Was soll es auch, dachte er, im Sommer bin ich sowieso kein Gaukler mehr.
Es war ja ganz nett, Gaukler zu sein. Aber er war in Wirklichkeit keiner. Das merkten sie doch!
Er wusste aber, dass sie das, was er vorhatte, für zu gefährlich hielten.
Aus dem Süden kam eine Krankheit, schrecklich, wie man noch keine kannte. Regine brachte die Nachricht mit. Es wurde auf den Höfen erzählt und die Bauern wussten es aus den Städten. Mit den Kaufleuten sei die Nachricht über die Alpen gekommen. Sie heiße das große Sterben oder der schwarze Tod oder einfach Pest. Es sei eine Seuche ansteckender als die schwarzen Pocken. Beulen seien es, Beulen an den Armen und in den Leisten. Fieber bekämen die Menschen. Man sterbe unter grausigen Qualen. Ganze Landstriche seien bereits menschenleer. Das sei der Weltuntergang. Ein schwarzweißer Mönch habe es in Freiburg auf dem Münsterplatz verkündet.
Einige Wochen später kam Philo in die Hütte gerannt: »Sie suchen nach Christoph!« Er schaute sich um, Christoph war nicht da. Dennoch flüsterte er und nahm die beiden Alten zur Seite. »Ich war heute ganz unten in der Herberge bei Offenburg, um meine neuesten Zaubertricks auszuprobieren.«
»Das solltest du nicht tun. Du weißt, wie gefährlich es ist. Es ist schon gefährlich genug, dass wir auf die Bauernhöfe müssen, aber in Gasthäuser und Herbergen laufen!«
»Da war ein Mann in der Herberge, ein unsympathischer Wicht – klein, dicklich, mit tückischen Knopfaugen wie ein Frosch, und die Lüge stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wie ich das mache, fragte der Frosch. Welcher Gaukler verrät schon seine Tricks? Ich kann euch sagen, die Leute tobten vor Begeisterung. Einer Frau zog ich, als ob es nichts wäre, einen Goldring aus ihrem Schlüsselbund – es war ihr eigener – «
»Das sollst du nicht machen – wenn sie dich erwischen, bevor du den Ring zurückgegeben hast, hängen sie dich auf!«
»Ich lasse mich nicht so schnell aufhängen. Hat mir nicht Regine einmal aus der Hand gelesen, dass ich nicht aufgehängt werde, sondern in einem Bett sterbe? Woher ich wohl einmal ein Bett zum Sterben nehme? Das Beste ist, ich lege mich nie in eines hinein.«
Philo warf drei Bälle in die Luft und ließ sie dort kreisen.
»Weiter!«
»Also, dieser giftige Mensch fragt mich nach meinen Tricks und zieht mich dabei auf die Seite, dass es niemand hören kann. Das ist doch sehr mühsam, auf diese Weise Geld zu verdienen, sagt er. Er mache es ganz anders und habe immer Geld genug. Er zieht eine Hand voll Heller aus der Tasche und hält sie mir unter die Nase. Da sei mein Glück im Nu gemacht, meint er, und das sei noch gar nichts: Gold könne man damit verdienen, ehe man auf drei gezählt habe. Ich stelle mich neugierig. Wo es so viel Geld zu verdienen gibt, bin ich dabei, sage ich.
Was er denn macht, frage ich. Mörder, Diebe und Betrüger fangen!, antwortet dieser Frosch. Ja, da bin ich auch dabei, sage ich, Halunken muss man einfangen und dann muss man sie aufhängen. Und wo gibt es das viele Geld? Kopfgeld, sagt er. Man muss nur wissen, auf wessen Kopf die Obrigkeit Geld ausgesetzt hat. Und dann muss man den finden: Schwuppdich, hängt der am Galgen und du bist ein reicher Mann. Ja, sage ich, dazu muss man aber auch wissen, wo der Gesuchte ist! Er schaut mich seltsam an, stellt sich auf die Zehenspitzen und bringt seine Knopfaugen ganz nah an mein Gesicht: Ich glaube, du weißt es. Seine Augen fallen ihm beinahe aus dem Kopf – es war beängstigend.«
Regine und Balthas wurden unruhig.
Christoph kam zurück: »Was habt ihr denn da so heimlich zu flüstern?«
»Er muss es ja doch erfahren!«
Christoph war es, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles war wieder da, woran er fast gewaltsam nicht mehr gedacht hatte, und war nun Gewissheit: Sie suchten ihn, auf seinem Kopf stand ein Preis, sie hetzten ihn wie den Vater. Er biss die Zähne zusammen und presste die Lippen aufeinander.
»Wenn ich es wirklich weiß, will ich mir das Geld schon verdienen, sage ich zu ihm. Er lauert und schaut mich von der Seite an. Du gehörst doch zum alten Balthas und der dicken Regine! Wer einen Verbrecher versteckt, wird auch aufgehängt. Der Frosch ist sich sicher, dass ich das nicht will. Jetzt hättet ihr mich sehen sollen, eine wirklich große Leistung, wie ich in Angst gerate.«
Er spielte wieder mit den Bällen.
»Ich werde bleich wie ein Mehlsack, ich zittere wie eine Pappel, ich fange an zu schwitzen wie ein Schweinebraten. Ich umklammere seinen Arm und beiße mir in die Finger. Ja, ich habe da so einen Verdacht, sage ich mit wackeliger Stimme. Da ist ein Junge zu uns gekommen schon vor Wochen, der ist so eigenartig. Wenn er den meint, den kann er gerne haben, der frisst sowieso so viel, dass einem selbst nichts mehr bleibt. Ich weiß nicht, sage ich, was die beiden Alten für einen Narren an ihm gefressen haben.«
Christoph sprang auf –
Balthas hielt ihn mit festem Griff: »Ruhig, hör gut zu.«
»Es hat großen Spaß gemacht«, fuhr Philo fort. »Ist er allein gekommen, will er wissen, oder war da nicht noch ein Alter dabei, der krank war? Ich überlege gar nicht: So war es. Aber wer hätte denken können, dass das Verbrecher sind? Der Alte ist dann gleich gestorben. Die sahen gar nicht aus wie Verbrecher! Das kann ich jederzeit beschwören. Ich heule, die Tränen laufen mir die Backen hinunter. Das kann ich, wann ich will.«
Er grinste.
»Wir können doch nichts dafür, jammere ich. Wir sind doch nur ehrliche Gaukler! Er darf uns nicht anzeigen! Das will er ja auch nicht, sagt der Frosch, er will ja nur mein Bestes. Du wirst natürlich nicht angezeigt, im Gegenteil, wenn du alles sagst, bekommst du viel Geld, so wie ich es dir versprochen habe. Der Mann war nicht ungeschickt.«
»Aber du warst schlauer«, sagte Balthas lächelnd und Regine tätschelte ihm den Rücken.
»Eben. Er will mir zwei Dukaten geben, wenn der Mörder, wie er sagt, ausgeliefert und gefangen ist. Ich will keinen Vorschuss von ihm annehmen, weil ich froh bin, dass alles so gut ausgeht. Er drängt mir den Vorschuss geradezu auf.«
Er griff in die Tasche und holte drei Schillinge heraus.
»Das sind Straßburger Silberlinge, drei, statt dreißig.« Balthas rieb sich die Hände und reichte sie Christoph: »Die bekommt Christoph.«
»Ja«, sagte Philo und hüpfte im Kreis herum, »man erlebt sicher nur selten, dass einer das Kopfgeld bekommt, das auf seinen eigenen Kopf ausgesetzt ist.«
»Und wie ging es weiter?«
»Na ja, der Rest ist klar. Ich habe ihm unser Versteck so genau beschrieben, dass er jedes Wort glauben muss. Wir sind nach meiner Beschreibung mindestens zehn Meilen von hier entfernt in einem hoch gelegenen Tal, wohin sie sich erst einen Weg durch den Schnee bahnen müssen.« Er jonglierte jetzt mit sechs Bällen und hatte die Zunge zwischen den Zähnen.
»Bist du sicher, dass er dir nicht gefolgt ist?« Balthas beugte sich vor.
»Ganz sicher. Nämlich – ich bin ihm gefolgt. Er war auf einmal sehr ungeduldig und wollte Hilfe holen, um das Nest auszuheben, wie er sich ausgedrückt hat. Schon morgen Nacht will er uns auffliegen lassen. Er ist Richtung Achern abgezogen.«
»Er wird uns anderen doch nichts tun?«, spielte Regine die Besorgte und lachte.
»Ich habe für euch, den Meister und die Meisterin freien Abzug zugesichert bekommen, weil ich sonst kein Wort verraten hätte.«
»Es wird dennoch gut sein, wenn wir von hier verschwinden. Ich weiß noch mehr Schlupflöcher.« Balthas legte Philo die Hand auf die Schulter: »Gut gemacht. Ich hätte es nicht besser machen können.«
Philo strahlte über das ganze Gesicht: »Und habt ihr gesehen, wie ich zum Schluss mit acht Bällen jongliert habe? Einfach so nebenbei!«
Dann wurde Balthas ernst: »Christoph, das heißt für dich, du musst gehen. Sie wissen, dass du bei uns bist. Über kurz oder lang finden sie uns, da können wir uns so gut verstecken, wie wir wollen. Wir selbst können uns herausreden, du hast es ja gesehen.«