Hin und wieder begibt es sich, daß ein Kaufmann ein Haus aufsucht, um ein Mädchen zu erstehen, und dessen Herrn dergestalt in seiner Umarmung findet, von welcher er nicht abläßt, bevor er vollends seinen Willen hatte; darin wird nichts Bemerkenswertes gefunden. Jeden Morgen kommt eine junge Sklavin und bringt einen Zuber Wasser und stellt ihn vor ihren Herrn. Er schickt sich an, Gesicht und Hände zu waschen und dann sein Haar, welches er über dem Behältnis kämmt. Daraufhin schnauzt er seine Nase und speit in den Zuber und befördert, ohne Schmutz zurückzulassen, alles in das Wasser. Wenn er fertig ist, trägt das Mädchen den Zuber zu dem Mann neben ihn, welcher desgleichen tut. Dergestalt trägt sie den Zuber weiter vom einen zum andern, bis ein jeglicher unter denen, welche sich im Hause befinden, seine Nase geschnauzt hat und in den Zuber gespien und sein Gesicht und Haar gewaschen. Dies ist das übliche Brauchtum unter den Nordmännern, wie ich mit eigenen Augen gesehen habe. Doch zum Zeitpunkt unseres Eintreffens bei ihnen herrschte unter dem Riesenvolke Zwietracht, welche folgenden Ursprunges war:
Ihr oberster Häuptling, ein Mann mit Namen Wyglif, war erkrankt und ward mit Brot und Wasser in ein Siechenzelt fernab des Lagers gebettet. Niemand nahte oder sprach mit ihm oder besuchte ihn in der ganzen Zeit. Keinerlei Sklaven hegten ihn, denn die Nordmänner glauben, daß ein Mann aus eigener Kraft von jeglichem Siechtum genesen muß. Viele unter ihnen glaubten, daß Wyglif niemals zu ihnen ins Lager zurückkehren, sondern statt dessen sterben würde.
Nun war einer aus ihrer Mitte, ein junger Edler namens Buliwyf, auserkoren, ihr neuer Anführer zu sein, doch ward er nicht anerkannt, derweil der sieche Häuptling noch lebte. Dies war der Grund ihres Ungemachs zur Zeit unserer Ankunft. Doch gab es überdies keinerlei Anzeichen von Kummer oder Klagen unter dem an der Wolga lagernden Volke. Die Nordmänner messen der Pflicht des Gastgebers große Bedeutung bei. Sie begrüßen jeden Besucher mit Wärme und Gastfreundschaft, viel Speise und Kleidung, und die Fürsten und Edlen wetteifern um die Ehre der höchsten Gastfreundschaft. Das Gefolge unserer Karawane ward vor Buliwyf geführt, und ein großes Fest ward uns geboten. Über dieses befahl Buliwyf, und ich sah, daß er ein großer Mann war und stark, mit Haut und Haar und Bart von reinem Weiß. Er besaß das Gebaren eines Führers.
In Anerkennung der Ehre des Festes widmete sich unsere Schar mit viel Aufhebens dem Verzehr, doch die Speise war widerlich, und die Festsitten beinhalteten allerlei Umherwerfen von Speis und Trank und viel Gelächter und Fröhlichkeit. Für einen Edlen war es üblich, sich mitten in dem derben Gelage unter den Augen seiner Gefährten mit einer Sklavin zu ergötzen.
Da ich dies sah, wandte ich mich ab und sagte: »Ich erbitte Gottes Vergebung«, und die Nordmänner lachten sehr ob meiner Ungemach. Einer aus ihrer Schar übersetzte für mich, daß sie glauben, ihr Gott betrachte solche freizügigen Freuden mit Wohlgefallen. Er sagte zu mir: »Ihr Araber seid wie alte Weiber, ihr zittert angesichts des Lebens.«
Ich sagte zur Erwiderung: »Ich weile als Gast unter euch, und Allah wird mich zur Rechtschaffenheit führen.« Dies war Anlaß zu weiterem Gelächter, doch weiß ich nicht, aus welchem Grunde sie dies für einen Scherz befanden. Im Brauchtum der Nordmänner wird das kriegerische Leben verehrt. Wahrlich, diese mächtigen Männer fechten unentwegt; sie befinden sich niemals im Frieden, weder untereinander noch unter anderen Stämmen ihrer Art. Sie tragen Gesänge von ihrer Kriegskunst und ihrem Heldenmut vor und glauben, daß der Tod eines Kriegers die höchste Ehre sei. Auf dem Gelage des Buliwyf trug einer der ihren einen Gesang über Kühnheit und Kampf vor, welcher viel Anklang fand, obgleich wenig Beachtung. Der starke Trank der Nordmänner verwandelt sie bald zu Tieren und streunenden Eseln; mitten in dem Gesang kam es zum Lustergusse und überdies zum Kampf auf Leben und Tod ob eines trunkenen Zankes zweier Krieger. Der Barde ließ bei all diesen Geschehnissen nicht ab von seinem Gesang; wahrlich, ich sah spritzendes Blut sein Gesicht sprenkeln, und doch wischte er es ohne eine Unterbrechung seines Gesanges weg. Dies beeindruckte mich mächtig. Nun geschah es, daß Buliwyf, welcher trunken war wie die übrigen, befahl, ich sollte ein Lied für sie singen. Er war überaus beharrlich. Da ich ihn nicht verärgern wollte, trug ich aus dem Koran vor, wobei der Übersetzer meine Worte in ihrer nordischen Zunge wiederholte. Ich ward nicht besser aufgenommen denn ihr eigener Sänger, und hinterher bat ich um Allahs Vergebung für die Behandlung Seiner heiligen Worte und überdies für die Übersetzung, (Was die Übersetzung des Korans betrifft, sind die Araber stets heikel gewesen. Die ersten Scheiche behaupteten, das heilige Buch könne nicht übersetzt werden, eine Verfügung, die offensichtlich auf religiösen Überlegungen basierte. Doch jeder, der sich an einer Übersetzung versucht hat, wird ihnen aus höchst profanen Gründen beipflichten: Arabisch ist von Natur aus eine stark verknappte Sprache, und der Koran ist in Form einer Dichtung verfaßt und somit noch konzentrierter. Die Schwierigkeiten bei der Übermittlung der wortwörtlichen Bedeutung - nicht zu reden von der Anmut und Eleganz des arabischen Originals -haben dazu geführt, daß Übersetzer ihrem Werk langatmige und kriecherische Entschuldigungen voranstellen. Zugleich handelt es sich beim Islam aber auch um eine aktive und expansive Denkweise, und das zehnte Jahrhundert war eine der Hochzeiten seiner Ausbreitung. Diese Expansion erforderte unvermeidlich Übersetzungen für die neu Bekehrten, und so wurden Übersetzungen angefertigt, wenn auch, vom Standpunkt der Araber aus, nie allzu gerne.) welche ich als gedankenlos empfand, denn in Wahrheit war der Übersetzer selbst trunken.
Wir hatten zwei Tage unter den Nordmännern geweilt, und an dem Morgen, da wir aufzubrechen gedachten, ward uns durch den Übersetzer bestellt, daß der Häuptling Wyglif gestorben war. Ich suchte Zeugnis zu erlangen, was sich darauf zutrug. Zuerst betteten sie ihn für den Zeitraum von zehn Tagen (Dies allein war schon erstaunlich für einen aus einer warmen Klimazone stammenden arabischen Beobachter. Der moslemische Brauch verlangte ein rasches Begräbnis, häufig noch am Todestag, nach einer von ritueller Waschung und Gebet begleiteten Zeremonie.) in sein Grab, über welchem ein Dach errichtet war, bis sie das Zuschneiden und Nähen seiner Kleidung vollendet hatten. Überdies trugen sie seine Habe zusammen und trennten sie in drei Teile. Der erste davon ist für seine Familie; der zweite wird für die Gewänder verwandt, welche sie fertigen; und mit dem dritten erstehen sie starken Trank wider den Tag, da ein Mädchen sich dem Tod anheim gibt und verbrannt wird mit seinem Herrn.
Beim Genuß des Weines ergehen sie sich ihn aberwitzigem Betragen, indem sie ihn trinken Tag und Nacht, wie ich bereits gesagt habe. Nicht selten geschieht es, daß einer mit dem Becher in der Hand stirbt.
Die Familie des Wyglif frug unter allen seinen Mädchen und Pagen: »Wer von euch wird mit ihm sterben?« Darauf antwortete eine von ihnen: »Ich.« Von der Zeit an, da sie das Wort ausstieß, war sie nicht länger frei; sollte sie zurücktreten wollen, so wird es ihr nicht gestattet. Das Mädchen, welches dergleichen sprach, ward danach zwei anderen Mädchen überstellt, welche Wache darob halten mußten, es begleiten, wo immer es hinging, und bei Gelegenheit selbst seine Füße waschen. Die Menschen beschäftigten sich mit dem Toten -schnitten die Kleider für ihn zu und bereiteten alles, was sonst vonnöten war.
Während dieser Zeitspanne gab sich das Mädchen dem Trinken und Singen hin und war fröhlich und heiter. Während dieser Zeit erwuchs Buliwyf, dem Edlen, welcher danach König oder Häuptling sein sollte, ein Nebenbuhler, dessen Name Thorkel lautete. Ihn kannte ich nicht, doch war er häßlich und faul, ein düsterer Mann unter dieser schönen rötlichen Rasse. Er gedachte, selbst Häuptling zu werden. All dies erfuhr ich von dem Übersetzer, denn es gab keinerlei äußeres Anzeichen in den Bestattungsvorbereitungen, daß etwas nicht gemäß dem Brauchtum geschah.