Mir war nicht nach seinen Weltweisheiten zumute; diesem verlieh ich ihm gegenüber Ausdruck, denn in Wahrheit erwuchs in mir eher Verärgerung denn Furcht. Nun lachte mir Herger ins Antlitz und sprach diese Worte: »Gelobt sei Allah, denn in seiner Weisheit stellte er den Tod ans Ende des Lebens und nicht an den Anfang.« Kurzerhand sagte ich zur Erwiderung, daß ich keinen Nutzen darin sähe, das Ende zu beschleunigen. »Dies tut in der Tat kein Mann«, entgegnete mir Herger, und darauf sagte er: »Schaut zu Buliwyf. Seht, wie aufrecht er sitzt. Seht, wie er voranreitet, obgleich er weiß, daß er bald sterben wird.«
Ich antwortete: »Ich weiß nicht, daß er sterben wird.« »Ja«, sagte Herger, »doch Buliwyf weiß es.« Darauf sprach Herger fürderhin nicht mit mir, und wir ritten eine gute Zeitspanne dahin, bis daß die Sonne hoch und strahlend am Himmel stand. Darauf gab Buliwyf das Zeichen zum Anhalten, und sämtliche Reiter saßen ab und bereiteten sich auf das Eindringen in die Donnerhöhlen vor. Nun weiß ich sehr wohl, daß diese Nordmänner tapfer bis zur Leichtfertigkeit sind, doch als ich den Abgrund der Klippe unter uns sah, kehrte sich mir das Herz in meiner Brust um, und ich dachte, ich müßte mich jeden Augenblick erleichtern. Wahrlich, die Klippe war völlig blank, bar eines jeglichen Haltes für Hand oder Fuß, und sie fiel über eine Strecke von vielleicht vierhundert Schritt ab. Wahrlich, die krachenden Wogen befanden sich so weit unter uns, daß sie winzig wie das allerfeinste Gemälde eines Künstlers wirkten. Doch wußte ich, daß sie so mächtig waren wie jegliche Wogen auf Erden, sobald man hinabgestiegen war. Mich dünkte das Hinabklettern über diese Klippen als Wahnwitz jenseits des Wahnwitzes eines tollen Hundes. Doch die Nordmänner fuhren in üblicher Weise fort. Buliwyf wies sie an, starke hölzerne Pfähle in die Erde zu hämmern; um diese wurden die Taue aus Robbenhaut gebunden und die frei schwingenden Enden über den Saum der Klippen geworfen. Wahrlich, die Taue waren nicht lang genug für einen so tiefen Abstieg, und daher mußten sie wiederum eingeholt und zwei Taue miteinander verbunden werden, auf daß eine einzige Spanne entstand, welche zu den Wogen am Grunde hinabreichte.
In geziemender Zeit verfügten wir über zwei solche Taue, welche über den ganzen Abfall der Klippe hinabreichten. Darauf sprach Buliwyf zu seinem Gefolge: »Zuerst werde ich vorangehen, auf daß, wenn ich den Grund erreiche, alle wissen, daß die Taue stark sind und die Reise vollendet werden kann. Ich erwarte euch am Fuße, auf der schmalen Leiste, welche ihr unten erkennt.« Ich blickte auf diese schmale Leiste. Sie als schmal zu bezeichnen hieße, ein Kamel als freundlich zu bezeichnen. Es handelte sich in Wahrheit um das allerblankeste Stück flachen Felsens, fortwährend von der Brandung umspielt und umtost.
»Wenn ich den Fuß erreicht habe«, sagte Buliwyf, »können wir die Mutter der Wendol in den Donnerhöhlen angreifen.« Dergestalt sprach er mit einer so gewöhnlichen Stimme, als unterweise er einen Sklaven in der Zubereitung eines Schmortopfes oder einer anderen häuslichen Verrichtung. Und ohne weitere Worte begab er sich über den Saum der Klippe. Hier ist nun die Art seines Abstieges, welche ich bemerkenswert fand, doch die Nordmänner erachten dies als nichts Besonderes. Herger erklärte mir, daß sie auf diese Weise zu einer bestimmten Jahreszeit die Eier von Seevögeln einsammeln, wenn die Seevögel am Klippenhange ihre Nester bauen. Es geschieht dergestalt: Eine Schlinge wird um die Hüfte des hinabkletternden Mannes gelegt, und alle seine Gefährten packen an und senken ihn an der Klippe hinab. Unterdessen hält sich der Mann zur Unterstützung am zweiten Taue fest, welches am Klippenabfall baumelt. Ferner führt der hinabsteigende Mann einen starken Stock aus Eichenholz mit sich, welcher am einen Ende mit einer ledernen Schnur, oder einem Riemen, an seinem Handgelenk befestigt ist; diesen Stab verwendet er als Stecken, mit welchem er sich hierhin und dorthin stößt, derweil er sich über die felsige Fläche hinab bewegt. Da Buliwyf hinabstieg und vor meinen Augen immer kleiner ward, sah ich, daß er die Schlinge, das Tau und den Stock überaus behende handhabte; doch ließ ich mich nicht dazu verleiten, dies als eine Kleinigkeit zu betrachten, denn ich erkannte, daß es schwierig war und Übung erforderte. Endlich erreichte er sicher den Grund und stand auf der schmalen Leiste, wo die Gischt über ihm zusammenschlug. In Wahrheit war er so verkleinert, daß wir kaum erkennen konnten, wie er zum Zeichen, daß er sicher angelangt war, mit der Hand winkte. Nun ward die Schlinge eingeholt; und mit ihr ebenso der Eichenstab. Herger wandte sich an mich und sprach: »Ihr werdet als nächster gehen.« Ich sagte, daß ich mich elend fühlte. Überdies sagte ich, ich wünschte einen anderen Mann hinabsteigen zu sehen, auf daß ich die Art seines Absteigens besser erlernen könnte. Herger sagte: »Es wird mit einem jeglichen Abstieg schwieriger, da immer weniger hier oben verbleiben, welche den Mann hinabsenken. Der letzte Mann muß ohne eine Schlinge hinabsteigen, und dies wird Ecthgow sein, denn seine Arme sind ehern. Es ist eine Bezeugung unserer Gunst, welche Euch gestattet, als zweiter Mann hinabzusteigen. Geht nun.«
An seinen Augen erkannte ich, daß es keine Hoffnung auf einen Aufschub gab, und so ward ich an der Schlinge befestigt, und ich ergriff den starken Stab mit meinen Händen, welche schlüpfrig waren vom Schweiß; und mein ganzer Leib war gleichermaßen schlüpfrig vom Schweiß; und ich schauderte im Winde, als ich mich über den Saum der Klippe begab, und ein letztes Mal sah ich die fünf Nordmänner das Tau straffen, und darauf waren sie meinem Blicke entzogen. Ich unternahm meinen Abstieg. Ich hatte mir ausgesonnen, viele Gebete an Allah zu sprechen und überdies mit meinem geistigen Auge, dem Gedächtnis meiner Seele, die zahlreichen Erfahrungen aufzuzeichnen, welchen ein Mann unterworfen ist, derweil er an Tauen von einer solch windzerzausten Klippe herabbaumelt. Sobald ich außer Sicht meiner Nordmännerfreunde oben war, vergaß ich all mein Ansinnen und flüsterte wieder und wieder »gepriesen sei Allah«, wie ein geistloser Mensch oder ein so alter, daß sein Hirn nicht länger denkt, oder ein Kind oder ein Narr.
In Wahrheit vermag ich mich nur an einige wenige Geschehnisse zu erinnern. Nur an dies: daß der Wind einen Menschen mit solch einer Geschwindigkeit über den Felsen hin und her bläst, daß das Auge auf der Oberfläche, welche ein verschwommenes Grau ist, nicht zu verweilen vermag; und daß ich viele Male an den Felsen schlug und meine Knochen stauchte und meine Haut zerschürfte; und einmal stieß ich mit dem Haupte an und sah strahlende weiße Punkte wie Sterne vor meinen Augen, und ich dachte, ich würde ohnmächtig, doch ward es nicht. Und in geziemender Zeit, welche mich in Wahrheit wie die ganze Spanne meines Lebens und noch mehr dünkte, erreichte ich den Grund, und Buliwyf schlug mir auf die Schulter und sagte, ich hätte wohlgetan.
Nun ward die Schlinge hochgezogen; und die Wogen krachten auf mich ein und auf Buliwyf an meiner Seite. Nun rang ich um mein Gleichgewicht auf dieser schlüpfrigen Leiste, und dies nahm meine Aufmerksamkeit derart in Beschlag, daß ich nicht hinsah, als die anderen über die Klippe herabkamen. Mein einzig Begehren war dies: nicht in die See hineingefegt zu werden. Wahrlich, ich sah mit eigenen Augen, daß die Wogen höher waren als drei übereinanderstehende Männer, und beim Anbranden einer jeglichen Woge war ich für einen Augenblick empfindungslos inmitten eines Strudels aus eisigem Wasser und wirbelnder Wucht. Viele Male ward ich von diesen Wogen von den Beinen gerissen; ich war am ganzen Körper durchtränkt und schauderte so schlimm, daß meine Zähne klapperten wie ein galoppierendes Pferd. Ich konnte ob des Klapperns meiner Zähne nicht ein Wort sprechen.