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Christoph ging über den Schwarzwald, er schritt von Wipfel zu Wipfel. Tief unter ihm lag das schwarze Auge des Mummelsees. In den Wäldern ringsum brannten Feuer, feierlich stiegen Rauchsäulen auf in den weißen Himmel. Er wusste, dass er tief hinabtauchen musste in den schwarzen See. Dann würde er die Zukunft erfahren. Er konnte aber nicht schwimmen. Da flatterten wirre Schwärme von Krähen auf, heiser krächzend flogen sie über den Wald in das Land hinaus. Sie verdunkelten den Himmel. Sie krächzten so laut, dass man es auf der ganzen Welt hören musste. Etwas Kaltes presste gegen sein Gesicht.

Davon wachte er auf.

Er kam nur sehr langsam zu sich. Es war noch fast dunkel. Irgendwo von oben kam ein fahles Licht. Die Zeltwände waren weit nach innen gedrückt und glitzerten vor Reif. Der Vater schlief. Alle schliefen noch, man hörte sie schnarchen oder gleichmäßig atmen. Die Luft war schwer. Der Vater neben ihm war eigenartig steif und unbeweglich. Christoph stieß ihn leise an. Der Vater rührte sich nicht.

Christoph wurde es heiß. »Vater!«, flüsterte er zuerst, dann wurde seine Stimme lauter und begann zu zittern. Jetzt sah er das Gesicht des Vaters.

Der Vater war tot.

ALLEIN

Der Schmerz war so groß gewesen, dass Christoph zuerst zu einem Stein geworden war. Es war wie in Stuttgart, als das Todesurteil verkündet wurde und der Henker die Hand auf sie gelegt hatte.

Lukas und Melchior waren weitergegangen. Hatte er ihnen überhaupt gedankt?

Er erinnerte sich kaum mehr an die Tage nach dem Tod des Vaters, wie sie zum Pfarrer nach Griesbach gegangen waren und der dem Vater als verurteiltem Verbrecher die christliche Beerdigung verweigert hatte.

Der Trost der Gaukler. Die Hand der dicken Regine auf seinem Kopf, das hatte gut getan, er hatte nach einem Tag endlich weinen können. Dann hatte ihm Philo den Arm um die Schultern gelegt, alles ohne Scheu, als hätte es den Henker nie gegeben. Balthas sprach ihm Mut zu und bot ihm an bei ihnen zu bleiben.

Bei ihnen bleiben? Gaukler werden? Er konnte ja gar nichts!

»Alles kann man lernen«, hatte Balthas gesagt. »Sogar als Kind eines reichen Kaufmanns kann man lernen. Wir finden schon etwas.«

Aber dann nach drei, vier Tagen, in denen er sich besonders jämmerlich verlassen vorkam, war der Gedanke immer stärker geworden: Ich bringe das zu Ende, was mein Vater angefangen hat!

Christoph Schimmelfeldt wusste die Namen der Straßburger Kaufleute nicht, die seinen Vater in den Tod getrieben und ihn selbst zum Bettler gemacht hatten. Zwei der Stuttgarter Kaufleute kannte er, er hatte sie zumindest bei der Gerichtsverhandlung gesehen. Einer war dem Vater nachgelaufen. Aber das nützte nichts. Wichtiger waren die Namen der Straßburger Kaufleute. Der Vater hatte sie gewusst.

Er musste nach Straßburg. War er auch allein gefährdet? Kannten sie ihn? Wie sollten sie ihn finden?

»Ich bleibe gerne bei euch, wenn ich darf. Aber nur bis zum Frühjahr. Dann will ich nach Straßburg und meinen Vater rächen. Wenn er mir nur den Namen der Straßburger Kaufleute gesagt hätte, die er im Verdacht hatte.«

»Wir gehen auch nach Straßburg, du kannst ruhig bei uns bleiben«, meinte Philo. »Und Namen finden wir.«

»Aber nicht als Gaukler.«

»Was denn sonst, ein besseres Versteck kann es nicht geben«, sagte Balthas bestimmt.

»Nicht erwischt! Noch immer nicht erwischt!« Der Straßburger Kaufmann, ein breiter Mann, zerrte an seinem kostbaren Pelz. Der Schnee am Ufer der Ill knirschte unter den Füßen.

»Aber es ist sicher, dass der alte Schimmelfeldt tot ist.« Ein anderer Straßburger Kaufmann legte ihm begütigend die Hand auf den Arm.

»Hätte man auf mich gehört; so hätte man ihn einfach mitmachen lassen, als der Schmied ihm alles gesagt hat«, antwortete der Zweite leise, »es ist noch nicht einmal sicher, dass er ihm alles gesagt hat.«

»Er wusste die Zahlen, das genügt!«

Jetzt mischte sich der Dritte ein: »Er hätte nie mitgemacht. Ich habe es immer gesagt. Er ist zu ehrlich und zu altmodisch; er begreift nichts von der neuen Zeit. Er hätte alles auffliegen lassen.«

»Ja, so sieht es in der Tat aus, deshalb war es wohl richtig; was wir gemacht haben«, gab der Zweite klein bei.

»Es geht jetzt nicht um die Frage, was richtig oder falsch war«, sagte der Erste mit Nachdruck; »sondern allein darum, ob er tot ist oder nicht.«

Drüben über der Eisfläche der Ill, auf deren Ufer Fischer ihre Boote hinaufgezogen hatten, erhob sich der Riesenbau des Münsters. Ein kalter messerdünner Wind kam herüber und trieb den drei Herren das Wasser in die Augen.

»Meine Spitzel sind vorgestern mit der Meldung gekommen, er sei tot«, sagte der Dritte, »der Alte und der Junge samt diesen verdammten Köhlern, die sie über die Grinde geführt haben, fanden wohl Zuflucht bei einer Gauklertruppe. Einer der Köhler hatte sich abgesetzt und wollte sich die Belohnung verdienen, aber leider kam der Sturm dazwischen, der auch hier diese Kälte gebracht hat. Bei den Gauklern in der Sturmnacht muss der Alte gestorben sein.«

»Muss gestorben sein. Ich höre wohl schlecht! Und der Beweis?«

»Der Pfarrer von Griesbach ist der Beweis. Die Gaukler sind mit dem Jungen zu ihm gekommen, um den Kerl in geweihter Erde begraben zu lassen. Die Köhler sind wohl wieder nach Hause gegangen.«

»Einen Mann, der dem Henker verfallen ist – er wird doch nicht…?«

»Nein, als er erfahren hat, dass der Mann an den Folgen einer Folterung gestorben ist, hat er es abgelehnt, wie es recht ist.«

»Ihr habt die Männer doch nicht ausbezahlt.«

»Keinen Heller!«

»Gut.«

»Bleibt der Junge.«

»Was kann der schon schaden?«, fragte der Zweite.

»Was kann der schon schaden! Was kann der schon schaden! Der Alte hat es ihm erzählt. Kannst du Gift darauf nehmen – der weiß alles, unsere Namen, alles!«

Ein Schwarm Krähen flog über die Ill.

»Dazu kommt, dass er jetzt den Tod des Vaters rächen will. Ich bitte Euch! Es ist alles auf Überraschung aufgebaut, ein falsches Wörtlein kann alles gefährden. Wenn der in Straßburg auftaucht, dann ist höchste Gefahr. Er muss weg. Ich nehme die Sache selbst in die Hand. Ihr könnt ja eine Kapelle stiften, wenn Ihr ein schlechtes Gewissen habt!«

Die Gaukler packten im Schnee das Zelt zusammen und zogen in eine leer stehende Hütte.

Christoph musste sich erst daran gewöhnen, mit Gauklern zusammenzuleben. Der Vater hatte gesagt, dass man bei Gauklern und Bettlern in Straßburg am meisten erfahren könne. Aber Christoph hatte noch nie mit Gauklern geredet. Er hatte ihnen gelegentlich auf dem Marktplatz in Stuttgart zugeschaut. Es war ihm aber nie eingefallen, ein Wort mit ihnen zu wechseln. Wer sich mit ihnen einließ, wurde von den anderen Bürgern gemieden.

Jetzt stemmte Balthas seine Hände in die Hüften: »Wer hätte das gedacht, wie unbegabt Kaufleute in unserem Handwerk sind! Du kannst weder jonglieren noch auf den Händen gehen oder ein brauchbares Rad schlagen. Du kannst nicht Feuer schlucken und du kannst nicht seiltanzen. Vom Zaubern ganz zu schweigen.«

»Da schau mich an«, sagte Philo gönnerhaft. »Ich kann das alles: Ich kann sogar auf den Händen seiltanzen und dabei Feuer schlucken – «

»Und wenn man dir einen Löffel in den Hintern steckt, kannst du noch essen dabei, du Angeber!«

»Aber ich kann es lernen. Du hast es gesagt. Das ist schon viel.«

Das musste Balthas zugeben.

Von Anfang an hatte es Christoph das Zaubern angetan: »Kannst du wirklich Zaubern? Das möchte ich lernen. Ich will ein Zauberer werden, kannst du mir das beibringen?«