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Balthas wehrte ab: »Weißt du, mit dem Zaubern – du verstehst das falsch.« Dann griff er blitzschnell Christoph an das Ohr, das unter seinem dick verfilzten Haarschopf kaum zu finden war, und hatte einen Heller in der Hand.

»Was der Bursche alles in den Ohren hat!«, lachte Philo. »Kein Wunder, hat er nichts im Kopf.«

»Du bist hier derjenige, der nichts im Kopf hat als Blödsinn.«

»Aua! Du musst mich doch deshalb nicht gleich an den Haaren ziehen.«

Christoph war fasziniert. Wie war der Heller in sein Ohr gekommen? Er hatte nichts gespürt. Wenn die zaubern konnten – dann konnten sie doch – in Straßburg –

Balthas öffnete seinen weiten Ärmel und holte verschiedenste Dinge heraus: kleine Geldstücke, Glasperlen, Spielkarten, einen kleinen Holzlöffel und anderen Krimskrams.

»Leider haben wir keine Juwelen bei uns«, jammerte Philo. »Ach, ist das schade! Aua!«

»Solche Kleinigkeiten kann man immer brauchen, um die Leute zu verblüffen auf den Jahrmärkten und Marktplätzen.«

Und Philo sagte: »Will der Herr den Inhalt meines Gewandes wissen? – Hereinspaziert! Hereinspaziert! Eintritt gegen Bezahlung, ganz billig, nur einen Dukaten pro Nase. Bedenken Sie, meine verkehrten, äh, verehrten Bürger und Bürgerinnen, hier erleben Sie noch echte Schwarzwaldkunst, äh, Schwarzkunst!«

»Halt jetzt dein Maul!«, sagte Balthas lachend.

Aber Christoph war still. Das also war Zaubern!

»Es ist alles nur Täuschung. Ich werde dir einige Dinge zeigen, da wird jeder Bürger schwören, dass es sich um wirkliches Zaubern handelt – «

Täuschung war alles.

Regine kochte. Regine sorgte dafür, dass genügend Holz da war. Regine tröstete Balthas, wenn er sich über Philo aufregte. Regine tröstete Philo, wenn er sich schlecht behandelt fühlte von Balthas. Das alles war schnell wieder vergessen. Aber Regine tröstete auch Christoph, und das war oft notwendig.

Niemand wusste, wer ihr Vater war. Zuerst hatte sie mit der Mutter in einem kleinen Häuschen gewohnt, einer Hütte am Rande des Dorfs. Die Mutter hatte als Magd bei einem Bauern gearbeitet und auch bei ihm gewohnt, aber als Regine gekommen war, hatte er sie hinausgeworfen. Sie richtete die baufällige Hütte her, zog Regine dort auf und arbeitete bei den Bauern im Tagelohn.

Die Leute sagten, der Bauer sei ihr Vater.

Aber die Mutter hatte das nie bestätigt: »Kind, es ist sicher, dass du einen Vater hast, weil jeder einen hat, aber genauso sicher ist es, dass du nicht wissen musst, wer das ist. Niemand ist geholfen, wenn du das weißt. Ich weiß, wer dein Vater ist. Aber habe ich etwas davon?«

Die anderen Kinder freilich dachten nicht so. Wer keinen Vater hatte, war in ihren Augen kein richtiger Mensch, denn man wusste im Dorf von jedem Kalb, wer sein Vater war!

»Du bist aber kein Kalb«, hatte die Mutter geantwortet.

»Du bist noch weniger als ein Kalb«, hatten die Kinder gerufen.

Manche Leute meinten, der Ritter sei ihr Vater, die Mutter sei in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen, wenn auch bettelarm. Der Bauer habe sie aus Eifersucht hinausgeworfen. Der Ritter aber war in einer Fehde umgekommen. Regine hatte ihn oft gesehen, wie er von seiner Burg zur Jagd ritt und seine Knechte herumscheuchte. Sie musste sich selbst sagen, wenn der ihr Vater war, so hätte sie wirklich nichts davon gehabt.

Als Regine ein sehr schönes Mädchen wurde, hatte sie am ersten Tag im Mai, nach der Walpurgisnacht, oft einen Strohbuschen an die Türe des Häuschens angenagelt gefunden und keine Brezel auf das Scheunentor gemalt wie andere Mädchen, die einen Bräutigam in Aussicht hatten. Sie hatte weder einen Bräutigam in Aussicht noch besaß sie eine Scheune mit einem Tor, auf das ein künftiger Bräutigam eine Brezel hätte malen können. Und die Strohbuschen bedeuteten ganz andere Angebote, die ein Mädchen besser ausschlug.

Niemand wollte das arme Mädchen heiraten, das nicht einmal einen Vater hatte.

Schließlich, als Regine siebzehn Jahre alt war, starb die Mutter. Sie war froh, als sie mit der ersten Gauklertruppe, die durch das Dorf gezogen war, mitgehen konnte.

Sie war viel herumgekommen und nun war sie alt und grau und fett und lebte zufrieden, wie sie immer sagte.

Balthas war der Sohn eines Gauklers und dessen Vater war auch ein Gaukler gewesen.

Wer Philo war, wusste niemand. Er selbst meinte: »Ich bin einfach vom Himmel gefallen wie der Tau am Morgen«, und spielte mit seinen bunten Bällen.

»Oder der Esel hat dich im Galopp verloren«, vermutete Balthas.

Er sei ein Findelkind, etwa sechzehn Jahre alt, und sie hätten ihn seit etwa zwölf Jahren bei sich, da sie keine Kinder bekamen.

»Er ist unglaublich begabt im Gauklerhandwerk, aber du musst es ihm nicht sagen«, sagte Balthas einmal zu Christoph.

Sie gingen zu dritt auf die Jahrmärkte und konnten alles: seiltanzen, mit bunten Bällen jonglieren, Feuer schlucken, zaubern, wahrsagen, Karten legen. Balthas war schon als Bärenführer und als Bänkelsänger aufgetreten. Aber Bären seien zu teuer und der Gesang – da reiche seine Stimme heute nicht mehr.

Zum Seiltanzen war er jetzt zu fett, wie er sagte.

»Du kannst vor die Leute nur mit erstklassigen Darbietungen hintreten.«

»Man verdient gut in unserem Gewerbe, wenn man wirklich gut ist«, sagte Balthas und legte den Arm um die fette Regine, »und man ist frei wie ein Vogel.«

»Ja«, lachte Regine, »vogelfrei! Niemand beschützt uns!«

Balthas sprach von seinem Beruf immer nur als Handwerk. Als wäre er ein richtiger Bürger, dachte Christoph. Aber er selbst war ja auch kein Bürger mehr und er konnte nicht einmal irgendetwas vom Handwerk des alten Balthas. Dafür konnte Balthas lesen und schreiben und hatte es Regine und Philo beigebracht.

Am besten ging noch das Seiltanzen. Sie hatten von den Obstwiesen an den Abhängen des Schwarzwalds eine lange Stange geholt und sie auf Pflöcken befestigt, die im Schnee steckten.

»Es ist zwar kein Seil, das wackelt ganz anders«, meinte Philo, »aber zum Lernen ist es sehr gut. Ich habe auch so angefangen.«

Schritt für Schritt ging Christoph über die Stange, begleitet von den Beifallrufen Regines und von Philos Flötenspiel.

Oft musste er herunterspringen in den Schnee, aber er machte Fortschritte. Philo rüttelte an der Stange und versetzte sie in Schwingungen und immer seltener musste Christoph abspringen.

»Wart nur, bis wir dir das Seil über die Schlucht binden und du mit der Balancierstange üben musst.« Philo konnte es kaum erwarten, aber dafür lag zu viel Schnee. Christoph war froh, denn Balthas ließ niemand mit Schuhen auf das Seil. Da würde ich schön frieren, dachte er, und schaute voll Schrecken nach den bloßen Füßen von Balthas und Philo, denen der Schnee nichts ausmachte, wie sie sagten.

»Wir sollten die Schlucht auch meiden. Denn sie suchen dich bestimmt immer noch.« Balthas legte den Arm um Christoph.

»Nach meiner Flöte solltest du deine Schritte richten«, sagte Philo und Balthas nickte. »Dann werden sie ruhiger und regelmäßiger.«

Aber wenn Christoph das versuchte, musste er sofort abspringen.

Philo konnte es, wenn Balthas oder Regine spielten. Vor – zurück – vor – zurück – Drehung, als wäre die Stange ein Tanzboden.

»Das ist Seiltanzen«, sagte er, »was du machst, ist höchstens Seilgehen, zurzeit Stangengehen!«

Philo konnte sogar auf der Stange tanzen und dabei selbst auf der Flöte spielen: vor – zurück – Drehung.

Balthas ließ es ihn aber nicht auf dem Seil machen, weil er dabei keine Balancierstange halten konnte.

Mit Mühe und riesigem Zeitaufwand schaffte Christoph es, auf der Stange niederzuknien und wieder aufzustehen, aber einen Purzelbaum, der einfach dazugehörte, wie alle sagten, brachte er nicht zustande. An Radschlagen war nicht zu denken, und auf dem Seil sollte alles noch viel schwerer sein.