Die Bogen der Nordmänner besitzen nahezu die Länge ihrer Körper und sind aus Birke gefertigt. Das Schießen erfolgt dergestalt: Der Pfeilschaft wird bis zum Ohr zurückgezogen, nicht zum Auge, und von dort losgelassen; und die Kraft ist derart, daß der Schaft sauber den Leib eines Mannes durchschlagen kann und nicht darin steckenbleibt; und ebenso kann der Schaft ein Stück Holz von der Stärke einer Mannerfaust durchdringen. Wahrlich, ich habe solche Kraft in einem Pfeile mit meinen eigenen Augen gesehen, und ich versuchte selbst, einen ihrer Bogen zu führen, doch stellte fest, daß er unhandlich war; denn er war zu groß und widerstrebend für mich.
Diese Nordmänner sind geschickt in allen Arten des Kriegswesens und Tötens mit vielerlei Waffen, welche sie schätzen. Sie sprechen im Kriegswesen von Linien, welches nicht im Sinne der Aufstellung von Kämpfern gemeint ist; denn für sie zählt allein der Kampf des einen Mannes gegen den anderen, welcher sein Feind ist. Die zwei Linien der Kriegsführung unterscheiden sie nach der Waffe. Zum Breitschwert, welches stets in einem Bogen geschwungen wird und nie zum Stechen verwandt, sagen sie: »Das Schwert sucht die Atemlinie«, was für sie den Hals bedeutet und somit das Abtrennen des Hauptes vom Leibe. Zu dem Speer, dem Pfeil, der Handaxt, dem Dolche und den anderen Gerätschaften zum Stechen sagen sie: »Diese Waffen suchen die Fettlinie.« (Linea adeps: wörtlich »Fettlinie«. Obgleich die in dieser Passage enthaltene anatomische Erkenntnis in den seither verstrichenen tausend Jahren von keinem Soldaten jemals bezweifelt worden ist - denn im mittleren Bereich des Körpers befinden sich die lebenswichtigsten Nerven und Blutgefäße -, ist die genaue Herkunft des Begriffes rätselhaft gewesen. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung interessant, daß in einer der isländischen Sagas im Jahre 1030 ein verwundeter Krieger erwähnt wird, der einen Pfeil aus seiner Brust zieht und an der Spitze haftende Fettpartikel bemerkt; daraufhin sagt er, sein Herz sei noch immer von Fett umgeben. Die Mehrzahl der Gelehrten ist sich einig, daß es sich hierbei um die ironische Bemerkung eines Kriegers handelt, der genau weiß, daß er tödlich verwundet worden ist, und dies ergibt anatomisch durchaus Sinn.
Der amerikanische Historiker Robert Miller bezog sich im Jahre 1874 auf diese Passage des Ibn Fadlan, als er sagte: »Obgleich sie wilde Krieger waren, besaßen die Wikinger nur armselige Kenntnisse vom Körperbau. Ihre Männer wurden angewiesen, sich den vertikalen mittleren Bereich am Körper des Gegners auszusuchen, doch indem sie so verfuhren, verfehlten sie natürlich das Herz, das nun einmal in der linken Brustseite liegt.«
Die armseligen Kenntnisse müssen vielmehr Miller bescheinigt werden und nicht den Wikingern. Während der letzten paar hundert Jahre glaubte der herkömmliche Mensch westlicher Prägung, das Herz befinde sich in der linken Brustseite; Soldaten legen die Hand aufs Herz, wenn sie der Flagge den Treueid schwören; in unserer Folklore gibt es zuhauf Geschichten von Soldaten, die vom Tode errettet wurden, indem sie eine Bibel in der Brusttasche trugen, welche die tödliche Kugel abfing und so weiter. Tatsächlich befindet sich das Herz in der Körpermitte und erstreckt sich in unterschiedlich starkem Ausmaß in die linke Brustseite; doch eine Verletzung in der Mitte der Brust wird immer das Herz in Mitleidenschaft ziehen.) Mit diesen Worten beziehen sie sich auf den mittleren Teil des Leibes vom Haupte zu den Weichen; eine Wunde in diesem mittleren Bereich bedeutet für sie den sicheren Tod ihres Gegners. Ebenso glauben sie, daß es vorzuziehen sei, ob seiner Weichheit nach dem Bauche zu schlagen denn nach der Brust oder dem Haupte. Wahrlich, Buliwyf und sein Gefolge hielten aufmerksam Wacht in dieser Nacht, und ich mit ihnen. Große Mattigkeit überkam mich bei dieser Wache, und bald schon war ich so müde, als hätte ich eine Schlacht geschlagen, indes sich keine zugetragen. Die Nordmänner waren nicht ermattet, sondern zu jedem Augenblick bereit. Es trifft zu, daß sie die wachsamsten Wesen auf der gesamten Welt sind, stets auf jede Schlacht oder Gefahr vorbereitet; und sie fanden nichts ermüdend in dieser Stellung, welche für sie von Geburt an gewöhnlich ist. Allzeit sind sie umsichtig und wachsam.
Nach einer Weile schlief ich, und Herger weckte mich schroff und dergestalt; Ich verspürte einen gewaltigen Schlag und ein Pfeifen der Luft nahe meinem Haupt, und auf das Öffnen meiner Augen hin sah ich eine Haaresbreite vor meiner Nase einen Pfeil im Holze zittern. Diesen Pfeil hatte Herger abgeschossen, und er und all die anderen lachten mächtig ob meines Ungemachs. Zu mir sagte er: »Wenn Ihr schlaft, werdet Ihr die Schlacht verpassen.« Ich sagte zur Erwiderung, daß dies nach meiner Denkart keinerlei Unglück wäre. Nun nahm Herger seinen Pfeil wieder an sich und setzte sich, da er bemerkte, daß ich durch seinen Streich gekränkt war, neben mich und sprach auf freundschaftliche Weise. In dieser Nacht war Herger ausgesprochen scherzhaft und spaßig gestimmt. Er teilte mit mir einen Becher Met und sprach folgendes: »Skeld ist verhext.« Darob lachte er. Skeld war nicht weit weg, und Herger sprach lauthals, worauf ich erkannte, daß Skeld uns hören sollte; doch sprach Herger in Latein, was für Skeld unverständlich war; vielleicht also gab es einen anderen Grund, welchen ich nicht kenne. Skeld schärfte zu dieser Zeit die Spitzen seiner Pfeile und harrte der Schlacht. Zu Herger sagte ich »Warum ist er verhext?« Als Erwiderung sagte Herger: »Wenn er nicht verhext ist, verwandelt er sich vielleicht in einen Araber, denn er wäscht jeden Tag sein Unterzeug und ebenso seinen Leib. Habt Ihr das nicht wahrgenommen?« Ich antwortete, daß dies nicht der Fall sei. Herger, welcher viel lachte, sagte: »Skeld tut das für diese und jene freigeborene Frau, welche sein Augenmerk erweckt hat. Für sie wäscht er sich jeden Tag und beträgt sich wie ein empfindlicher und zimperlicher Narr. Habt Ihr das noch nicht wahrgenommen?«
Wiederum antwortete ich, daß dies nicht der Fall sei. Darauf sprach Herger: »Was seht Ihr statt dessen?« und lachte viel ob seines eigenen Witzes, welchen ich nicht teilte oder gar zu teilen vorgab, denn mir war nicht nach Lachen zumute. Nun sagt Herger: »Ihr Araber seid zu mürrisch. Ihr grollt die ganze Zeit. In euren Augen ist nichts lächerlich.«
Hierauf sagte ich, daß er falscher Meinung sei. Er verlangte, ich sollte eine lustige Geschichte erzählen, und ich berichtete ihm vom Vortrag eines berühmten Predigers. Ihr kennt sie wohl. Ein berühmter Prediger steht auf der Kanzel der Moschee, und aus dem ganzen Umkreis haben sich Männer und Frauen versammelt, seine edlen Worte zu hören. Ein Mann namens Hamit legt Umhang und Schleier an und setzt sich unter die Frauen. Der berühmte Prediger sagt: »Gemäß den Gesetzen des Islam ist es erstrebenswert, daß man sein Schamhaar nicht zu lang wachsen läßt.« Ein Zuhörer fragt: »Wie lang ist zu lang, o Prediger?« Jedermann kennt diese Geschichte; es handelt sich in der Tat um einen derben Scherz. Der Prediger erwidert: »Es sollte nicht länger denn ein Gerstenhalm sein.« Nun fragt Hamid die Frau neben ihm: »Schwester, bitte seht nach und sagt mir, ob mein Schamhaar länger ist denn ein Gerstenhalm.« Die Frau greift unter Hamids Umhang und tastet nach seinem Schamhaar, worauf ihre Hand sein Glied berührt. In ihrer Überraschung stößt sie einen Schrei aus. Der Prediger vernimmt diesen und ist hocherfreut. Zu seinen Zuhörern sagt er: »Ihr solltet alle die Kunst lernen, einer Predigt dergestalt beizuwohnen wie diese Dame, denn ihr könnt erkennen, wie sehr sie dies im Herzen rührt.« Und die Frau, welche noch immer erschrocken, wartet mit dieser Erwiderung auf: »Es hat mich nicht im Herzen gerührt, es hat meine Hand berührt.« Herger lauschte all meinen Worten mit ausdrucksloser Miene. Niemals lächelte er oder lachte gar. Als ich geendet hatte, sagte er: »Was ist ein Prediger?« Darauf sagte ich, er sei ein dummer Nordmann, welcher nichts von der Weite der Welt wisse. Und auf dieses hin lachte er, wohingegen er ob der Geschichte nicht lachte. Nun stieß Skeld einen Schrei aus, und sämtliche Krieger des Buliwyf, darunter ich, wandten den Blick den Hügeln hinter der Decke aus Dunst zu. Hier folgt, was ich sah: hoch in der Luft und weit entfernt ein feurig glühender Lichtpunkt, wie ein gleißender Stern. Sämtliche Krieger sahen ihn, und es gab allerlei Gemurmel und Ausrufe unter ihnen.