein. »Was ist der Grund?« fragte ich.
»Es ist der Herold, und also der Sohn Wiglif, welcher dem König im Ohr liegt«, versetzte der alte Edelmann. »Und ebenso der Freund des Wiglif. Wiglif redet dem Rothgar ein, daß Buliwyf und sein Gefolge den König zu töten und über das Königreich zu herrschen gedenken.« »Dies entspricht nicht der Wahrheit«, sagte ich, obzwar ich dies nicht wußte. Aufrichtig gesprochen, hatte ich von Zeit zu Zeit über diese Angelegenheit nachgedacht; Buliwyf war jung und kraftvoll, und Rothgar war alt und schwach, und obgleich es zutrifft, daß die Sitten der Nordmänner merkwürdig sind, trifft es doch ebenso zu, daß alle Männer nämlich sind.
»Der Herold und Wiglif sind neidisch auf Buliwyf«, sprach der alte Edelmann zu mir. »Sie vergiften die Luft im Ohre des Königs. All dies bestelle ich Euch, auf daß Ihr den anderen auftragt, wachsam zu sein, denn dies ist ein Fall für einen Basilisken.« Und darauf verkündete er, meine Wunden seien minderschwer und wandte sich ab.
Darauf kehrte der Edle noch einmal zurück. Er sagte: »Der Freund des Wiglif ist Ragnar«, und er ging ein zweites Mal von dannen und bedachte mich keines weiteren Blickes. In großer Bestürzung grub und arbeitete ich an den Verteidigungswerken, bis ich mich nahe Herger befand. Die Stimmung des Herger war noch immer so grimmig, wie sie des Tags zuvor gewesen. Er begrüßte mich mit diesen Worten: »Ich möchte die Fragen eines Narren nicht hören.« Ich sagte zu ihm, daß ich keinerlei Fragen hätte, und ich berichtete ihm, was der alte Edelmann zu mir gesprochen; überdies teilte ich ihm mit, daß es ein Fall für einen Basilisken (Ibn Fadlan beschreibt den Basilisken nicht, da er offenbar annimmt, daß seine Leser mit diesem sagenhaften Wesen vertraut sind, welches schon früh in der Vorstellungswelt nahezu aller westlichen Kulturen auftritt. Der Basilisk, im Englischen deswegen auch »Cockatrice« genannt, ist eine Art Hahn mit dem Schwanz einer Schlange und acht Beinen und besitzt manchmal Schuppen statt der Federn. Immer aber gilt der Anblick eines Basilisken als tödlich, ebenso wie der Anblick einer Gorgone; besonders tödlich soll auch das Gift des Basilisken sein. Manchen Berichten zufolge kann ein Mensch, der einen Basilisken ersticht, zusehen, wie das Gift am Schwert emporsteigt und auf seine Hand übergeht. Worauf dieser Mensch gezwungen ist, sich selbst die Hand abzuschlagen, um sein Leben zu retten.
Wahrscheinlich wird der Basilisk an dieser Stelle sinnbildlich für die von ihm ausgehende Gefahr erwähnt. Der alte Edelmann will Ibn Fadlan mitteilen, daß durch eine direkte Auseinandersetzung mit den Unruhestiftern das Problem nicht gelöst wird. Interessanterweise besteht eine der Möglichkeiten, sich eines Basilisken zu entledigen, darin, daß man ihm sein eigenes Abbild in einem Spiegel vorhält; er wird dann von seinem eigenen Anblick getötet.) sei. Bei meiner Rede furchte Herger die Stirn und schwor Flüche und stampfte mit seinem Fuße auf und bat mich, ihn zu Buliwyf zu begleiten. Buliwyf gebot über die Arbeit am Graben auf der anderen Seite des Lagers; Herger zog ihn beiseite und sprach hastig ' in nordischer Zunge, mit Gesten in meine Richtung. Buliwyf furchte die Stirn und schwor Flüche und stampfte ebenso mit dem Fuße auf wie Herger, und dann stellt er eine Frage. Herger sagte zu mir: »Buliwyf fragt, wer der Freund des Wiglif ist? Hat der alte Mann Euch mitgeteilt, wer der Freund des Wiglif ist?«
Ich erwiderte, das habe er, und der Freund führe den Namen Ragnar. Bei diesem Bericht sprachen Herger und Buliwyf fürderhin miteinander und stritten kurz, und darauf wandte Buliwyf sich ab und ließ mich mit Herger zurück. »Es ist entschieden«, sagte Herger. »Was ist entschieden?« erkundigte ich mich. »Haltet Eure Zähne beisammen«, sagte Herger, was ein nordischer Ausdruck ist, mit der Bedeutung »rede nicht«, Daher kehrte ich zu meinem Werk zurück und verstand nicht mehr als zu Anfang der Angelegenheit. Einmal mehr hielt ich diese Nordmänner für höchst eigenartige und widersinnige Männer auf dem Antlitz der Erde, denn zu keinem Anlasse betragen sie sich so, wie man das von verständigen Wesen erwarten würde. Doch ich arbeitete an ihrem albernen Zaun und ihrem seichten Graben, und ich sah mich um und wartete. Zur Stunde des Nachmittagsgebetes beobachtete ich, daß Herger einen Arbeitsplatz nahe einem strammen riesigen Jugendlichen eingenommen hatte. Herger und dieser Jugendliche plagten sich eine Weile Seite an Seite im Graben ab, und dem Augenschein nach dünkte es mich, daß Herger darum bemüht war, Erde in das Gesicht des Jugendlichen zu schleudern, welcher in Wahrheit einen Kopf größer denn Herger war und jünger obendrein.
Der Jugendliche beklagte sich, und Herger entschuldigte sich, doch bald ward wieder Erde geschleudert. Wiederum entschuldigte sich Herger; nun war der Jugendliche wütend, und sein Gesicht war rot. Nicht mehr denn eine kurze Spanne verstrich, bevor Herger wiederum Erde schleuderte, und der Jugendliche schimpfte und spie und war aufs äußerste wütend. Er schrie Herger an, welcher mir später die Worte ihrer Unterredung berichtete, obzwar die Bedeutung zu diesem Zeitpunkt nur zu offenkundig war. Der Jugendliche sprach: »Du gräbst wie ein Hund.« Zur Antwort sprach Herger: »Heißt du mich einen Hund?« Darob sagte der Jugendliche: »Nein, ich sagte, daß du gräbst wie ein Hund und achtlos mit Dreck schleuderst[1] wie ein Tier.«
Herger sprach: »So heißt du mich also ein Tier?« Der Jugendliche erwiderte: »Du mißverstehst meine Worte.« Nun sagte Herger: »In der Tat, denn deine Worte sind verdreht und verzagt wie ein gebrechliches altes Weib.« »Dies alte Weib wird sehen, wie dir der Tod mundet«, sagte der Jugendliche und zückte sein Schwert. Darauf hielt Herger das seine gezückt, denn der Jugendliche war der nämliche Ragnar, der Freund des Wiglif, und dergestalt sah ich die Absicht des Buliwyf in dieser Angelegenheit offenbart. Diese Nordmänner sind höchst empfindlich und heikel ob ihrer Ehre. Zweikämpfe stellen sich in ihrer Gesellschaft so häufig ein wie der Drang zum Harnen, und ein Kampf auf Leben und Tod wird als gewöhnlich erachtet. Ein solcher kann bei einer Beleidigung auf der Stelle stattfinden, oder er wird in aller Form ausgetragen, zu welchem Behufe sich die Kämpfenden an der Vereinigung dreier Straßen begegnen. Dergestalt geschah es, daß Ragnar den Herger zum Kampfe forderte. Nun ist dies der Brauch der Nordmänner: Zur vereinbarten Zeit versammeln sich die Freunde und Sippschaft der Zweikämpfer an der Stätte des Kampfes und spannen eine Haut am Boden aus. Diese befestigen sie mit vier Lorbeerpfählen. Der Kampf muß auf dieser Haut ausgetragen werden, wobei jeder Mann allzeit einen Fuß oder beide auf der Haut behalten muß; auf diese Weise bleiben sie dicht beieinander. Ein jeder der beiden Kämpfer stellt sich mit einem Schwert und drei Schilden ein. So alle drei Schilde eines Mannes geborsten sind, muß er ohne Schutz weiterkämpfen, und der Kampf geht auf Leben und Tod. Dergestalt waren die Regeln, verkündet von dem alten Weib, dem Engel des Todes, an der Stätte der gespannten Haut im Angesicht all der rundum versammelten Menschen des Buliwyf und der Menschen aus dem Königreich des Rothgar. Ich selbst war dort, nicht allzuweit im Vordergrund, und ich war verwundert, daß diese Menschen die Bedrohung durch den Korgon vergessen könnten, welcher sie zuvor so entsetzt; niemand sorgte sich um etwas anderes denn den Zweikampf. Dies war der Verlauf des Zweikampfes zwischen Ragnar und Herger. Herger brachte den ersten Hieb an, nachdem er gefordert war, und sein Schwert schallte mächtig auf dem Schilde des Ragnar. Ich selbst empfand Furcht um Herger, nachdem dieser Jugendliche so viel größer und stärker denn er war, und in der Tat schmetterte Ragnars erster Hieb Hergers Schild aus dessen Hand, und Herger verlangte nach seinem zweiten Schild. Darauf ward der Kampf grimmig und handgemein. Ich blickte einmal zu Buliwyf, dessen Gesicht bar jeden Ausdrucks war; und zu Wiglif und dem Herold auf der gegenüberliegenden Seite, welche oftmals zu Buliwyf blickten, derweil der Kampf tobte.
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im Arabischen, und in den lateinischen Texten
Diese Ansicht wird von Adam von Bremen nicht unbedingt geteilt, einem deutschen Kirchenhistoriker, der im Jahre 1075 schrieb: »So Weiber für unkeusch befunden, werden sie augenblicks verkauft, doch so Männer des Verrats oder anderer Verbrechen für schuldig befunden, lassen sie sich lieber enthaupten denn auspeitschen. Keine andere Art der Bestrafung kennen sie denn die Axt oder die Sklaverei.« Der Historiker Sjogren legt großen Nachdruck auf Adams Aussage, wonach sich die Männer eher enthaupten denn auspeitschen lassen. Dies scheine darauf hinzuweisen, daß Auspeitschen unter den Nordmännern durchaus bekannt war; und er führt ferner aus, daß es sich dabei höchstwahrscheinlich um eine Strafe für Sklaven handelte. »Sklaven sind Besitztum, und es ist, vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, unklug, sie wegen minderschwerer Verstoße zu töten; sicherlich war Auspeitschen eine allgemein übliche Form der Bestrafung eines Sklaven. Daher mag es sein, daß Krieger das Auspeitschen als eine erniedrigende Strafe betrachteten, da sie den Sklaven vorbehalten war.« Sjogren argumentiert überdies, daß »alles, was wir von der Lebensweise der Wikinger wissen, auf eine auf dem Grundgedanken der Schande und nicht der Schuld als dem Pol negativen Verhaltens basierende Gesellschaft hindeutet. Wikinger empfanden niemals Schuld wegen etwas, doch sie verteidigten energisch ihre Ehre und hätten ein schändliches Auftreten um jeden Preis vermieden. Sich tatenlos der Peitsche auszuliefern muß als äußerst schändlich gegolten haben und als weit schlimmer denn der Tod.« Diese Spekulationen führen uns zurück zu Ibn Fadlans Manuskript und der Wahl seiner Worte »mit Dreck schleudern«. Nachdem das Arabische so wählerisch ist, könnte man sich fragen, ob seine Worte eine islamische Einstellung widerspiegeln. In diesem Zusammenhang sollten wir, da man in Ibn Fadlans Welt gewiß unterschied zwischen reinen und schmutzigen Dingen und Verrichtungen, bedenken, daß Erde an sich nicht notwendigerweise als schmutzig galt. Im Gegenteil,